Von Stierblut bis Methamphetamin - Leistungssteigerung um jeden Preis: Medikamentenmissbrauch im Freizeitsport

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Getty Images/South_agency Im Freizeitsport spricht man weniger von professionellem Doping als von Medikamentenmissbrauch oder „Alltagsdoping“
Donnerstag, 16.01.2025, 13:51

Der Missbrauch von Medikamenten im Freizeit- und Breitensport ist ein ernstes Problem, das oft unterschätzt wird. Sportmediziner Markus Klingenberg beleuchtet die Risiken und gibt wichtige Empfehlungen für Sportler.

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Von der Antike bis heute – Leistungssteigerung durch Substanzen

Die Verwendung von leistungssteigernden Mitteln ist kein Phänomen der Neuzeit. Bereits in der Antike nutzten Athleten verschiedene Substanzen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Stierblut, -hoden und pflanzliche Mittel wie die Alraunwurzel standen auf dem Programm. Römer und Griechen setzten Opium ein, um Schmerzen zu bekämpfen, während die Inka in Südamerika Koka-Blätter, Mate-Tee und Kaffee zur Steigerung ihrer Ausdauer verwendeten.

Im Laufe der Geschichte kamen immer neue Substanzen hinzu. Im Nordafrikafeldzug 1840 verordnete die französische Armee ihren Soldaten Absinth, was zu seiner Popularität in Frankreich führte, bis er 1914 verboten wurde. Auch die Alltagsdroge Qat oder Kath, deren Hauptwirkstoff das Amphetamin Cathin ist, wird bis heute in vielen afrikanischen Regionen wegen ihrer aufputschenden Wirkung konsumiert.

Im 20. Jahrhundert fand Methamphetamin, bekannt als „Pervitin“, breite Anwendung. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es millionenfach an deutsche Soldaten zur Unterdrückung von Hunger und Ermüdung verabreicht. Bemerkenswert ist, dass Pervitin in Deutschland sogar als Praline unter dem Namen „Hausfrauenschokolade“ verkauft wurde. Die US-Armee nutzte den Wirkstoff noch im Vietnamkrieg, bei der Bundeswehr kam er bis in die 1970er-Jahre zum Einsatz, und die Nationale Volksarmee der DDR verwendete die Pillen bis 1988.

Über Markus Klingenberg

Markus Klingenberg
Beta Klinik Bonn Markus Klingenberg

Markus Klingenberg ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Schwerpunkt auf arthroskopische Chirurgie an Schulter, Ellenbogen, Hand, Knie und Sprunggelenk sowie Fußchirurgie. Er verfügt über Zusatzqualifikationen in Sportmedizin, Chirotherapie/Manuelle Medizin und Notfallmedizin. Nach seinem Medizinstudium in Bonn und Zürich und Aufenthalten in London, Innsbruck und Boston absolvierte er seine Facharztausbildung. Seit 2014 ist er leitender Arzt an der Beta Klinik in Bonn für den Bereich Arthroskopie, Fußchirurgie und Sportmedizin. Hier geht es zu seiner Website www.markusklingenberg.de

Schmerzmittelmissbrauch im Breitensport – Eine gefährliche Praxis

Im Freizeitsport spricht man weniger von professionellem Doping als von Medikamentenmissbrauch oder „Alltagsdoping“. Viele Sportler nehmen Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac ein, oft ohne medizinische Notwendigkeit und vor Wettkämpfen. Eine Studie zum Bonn-Marathon 2010 brachte alarmierende Zahlen ans Licht: Zwei Drittel der Teilnehmer konsumierten Schmerzmittel, obwohl nur wenige vor dem Start tatsächlich Schmerzen hatten.

Die am häufigsten verwendeten Medikamente waren Diclofenac (43 Prozent) und Ibuprofen (36 Prozent). Besonders bedenklich war die hohe Dosierung: In vielen Fällen wurden mehr als 100 Milligramm Diclofenac und über 800 Milligramm Ibuprofen eingenommen. Diese Praktiken führten zu einem erhöhten Risiko für ernsthafte gesundheitliche Probleme wie Nierenversagen, Magen-Darm-Blutungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden.

Erhebliche Risiken – Die Nebenwirkungen von Schmerzmitteln

Die Einnahme von Schmerzmitteln unter sportlicher Belastung kann erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Neben gastrointestinalen Beschwerden können auch schwerwiegende Probleme wie Herzinfarkte auftreten. Besonders besorgniserregend ist, dass viele Sportler unzureichend über diese Risiken informiert sind. Die Bonn-Marathon-Studie zeigte, dass 93 Prozent der Läufer, die Schmerzmittel einnahmen, nicht ausreichend über mögliche Nebenwirkungen Bescheid wussten.

