Finanzierungskrise bei Start-ups wächst – Made in Germany zum Narrativ der Vergangenheit?

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Deutsche Start-ups kommen immer schwerer an Geld. Experten erwarten weitere Jobverluste in der Branche. Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbands, fordert ein Umdenken in Deutschland.

Frankfurt/Main – Die Finanzierungskrise bei deutschen Start-ups hat sich deutlich verschärft. Jungunternehmen sammelten 2023 sechs Milliarden Euro Wagniskapital ein und damit 39 Prozent weniger als im Vorjahr (9,9 Mrd Euro), zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbands, zeigt sich jedoch optimistisch und fordert mehr Stolz für deutsches, erfolgreiches Unternehmertum.

„Ich würde gerne Weltmarktführer genauso feiern, wie wenn wir Fußballweltmeister werden“

Sie wünsche sich mehr Stolz auf erfolgreiche deutsche Unternehmen, sagte Pausder in einem Interview mit ntv: „Ich würde gerne Weltmarktführer genauso feiern, wie wenn wir Fußball- oder Basketballweltmeister werden. Wenn wir hier eine Innovation entwickeln, von der die ganze Welt spricht, dann ist Deutschland mal wieder Talk of Town und dann ist Made in Germany nicht so ein Narrativ der Vergangenheit.“

Verena Pausder
Verena Pausder ist die neue Vorsitzende des Startup-Verbands. © Marijan Murat/dpa

Momentan sieht es aber eher düster aus: 2023 war schon das zweite Jahr mit einem kräftigen Rückgang in Folge. Gemessen am Rekordjahr 2021 schrumpften die Investments fast um zwei Drittel (65 Prozent) – damals hatten Geldgeber 17,4 Milliarden Euro in Start-ups gesteckt.

Startup-Verband spricht von „Alarmsignal“

EY-Partner Thomas Prüver verwies auf die hohe Inflation, gestiegene Zinsen, die schwache Konjunktur und Unsicherheit wegen Kriegen. „Um auch in diesen schwierigen Zeiten an frisches Kapital zu kommen, reichen für Start-ups gute Ideen allein nicht mehr aus.“ Nötig seien solide Geschäftsmodelle und die Aussicht auf Profitabilität.

Die rauen Zeiten für Start-ups zeigen sich zudem bei den Finanzierungsrunden. Ihre Zahl sank laut EY 2023 um 15 Prozent zum Vorjahr auf 861 Deals. Zudem gab es nur acht große Deals mit mehr als 100 Millionen Euro - 2022 waren es 19. Insgesamt fielen die Investments ungefähr auf das Vor-Corona-Niveau von 2019 zurück. Der Startup-Verband sprach von einem „Alarmsignal, vor allem bei den ausbleibenden Mega-Deals.“

Start-ups: Verpufft der Boom nach der Corona-Pandemie?

Start-ups sind auf Investoren angewiesen, da sie erst auf Wachstum setzen, bevor sie Gewinne schreiben. Große Fonds und Konzerne beteiligen sich mit Wagniskapital an jungen Firmen in der Hoffnung, dass sich deren Ideen durchsetzen. Noch in der Corona-Pandemie hatten Start-ups einen Boom erlebt. Sie profitierten davon, dass die Zinsen niedrig waren und die Digitalisierung einen Schub bekam – etwa bei Finanzgeschäften, Online-Shopping oder Essenslieferungen.

Doch mit dem Zinsanstieg folgte die Krise: Viele Start-ups strichen Jobs, andere wie der Lieferdienst Gorillas wurden übernommen. Auch bei den Gründungen ging es bergab: 2023 entstanden laut Startup-Verband knapp 2500 Firmen, fünf Prozent weniger als im Vorjahr. EY-Partner Prüver rechnet damit, dass der Jobabbau in der Branche weiter geht. Auch 2024 müssten Start-ups signifikant sparen. „Das betrifft auch und insbesondere die Personalkosten.“

Zudem hinkt Deutschland beim Wagniskapital anderen Ländern hinterher. Hierzulande werde 85 Euro pro Kopf in Wagniskapital investiert, in Großbritannien seien es 171 Euro, sagte Pausder. Zur Tech-Nation USA ist der Abstand noch weit höher. Bei großen Finanzierungsrunden sind hiesige Start-ups meist auf angelsächsische Investoren angewiesen. Und gerade US-Geldgeber hielten sich zuletzt mit Engagements in Europa zurück, berichtete der Risikokapitalgeber Atomico - was Start-ups in Deutschland trifft.

Ausblick in die Zukunft: „Ich glaube, dass das die Talsohle war“

Immerhin: Ungeachtet der Corona-Sonderkonjunktur hat der Start-up-Standort Deutschland große Fortschritte gemacht. Die Zahl der Start-ups mit Milliarden-Bewertung hat sich seit 2018 auf 33 fast verfünffacht, so der Startup-Verband. Darunter sind die Online-Bank N26, der Übersetzungsdienst DeepL und der Fernbus- und Zugbetreiber Flix.

EY-Experte Prüver zeigt sich deshalb weiter optimistisch. „Übertreibungen aus den Boom-Jahren liegen jetzt hinter uns, Investoren sowie Gründerinnen und Gründer sind vorsichtiger und realistischer geworden.“ Einiges spreche dafür, dass die Talsohle bei der Finanzierung erreicht sei. „Die Start-ups, die heute entstehen, wachsen und frisches Geld erhalten, haben die erste Bewährungsprobe schon bestanden und sich als widerstandsfähig erwiesen.“

Pausder sieht das als Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbands gegenüber ntv ähnlich: „Ich glaube, dass das die Talsohle war. Jetzt geht es eher darum, wie wir es schaffen, dass die erfolgreichen deutschen Start-ups deutsch oder europäisch bleiben und nicht nur außereuropäisches Geld bekommen, um weiter wachsen zu können.“ Sie schlägt vor, dass man in Deutschland mehr auf Zuwanderung und Digitalisierung setzen und dafür Bürokratie abbauen sollte.

Mit Material der dpa

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