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VonBona Hyun
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Einnahmen aus dem LNG-Geschäft sind für Russlands Wirtschaft von wichtiger Bedeutung. Erhöhen nun die neuen EU-Sanktionen den Druck auf Putin?
Hamburg – Mit den neuen Sanktionen hat der Westen Wladimir Putin und Russlands Wirtschaft einen schweren Schlag versetzt. Am Donnerstag (20. Juni 2024) hat sich die EU geeinigt, ein neues Sanktionspaket gegen Russland zu verhängen. Zum ersten Mal geht es dabei um die Lieferung von verflüssigtem Erdgas (LNG), auch Putins Geisterflotten stehen im Fokus. EU-Unternehmen dürfen nun weiterhin russisches LNG kaufen, es aber nicht in andere Länder re-exportieren, was als Umladung bekannt ist.
Welche Folgen gäbe es für den europäischen Gasmarkt – und für Russlands Wirtschaft? Energieexpertin Prof. Dr. Svetlana Ikonnikova von der Technischen Universität München gibt im Gespräch mit Ippen.Media erste Prognosen.
Neue Sanktionen gegen Russland treffen erstmals LNG – längst überfällige Maßnahme?
Prof. Ikonnikova, die EU hat erstmals Sanktionen gegen russisches LNG verhängt. Glauben Sie, dass dies überfällig war?
Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Ja. Ich glaube, die EU hätte schon früher darüber nachdenken sollen, als
Sanktionen gegen den russischen Energiesektor diskutiert wurden. Allerdings waren Sanktionen gegen russisches LNG für die EU vorerst nicht sehr realistisch, weil die Energieindustrie ziemlich angeschlagen war. Jetzt sehen wir, dass die europäischen Märkte ziemlich gut zurechtkommen.
Was bedeuten die EU-Sanktionen gegen russisches LNG für den europäischen Gasmarkt?
Die Sanktionen gegen russisches LNG sehen vor, den Umschlag von LNG in der EU zu verbieten. Es gäbe vor allem Folgen für die asiatischen Märkte. Wir sprechen hier insbesondere von
China, Indien und der Türkei. Es könnte also weniger den europäischen Markt, sondern die asiatischen Märkte treffen. Vieles wird auch davon abhängen, wie Russland jetzt mit der Situation umgehen würde.
Ich halte es für realistisch, dass die LNG-Mengen, die Russland derzeit nach Asien exportiert hat, kurzfristig nach Europa gelangen könnten. Zumindest bis Mechanismen entwickelt sind, wie die Verträge mit den asiatischen Partnern umgestaltet werden können. Das würde die Preise für russisches LNG verändern und Russland würde davon profitieren, sofern es keine Preisobergrenze gibt. Wenn die asiatischen Märkte weniger Mengen an LNG aus Russland erhalten als zuvor, könnte dies dazu führen, dass sie wieder auf Kohle umsteigen, was für Indien und China nicht neu wäre.
Druck auf Russlands Wirtschaft? Folgen der EU-Sanktionen gegen russisches LNG
Glauben Sie, die EU-Sanktionen werden wirksam genug sein, um Druck auf Russland auszuüben?
Wenn Russland nicht in der Lage ist, russisches LNG in Europa umzuladen, würde dies die Lieferzeit verlängern, was auch dazu führen würde, dass die Schiffe nicht optimal ausgelastet werden können und damit das exportierte Volumen reduziert wird. Wenn die Route durch Europa aufgrund des Verbots komplizierter wird, könnte Russland entweder den Preis für die asiatischen Länder erhöhen oder die asiatischen Länder kaufen weniger russisches LNG und wenden sich mehr dem internationalen Erdgasmarkt zu, beispielsweise den USA.
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Russland beschließt, alles beim Alten zu belassen und geringere Einnahmen aus dem LNG-Geschäft in Kauf nimmt. Aber warum sollte Russland das tun? Wie wir beim Export von russischem Öl gesehen haben, war Russland ziemlich erfinderisch darin, Wege zu finden, sein Exportvolumen zu verschleiern
und das Ölembargo zu umgehen.
