„Überlebensfrage als Volkspartei“ - Mit dieser Frau will die CDU jetzt Merz' großes Kanzlerproblem lösen

Christina Stumpp und Friedrich Merz stoßen zwischendurch mit einem Bier an, bevor das Fotoshooting weitergeht. Eine lange Schlange von Frauen hat sich gebildet, die mit der stellvertretenden CDU-Generalsekretärin und dem Unionskanzlerkandidaten aufs Bild wollen. Ausgerechnet mit Merz, der laut Umfragen bei der weiblichen Wählerschaft nicht so gut ankommt.

Die Frage, ob er ein guter Bundeskanzler wäre, wird im aktuellen Deutschland-Trend von Infratest dimap von 31 Prozent der Männer bejaht – bei den Frauen sind es mit 21 Prozent noch einmal deutlich weniger.

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Förderung von Frauen soll mehr als ein Lippenbekenntnis sein

An diesem Donnerstagabend im Konrad-Adenauer-Haus, der Berliner Parteizentrale, ist davon nichts zu spüren. Die CDU-Kommunalpolitikerinnen im Foyer haben sich zum einjährigen Jubiläum des auf Initiative von Stumpp gegründeten Frauennetzwerks getroffen. Erfahrungen austauschen, voneinander lernen, sich gegenseitig bestärken – darum geht es in einer Partei, der durchaus ein Frauenproblem attestiert werden muss.

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Jetzt lassen wir’s krachen.

Christina Stumpp soll es beheben – mit Rückendeckung von Merz, für den es dabei auch um viel geht. Mit der Initiative namens „Women@CDU“ zeige man gemeinsam mit der Frauen-Union, „dass die Förderung von Frauen für die CDU nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern ein zentrales Ziel unserer Parteiarbeit“, so die 36-Jährige, die sich „froh und dankbar“ über die Unterstützung des Parteichefs zeigt: „Wir haben noch Luft nach oben, sind aber auf einem guten Weg.“

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Als Merz bei Amtsantritt den neu geschaffenen Posten der stellvertretenden Generalsekretärin mit ihr besetzte, war die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg bundesweit kaum in Erscheinung getreten. Und auch jetzt noch dominieren Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann die Schlagzeilen.

Wer mit den Frauen des neuen Netzwerks spricht, hört aber viel Positives. Zum Beispiel, dass sich die auf einem Bauernhof aufgewachsene Stumpp nach einigen Jahren, in denen sie sich in Gemeinde- und Regionalparlamenten sowie in der Landesverwaltung gegen viele Männer behauptete, ihre direkte Sprache bewahrt hat. Vor dem gemütlichen Teil des Abends sagt sie: „Jetzt lassen wir’s krachen.“

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Noch aber lassen die von ihr zusammengetragenen Zahlen das Projekt einer weiblicheren CDU mindestens als Herkulesaufgabe erscheinen. Während in allen kommunalen Parlamenten bundesweit der Frauenanteil ohnehin nur bei etwa 30 Prozent liegt, unterbietet die CDU diesen Wert noch. Von den kommunalpolitisch Aktiven der Partei sind rund 11.800 Frauen, was 18,4 Prozent entspricht.

Das wirkt sich, wie Merz auf dem Netzwerktreffen erläutert, bis in den Bundestag aus, wo in der 196-köpfigen Unionsfraktion mit 47 Parlamentarierinnen nur ein Viertel Frauen sind. Da nutzt die auf dem Parteitag 2022 beschlossene Quote wenig, wenn die Landeslisten geschlechtergerecht aufgestellt werden, aber bei der Aufstellung der Direktkandidaten in den Wahlkreisen, von denen die CDU überproportional viele gewinnt, meist Männer zum Zug kommen.

