Wie Ukrainer sich vor dem Kriegsdienst drücken

Ein ukrainischer Soldat in einer Stellung am Fluss Dnipro: Die Streitkräfte der Ukraine machen wohl signifikante Vorstöße am Fluss, der die Ukraine teilt. Vergrößern des Bildes Ein ukrainischer Soldat in einer Stellung am Fluss Dnipro: Die Streitkräfte der Ukraine machen wohl signifikante Vorstöße am Fluss, der die Ukraine teilt. (Quelle: IMAGO/Dmytro Smoliyenko)
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Zehntausende Ukrainer sollen sich davor drücken, einberufen zu werden. Grenzschützer berichten von Toten.

Die ukrainischen Grenztruppen haben es nicht nur mit Feinden zu tun, die von außen kommen. Ihre Augen sind ins eigene Land gerichtet. Von dort nämlich versuchen Landsleute vor dem Kriegsdienst zu fliehen. Nicht wenige, wie eine Recherche der BBC jetzt herausgefunden hat.

Demnach seien 20.000 Ukrainer bereits geflohen, und weitere 21.000 hätten es versucht, wurde aber geschnappt. Viele seien über die Grenzen im Süden marschiert. Besonders Rumänien und Moldau scheinen bei den Flüchtenden beliebt zu sein. Sie gehen auf eigene Faust los oder bezahlen Schleuser. Reporter der BBC waren mit Grenztruppen in der Ukraine und in Moldau unterwegs. Wladislaw, ein 22-jähriger Grenzsoldat, sagt, dass es ständige Versuche gebe, nach Rumänien zu kommen.

Nach ukrainischem Kriegsrecht ist es Männern unter 60 Jahren untersagt, das Land zu verlassen, wenn sie keine Befreiung vom Militärdienst haben. Wer erwischt wird, kann mit bis zu acht Jahren Gefängnis rechnen. Der gefragte Soldat sagt, dass in seinem Bereich allein seit Kriegsbeginn 4.000 Männer gestoppt wurden, als sie nach Rumänien übertreten wollten. Doch an anderen Orten seien die Zahlen noch höher.

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Schon 19 Tote aus Grenzfluss geholt

Ein moldawischer Grenzbeamter, der gerade zwei Ukrainer festgenommen hat, sagt im BBC-Bericht: "Im Durchschnitt kommen 20 Ukrainer pro Tag". Und das sind nur diejenigen, die man an der 1.200 Kilometer langen Grenzen auch verfolgen kann. Etwa 11.000 Personen seinen bereits nach Moldau geflohen. Ungefährlich ist das nicht: Ein Grenzbeamter berichtet den britischen Journalisten, dass bei Regen der Tisar-Grenzfluss anschwellen kann, manchmal innerhalb einer Stunde. Viele, die vor dem Überqueren gefasst wurden, hätten den Beamten später gedankt. Insgesamt habe man bereits 19 Tote gefunden.

Wer flieht, tut dies nicht nur aus Angst vor einem Fronteinsatz. Jewgeni, 37, erzählt den Reportern, dass seine Familie schon in England sei und er auch auf dem Weg sei. Er könne kaum noch in der Ukraine überleben, die Preise seien hoch, es gebe kaum Arbeit.

Schleuser werben auf Telegram

Viele machen sich in der Nacht auf den Weg zur Grenze, können aber mit Nachtsichtgeräten und Wärmekameras aufgespürt werden. Um dennoch einen sicheren Weg zu haben, suchten sie Waldgebiete auf. In Telegram-Gruppen tauschten Flucht-Interessierte ihre Erfahrungen aus und geben Tipps. Das gibt es aber nicht umsonst: Bis zu 3.000 US-Dollar hätten sie gezahlt, berichten Zeugen der BBC.

Wer sich nicht auf den beschwerlichen Weg zu einer der Grenzen machen will, kann sich auch auf andere Weise vor dem Militärdienst drücken: mit Geld. Nach BBC-Recherchen sollen Bestechungen helfen, ein Dokument zur Befreiung vom Militärdienst zu bekommen. Korruption ist noch immer weit verbreitet in der Ukraine und einer der Punkte, die immer wieder bei Gesprächen zu einem EU-Beitritt angesprochen wurden.

Die ukrainische Regierung scheint zumindest bei den Militärposten aufräumen zu wollen. Die Behörden untersuchen 260 Strafverfahren wegen mutmaßlicher "Verstöße" bei militärischen Rekrutierungsbüros, teilte Ende Oktober das "State Bureau of Investigations" (SBI) mit. Präsident Wolodymyr Selenskyj entließ im August die Leiter regionaler Rekrutierungszentren, nachdem Vorwürfe wegen kriminellen Missbrauchs und Korruption erhoben worden waren.

Nach Angaben des SBI seien 21 Anklagen gegen 35 Personen an das Gericht übermittelt worden und weitere 58 Personen seien als Verdächtige identifiziert worden. Es hieß außerdem, es habe mutmaßliche Bestechungsgelder im Wert von rund 110.000 US-Dollar dokumentiert und die Gerichte hätten Eigentum im Wert von rund 88.000 US-Dollar beschlagnahmt. Insgesamt sollen es bereits 7.000 Männer sein, die wegen gefälschter Papiere festgenommen wurden.