Würden Sie ein Import-Verbot von russischem LNG unterstützen?
Aus geopolitischer Sicht ja. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es für Europa schwierig. Nötig ist jetzt eine stärkere Koordination der EU mit ihren Partnern im Nahen Osten und in Asien, um sicherzustellen, dass Russland kein anderes Schlupfloch für die neuen EU-Sanktionen findet. Die EU sollte auch berücksichtigen, wie sehr solche Maßnahmen, ob auf Russland bezogen oder allgemein auf die Entwicklung der Erdgas- und anderen Brennstoffversorgung, sich mit Plänen der EU und Deutschlands zur Dekarbonisierung vereinen lassen. Dekarbonisierung bedeutet, wie wir auf sauberere Brennstoffe umsteigen.
Europa kann mehr Druck auf den Erdgasmarkt ausüben, indem es die Produktion von Wasserstoff und erneuerbarer Energien ankurbelt. Damit könnte eine grundsätzlich geringere Nachfrage nach Erdgas aus dem europäischen Energiesektor und der Industrie dazu führen, dass Russland seine Gewinne verliert. Wenn Europa beides gleichzeitig schafft, das russische LNG-Exportvolumen zu reduzieren und die Dekarbonisierung zu fördern, könnte dies positive Auswirkungen auf beide Seiten haben: Russland zu „bestrafen“ und der EU-Wirtschaft bei der Dekarbonisierung zu helfen.
Russlands Wirtschaft wendet sich an China – doch wird Peking weiterhin viel russisches Gas kaufen?
Wird Russland langfristig in der Lage sein, russisches LNG zu exportieren? Derzeit führt Russland mit China Gespräche über das Projekt der Power-of-Siberia-2-Pipeline.
Russland hat tatsächlich versucht,
Verhandlungen mit China voranzutreiben, um China zu überzeugen, mehr Erdgasvolumen aus Russland zu einem profitablen Preis zu kaufen. Das erfordert jedoch, dass Russland China als Partner für Investitionen in die Pipelines und die Ausrüstung gewinnen muss, die für die Nachproduktion und den Betrieb dieser Pipelines erforderlich sind. Für China ist dies ein Problem, weil das Land westliche Sanktionen fürchtet und seine Abhängigkeit von einem bestimmten Partner in Bezug auf die Energieversorgung reduzieren will. Ohnehin will China nicht mehr so abhängig von Russland sein.
Nötig ist jetzt eine stärkere Koordination der EU mit ihren Partnern im Nahen Osten und in Asien, um sicherzustellen, dass Russland kein anderes Schlupfloch für die neuen EU-Sanktionen findet.
Stichwort Abhängigkeiten: Glauben Sie, dass es für die EU möglich sein wird, in Zukunft nicht auf russisches LNG angewiesen zu sein?
Die EU hat wirklich gute Arbeit geleistet, ihre Abhängigkeit von Erdgas insgesamt zu verringern und gleichzeitig ihre LNG-Lieferungen auch ins Herkunftsland zu diversifizieren. Die USA haben dabei eine große Rolle gespielt, aber auch der Ausbau weiterer Beziehungen zu Katar und Australien hat geholfen. Die Erhöhung des LNG ermöglicht den Zugang zu mehr LNG-Liefermöglichkeiten aus anderen Ländern, was zu einem Rückgang der russischen Lieferungen geführt hat.
Aber die EU muss weiter in die Infrastruktur investieren. Und da stellen sich zwei Fragen: Sind die europäischen Länder bereit, das zu tun? Viele Länder sind möglicherweise eingeschränkt, wie etwa Österreich oder Ungarn. Sie haben einfach nicht dieselben finanziellen Möglichkeiten wie Deutschland oder Frankreich, das zu tun. Und die zweite Frage ist, wie schnell die EU das umsetzen kann. Selbst wenn die EU-Mitglieder das Kapital haben sollten für die Investitionen, wird der Prozess dauern.
Interview: Bona Hyun