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Weiblicher Führungsnachwuchs soll aus der Kommunalpolitik kommen

In einem Papier aus der Parteizentrale heißt es dazu: „Die CDU-Führung gibt sich mit diesen Zahlen nicht zufrieden und legt deshalb einen Schwerpunkt darauf, insbesondere mehr Frauen für die Kommunalpolitik zu begeistern.“ Schließlich sei dies auch „eine gute Grundlage für weitere Mandate auf Landes-, Bundes- und Europaebene“.

Das ist kein zukunftsfähiges Modell für unsere Gesellschaft.

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Friedrich Merz wünscht sich an diesem Abend, dass die Frauen selbstbewusst Ja sagen, wenn sie um Kandidaturen gebeten werden und erklärt es zur „Überlebensfrage der CDU als Volkspartei“, wenn sie nicht fest vor Ort verankert ist und nicht mehr Frauen sich in ihr engagieren. Seinen „Freundinnen“ bietet er sogar persönliche Unterstützung an: „Wenn sie unfaire Behandlungen erleben, melden sie sich bei ihrem Parteivorsitzenden.“ Er meine es „wirklich ernst“.

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Er weiß, dass der Frauenanteil im nächsten Bundestag sogar sinken könnte, wenn es jetzt nicht gelingt, mehr Kandidatinnen zu gewinnen. Schließlich hört eine Reihe von Politikerinnen auf.

So etwa die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, die schon vor dem Parteitag im Mai gemahnt hatte: „Um die nächste Bundestagswahl zu gewinnen, muss die CDU mehr Wählerinnen von sich überzeugen – das geht über mehr Sichtbarkeit von Frauen und ihren Themen.“

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Merz gibt sich Mühe, nicht dem eigenen Klischee zu entsprechen

Auch die hessische Bundestagsabgeordnete Katja Leikert tritt nicht mehr an. Sie attestiert Merz insgesamt zwar einen guten Job, finde sich in der Themensetzung aber nicht recht wieder: „Wir müssen in der CDU die Themen, die Frauen besonders bewegen, stärker in den Vordergrund stellen“, sagt sie.

„Migrations- und Wirtschaftspolitik sind wichtig, unsere Kita-Krise verdient aber genauso Aufmerksamkeit. Das Klinikum meiner Heimatstadt Hanau beispielsweise könnte viel mehr Ärztinnen und Pflegekräfte anstellen, wenn es eine entsprechende Kinderbetreuung gäbe.“

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Christina Stumpp betont in ihrer Begrüßungsrede ebenfalls Themen wie die Ganztagsbetreuung und die Pflege. Sie hat es gern gehört, dass auch Merz sich erkennbar Mühe gibt, nicht dem eigenen Klischee zu entsprechen. Er spricht darüber, wie Frauen in Deutschland mit 72 gegenüber 45 Milliarden Stunden immer noch die meiste unbezahlte Sorgearbeit leisten.

„Das ist kein zukunftsfähiges Modell für unsere Gesellschaft“, sagt der CDU-Chef, der zugleich das rückwärtsgewandte Frauenbild der AfD kritisiert: „Ich sage Ihnen das auch als Familienvater: Diese Aufgabe ist eine gemeinsame Aufgabe.“

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Christina Stumpp, die selbst zwei kleine Kinder hat, weiß, dass es gerade Mütter zerreißen kann, wenn zu Familie und Beruf auch noch politisches Engagement hinzukommt.

Um Frauen das zu erleichtern, will sie nächstes Jahr konkrete Vorschläge für die Parteiarbeit vorlegen: „Wir brauchen moderne Beteiligungsformen: von hybriden Gremiensitzungen mit klaren Beginn- und Endzeiten bis hin zu Unterstützungs-, Informations- und Kommunikationsangeboten.“ Die entsprechende CDU-App hat sie schon in Auftrag gegeben.

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Von Christopher Ziedler

Das Original zu diesem Beitrag "„Überlebensfrage als Volkspartei“: Diese Frau soll die Merz-CDU weiblicher machen" stammt von Tagesspiegel.