Löst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen Konjunktureinbruch aus?

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Prof. Oliver Holtemöller ist stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). © Imago/Litzka © Michael Kappeler

Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung mit seinem jüngsten Urteil zum Klimafonds KTF einen schweren Dämpfer verpasst. Notlagen-Kredite dürfen nicht einfach für andere Ziele Zweck-entfremdet werden, urteilten die Richter. Damit ist der Etatentwurf der Ampel für 2024 Makulatur. Jetzt sucht die Koalition fieberhaft nach einem Ausweg. Welche Folgen das Karlsruher Urteil und das Milliarden-schwere Haushaltsloch für das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr haben könnten, erörtert der Konjunkturchef des IWH, Prof. Oliver Holtemöller im Gastbeitrag.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zweiten Nachtragshaushalt 2021 hat dazu geführt, dass die öffentliche Haushaltsplanung für das Jahr 2023 und für die daran anschließenden Jahre grundlegend überarbeitet werden muss. Nach Äußerungen des Bundesfinanzministers liegt der im Jahr 2024 nun auszugleichende Betrag in der Größenordnung von 17 Milliarden Euro. Was bedeutet das für die Konjunkturaussichten?

Das Urteil kam zu einer Zeit, in der der Konjunkturausblick ohnehin getrübt war. Die Herbstprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und internationaler Organisationen für das Jahr 2024 sagen Zuwachsraten für das Bruttoinlandsprodukt zwischen 0,6 Prozent (OECD im November) und 1,4 Prozent (ifo Institut im September) voraus. Die IWH-Prognose vom September lag bei 0,9 Prozent. Schon vor dem Urteil war davon auszugehen, dass einige dieser Prognosen noch einmal nach unten revidiert werden müssen, weil sich die Indikatorenlage für das vierte Quartal 2023 zuletzt verschlechtert hat. Damit fällt die Ausgangslage für das nächste Jahr ungünstiger aus.

Stimme der Ökonomen

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Karlsruher Urteil hat Folgen für das Wirtschaftswachstum

Erste Schätzungen zu den Auswirkungen des Urteils gehen von einem dämpfenden Effekt auf die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts 2024 in Höhe von 0,5 bis 1,0 Prozentpunkten aus. Die konjunkturellen Effekte hängen dabei davon ab, wie der Haushalt 2024 im Detail ausgeglichen werden soll. Infrage kommen im Wesentlichen drei Optionen: Ausgabenkürzung, Einnahmensteigerung oder eine neue Notlagenerklärung mit entsprechenden Neuverschuldungsmöglichkeiten. Vermutlich kommt es zu einer Mischlösung, bei der einige der bisher geplanten Vorhaben gestrichen werden und z.B. durch Subventionskürzungen oder den Verzicht auf geplante Steuererleichterungen in gewissem Umfang zusätzliche finanzielle Spielräume geschaffen werden.

Der Effekt zusätzlicher finanzpolitischer Maßnahmen auf das Bruttoinlandsprodukt wird mit dem Fiskalmultiplikator gemessen; dieser besagt, welche Änderung des Bruttoinlandsprodukts in Relation zu der initialen Veränderung der staatlichen Ausgaben oder Einnahmen ausgelöst wird. Es gibt hier eine große Bandbreite von Schätzungen. Nach Berechnungen mit dem finanzpolitischen Simulationsmodell des IWH liegt der Multiplikator im ersten Jahr je nach Maßnahme zwischen 0,7 und 1,5. Bei staatlichen Konsumausgaben liegt der Multiplikator an der Obergrenze der Bandbreite, d.h. eine Kürzung der staatlichen Konsumausgaben um 17 Milliarden Euro dämpft das Bruttoinlandsprodukt um etwa 25,5 Milliarden Euro.

Der Multiplikator ist größer als eins, weil nicht nur der Konsum des Staates sinkt, sondern durch die entsprechend niedrigeren Einnahmen der Unternehmen und Haushalte auch der private Konsum. 25,5 Milliarden Euro entsprechen 0,6 Prozent des noch im September für das Jahr 2024 vom IWH erwarteten nominalen Bruttoinlandsprodukts. Setzt man für Effekt und Bezugsgröße den gleichen Preisdeflator an, beliefe sich der reale dämpfende Effekt auf diese 0,6 Prozent.

Überschaubare Folgen für das BIP

Nun wird vermutlich nicht der gesamte Betrag von 17 Milliarden Euro bei den Konsumausgaben gekürzt. In anderen Bereichen liegen die Fiskal-Multiplikatoren deutlich unter eins; für staatliche Transferleistungen oder bei der Mehrwertsteuer liegt er bei 0,8, bei Kapitalertragsteuern noch etwas darunter. Eine Kürzung etwa von staatlichen Transfers im Umfang von 17 Milliarden Euro zöge also nur eine Reduktion des Bruttoinlandsprodukts um 13,6 Milliarden Euro oder 0,3 Prozent nach sich. Damit ist die oben genannte Bandbreite für den Konjunktureffekt 2024 von 0,5 Prozent bis 1,0 Prozent recht großzügig angesetzt. Einen massiven Konjunktureinbruch dürften die rein fiskalischen Effekte jedenfalls nicht auslösen.

Zudem spricht einiges dafür, dass sich die deutsche Wirtschaft weiter nach und nach von dem Energiepreisschock des Jahres 2022 erholt. Die nominalen Stundenlöhne lagen im dritten Quartal 2023 um gut 7 Prozent über dem Vorjahr, d.h. preisbereinigt sind sie um etwas mehr als 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Zudem deutet sich an, dass die Inflationsrate weiter zurückgeht und bei den anstehenden Lohnverhandlungen noch weitere Steigerungsmöglichkeiten bestehen. Auch Stimmungsindikatoren haben sich zuletzt wieder ein wenig verbessert.

Insgesamt dürfte das Jahr 2024 gemessen an der jahresdurchschnittlichen Veränderung des Bruttoinlandsprodukts somit zwar erneut ein wirtschaftlich schwaches Jahr sein, aber im Verlauf des Jahres dürfte sich die Erholung fortsetzen. Damit kann sich die Wirtschaftspolitik auf die Lösung der langfristigen Probleme in den Bereichen Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung konzentrieren, ohne sich zu sehr über die konjunkturellen Effekte der Haushaltsanpassung zu sorgen.

Zum Autor: Prof. Dr. Oliver Holtemöller ist stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Professor für Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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