Die Abbruchrate des Marathons aufgrund von Magen-Darm-Beschwerden war bei der Einnahme von Schmerzmitteln mehr als doppelt so hoch. Krämpfe im Magen-Darm-Bereich und gastrointestinale Blutungen traten unter Schmerzmitteleinfluss siebenmal häufiger auf, Herz-Kreislauf-Probleme fünfmal häufiger. Blut im Urin, ein Anzeichen für Nierenschäden, trat nahezu ausschließlich bei Sportlern auf, die Schmerzmittel eingenommen hatten.

Doping im Fitnessstudio – Verborgene Risiken hinter verschlossenen Türen

Auch in Fitnessstudios ist der Medikamentenmissbrauch weit verbreitet. Studien belegen, dass etwa 25 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen leistungsfördernde Präparate nutzen. Häufig werden Steroide eingesetzt, die zu schweren Langzeitschäden an Herz und Leber führen können. Besonders alarmierend ist, dass viele dieser Substanzen unter der Hand vertrieben werden und oft aus dem Ausland oder der Tiermedizin stammen, was das Risiko von Verunreinigungen und unkontrollierten Inhaltsstoffen erhöht.

Die Verwendung solcher Mittel kann gravierende gesundheitliche Folgen haben. Neben physischen Schäden kann es auch zu psychischen Problemen wie Depressionen oder aggressivem Verhalten kommen. Die fehlende Regulation und Kontrolle dieser Substanzen verschärft das Risiko für die Konsumenten erheblich.

Nahrungsergänzungsmittel – Boomender Markt mit Schattenseiten

Der Markt für legale Nahrungsergänzungsmittel boomt seit Jahren. Doch auch hier lauern Risiken. Verunreinigungen oder unerwünschte Nebenwirkungen sind keine Seltenheit. Selbst rezeptfreie Präparate können negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Zudem wurden im Profisport schon häufig positive Dopingtests auf Substanzen zurückgeführt, die in vermeintlich harmlosen Nahrungsergänzungsmitteln enthalten waren.

Als Orientierungshilfe dient die „Kölner Liste“, auf der geprüfte Präparate aufgeführt sind, die frei von verbotenen Substanzen sind. Diese Liste kann Sportlern helfen, sicherere Entscheidungen bei der Wahl von Nahrungsergänzungsmitteln zu treffen und das Risiko ungewollter Nebenwirkungen zu minimieren.

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Gesellschaftliche Dimension – Die Doppelmoral der Leistungssteigerung

Medikamentenmissbrauch ist nicht nur ein sportliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Substanzen wie Koffein oder Nikotin sind gesellschaftlich akzeptiert, obwohl sie ebenfalls leistungssteigernd wirken. Der Missbrauch von Medikamenten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit wird im Alltag oft toleriert oder sogar gefördert.

Beispiele hierfür sind die offene Vermarktung von Medikamenten wie Viagra zur sexuellen Leistungssteigerung oder der Missbrauch von Ritalin unter Studenten, um die Konzentration beim Lernen zu erhöhen. Diese gesellschaftliche Akzeptanz steht im Kontrast zur strikten Ablehnung von Doping im Sport und wirft ethische Fragen auf.

Warum werden bestimmte Formen der Leistungssteigerung in einigen Lebensbereichen akzeptiert, während sie in anderen verpönt sind? Diese Doppelmoral zeigt die Komplexität des Themas und verdeutlicht, dass eine offene gesellschaftliche Diskussion notwendig ist.

Empfehlungen für Sportler – Gesundheit statt Leistung um jeden Preis

Um gesundheitliche Risiken zu vermeiden, sollten Sportler einige wichtige Empfehlungen beachten:

  1. Nehmen Sie Schmerzmittel nur nach Rücksprache mit einem Arzt ein.
  2. Bevorzugen Sie Alternativen wie eine gute Trainingsvorbereitung, passendes Equipment und natürliche Heilmittel.
  3. Hinterfragen Sie Ihre Motivation: Warum treiben Sie Sport?

Zusätzlich ist es entscheidend, sich umfassend über die Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln zu informieren. Eine sorgfältige Trainingsplanung, geeignetes Schuhwerk, passende Strümpfe und ein gutes Flüssigkeitsmanagement sind wichtige Faktoren für eine gesunde sportliche Betätigung.

Die eigene Gesundheit sollte immer im Vordergrund stehen. Der Wunsch nach Leistungssteigerung darf nicht auf Kosten des Körpers gehen. Sport sollte Freude bereiten, zur persönlichen Entwicklung beitragen und einen gesundheitsfördernden Lebensstil unterstützen.

Dieser Content stammt vom FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.