„Verfassungswidrig zu niedrig“: Expertin lässt in Bürgergeld-Debatte aufhorchen
Das Bürgergeld sorgt immer wieder für hitzige Debatten – doch Experten warnen: Die Sozialleistung ist eher zu knapp bemessen als zu großzügig.
München – Mehr als fünf Millionen Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger müssen 2025 mit einer Nullrunde auskommen. Eine Erhöhung der Sozialleistung bleibt damit aus. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) begründet diese Entscheidung mit dem gesetzlichen Anpassungsmechanismus, der die Regelsätze an die Inflation koppelt. Nachdem die Teuerungsrate zuletzt stark gesunken ist, entfällt demnach zum Jahresbeginn 2025 eine Anhebung des Bürgergeldes.
Zuletzt wurde das Bürgergeld am 1. Januar 2024 erhöht. Damals stieg der Regelsatz für Alleinstehende um 61 Euro auf 563 Euro, für Paare auf 506 Euro pro Person. Die Union spricht im Wahlprogramm von einer „überproportionalen Erhöhung“ und fordert eine „Modernisierung“ der jährlichen Anpassung. Die FDP sowie AfD plädieren währenddessen offen für Kürzungen des Bürgergeldes – und heizen die Debatte weiter an. Zu Unrecht, wie eine Sozialrechtsexpertin erklärt.
Bürgergeld zu hoch? Expertin spricht von Bedeutung für Existenzminimum
Im Themenheft „Zwei Jahre Bürgergeld in der Praxis“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. berichten Beteiligte aus der Praxis über ihre Erfahrungen mit dem Bürgergeld – unter anderem zur Karenzzeit bei den Unterkunftskosten, Förderung der beruflichen Weiterbildung und Leistungsminderungen. In einem Kapitel greift Anne Lenze, Professorin für Sozialrecht bei der Hochschule Darmstadt, auf, warum ihr zufolge die Anpassung der Regelbedarfe notwendig ist.
Diese Regelsätze gelten 2025:
Personen | Regelsatz |
---|---|
Alleinstehende und Alleinerziehende | 563 Euro |
Paare | 506 Euro |
18- bis 24-Jährige | 451 Euro |
14- bis 17-Jährige | 471 Euro |
6- bis 13-Jährige | 390 Euro |
Kinder bis 5 Jahre | 357 Euro |
„Die Regeln über die Fortschreibung der Regelbedarfe zum 1. Januar eines jeden Jahres haben eine herausragende Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit des menschenwürdigen Existenzminimums“, so Lenze. Da eine vollständige Neuberechnung der Regelsätze nur alle fünf bis acht Jahre erfolgt, ist eine regelmäßige Anpassung unerlässlich, um inflationsbedingte Kaufkraftverluste auszugleichen. Ohne diese Fortschreibung würden die Sozialleistungen mit der Zeit an Wert verlieren.
Die Anpassung erfolgt durch einen Mischindex, der die Preisentwicklung lebensnotwendiger Güter sowie die Lohnentwicklung berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat daher mehrfach betont, dass der Gesetzgeber bei plötzlichen Preissprüngen unverzüglich reagieren muss, um eine existenzgefährdende Unterdeckung zu vermeiden. Denn selbst kleine Verluste können für Betroffene eine erhebliche Belastung darstellen und das Existenzminimum gefährden.
Bürgergeld in Zeiten von Inflation – „Schützt nicht vor Armut“
Laut Lenze „kamen die Schwächen der Anpassungsformel zum Tragen“, als die Preise ab Mitte 2021 stark stiegen. Die zuvor gesenkte Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent und von sieben auf fünf Prozent hatte die Inflation künstlich niedrig gehalten. Die Lieferengpässe durch die Corona-Pandemie und der Beginn des Ukraine-Kriegs ließen sie plötzlich in die Höhe schnellen – eine Entwicklung, die bei der Berechnung der Bürgergeld-Regelsätze für 2022 unberücksichtigt blieb.
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„Es war ein offenes Geheimnis, dass die Regelbedarfe im Jahr 2022 verfassungswidrig zu niedrig waren“, so die Sozialrechtsexpertin. Geändert hat sich dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Joachim Rock, zufolge wenig: Trotz steigender Preise gebe es „nicht einmal einen Inflationsausgleich“, erklärt er IPPEN.MEDIA. So bleibe beim Bürgergeld alles beim Alten: „Der Regelsatz wird weiterhin kleingerechnet. Er deckt nicht den wahren Bedarf. Er schützt nicht vor Armut.“
„Vielzahl populistischer Thesen, aber wenig Fakten“ – Wie mit Bürgergeld Stimmung gemacht wird
Auch Jutta Schmitz-Kießler, Expertin für Sozialpolitik, warnt auf der Website der Hans Böckler Stiftung davor, dass eine Kürzung des Bürgergeldes weder finanzielle Entlastung für den Staat bringen würde noch sozialpolitisch sinnvoll wäre. Vielmehr würden solche Einsparungen vor allem jene treffen, die ohnehin am stärksten von steigenden Lebenshaltungskosten betroffen sind. Bei der Bürgergeld-Debatte kursieren „eine Vielzahl populistischer Thesen, aber wenig Fakten“, erklärt sie.
Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Lenze. Ihrer Meinung nach sei damit zu rechnen, dass die Höhe der Regelbedarfe immer wieder ins Zentrum des politischen und medialen Interesses geraten werde. Da die Bindung der Wählerinnen und Wähler insgesamt schwach sei, versuchen Parteien, kurzfristige Stimmungen aufzugreifen. „Das Verfahren zur Ermittlung und Anpassung der Regelbedarfe wird daher weiterhin in regelmäßigen Abständen die Gemüter erregen – leider“. (cln)