Zukunftsforscher Thomas Druyen - Wer bestimmt ihr Leben? Warum KI nicht zum Autopilot werden darf
Künstliche Intelligenz bietet immense Möglichkeiten – und birgt zugleich Gefahren. Zukunftsforscher Thomas Druyen diskutiert, wie Technologie unsere Kreativität beeinflusst und warum wir uns nicht zum passiven Konsumenten entwickeln sollten.
Welche Auswirkungen hat eine unkritische Verwendung von KI-Errungenschaften auf unsere Kreativität?
Die unkritische Verwendung von KI-Errungenschaften kann unsere Kreativität sowohl unterstützen als auch untergraben – abhängig davon, wie und wofür wir sie nutzen. KI bietet Werkzeuge, die kreative Prozesse beschleunigen und vereinfachen. Sie kann Bilder generieren, Texte schreiben, Musik komponieren und sogar beim Design unterstützen. Diese Fähigkeiten können Kreativen Inspiration liefern und Ideen zugänglich machen, die zuvor vielleicht nicht im Blickfeld waren. Beispielsweise kann ein Designer durch KI-generierte Vorschläge zu Farb- und Formkombinationen inspiriert werden oder ein Autor erhält durch KI-Textvorschläge, die einen neuen Ansatz für eine Geschichte bieten.
Doch genau hier liegt auch die Gefahr. Wenn wir uns zu stark auf KI verlassen, besteht das Risiko, dass wir Kreativität zunehmend als etwas Automatisierbares begreifen und nicht mehr den Raum schaffen, den kreative Prozesse eigentlich brauchen: Fehler, Experimente, Überraschungen. Kreativität lebt von der Reibung und den unvorhergesehenen Wendungen, die sich nicht allein durch algorithmische Berechnungen simulieren lassen. Wenn Ideen nur noch auf KI-Vorschlägen beruhen, wird der kreative Prozess selbst passiver. KI kann zwar zahllose Variationen eines Kunstwerks oder Textes liefern, aber die entscheidenden kreativen Brüche, die aus einem Werk etwas Einzigartiges machen, stammen meist aus menschlicher Intuition und persönlicher Erfahrung.
Ein weiteres Risiko ist die Gleichförmigkeit. Wenn viele Kreative ähnliche KI-Tools nutzen, um Ideen und Konzepte zu entwickeln, könnte das Resultat sein, dass Werke einander ähneln und an Vielfalt verlieren. Ein KI-generiertes Bild oder ein KI-geschriebener Text könnte ansprechend sein, aber ohne die Individualität und Tiefe, die menschliche Kreativität auszeichnet.
KI kann also kreative Prozesse ergänzen, aber eine unkritische Nutzung birgt die Gefahr, dass die Qualität und Originalität unserer kreativen Leistungen leiden. Wenn wir KI als Ergänzung, nicht als Ersatz nutzen, könnte sie uns helfen, kreative Prozesse zu erweitern, ohne sie zu untergraben. Entscheidung ist die Kompetenz, die man sich selbst im Umgang mit der KI erarbeitet. Um mit Ihr zu kommunizieren, gibt es eine eigene Sprache, das Prompten. Ohne sie ist man nur ahnungsloser Nutzer und in gewisser Weise Analphabet.
Über den Experten Thomas Druyen

Thomas Druyen beschäftigt sich seit über drei Jahrzehnten mit den Auswirkungen von Veränderung auf die Psyche, die Gesellschaft und die Generationen. Er ist seit 2015 Direktor des Instituts für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement sowie seit 2006 Direktor des Institutes für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. Sein aktuelles Buch heißt: „Aus der Zukunft lernen – der Leitfaden für konkrete Veränderung.“
Besteht nicht die Gefahr, dass Menschen nur noch einem Reiz-Reaktions-Schema folgend handeln?
Ja, die Gefahr besteht, dass Menschen zunehmend in ein Reiz-Reaktions-Schema verfallen, wenn sie KI unreflektiert und passiv nutzen. KI-Systeme wie Empfehlungsalgorithmen oder automatische Assistenten sind so konzipiert, dass sie uns auf Basis unserer bisherigen Aktivitäten Vorschläge machen.
Das Risiko dabei: Wir reagieren nur noch auf diese Empfehlungen, ohne aktiv zu entscheiden, was wir eigentlich wollen. So kann sich ein Verhalten etablieren, das nur noch auf den Reiz (den Vorschlag der KI) mit einer automatischen Reaktion (Klicken, Kaufen, Ansehen) antwortet.
Diese Form der Automatisierung unseres Handelns macht uns abhängig von Algorithmen, die nicht unbedingt unsere besten Interessen im Blick haben. Hier muss die Haltung der Nutzer aktiv und massiv verändert werden: Statt auf die Vorschläge der KI einfach zu reagieren, sollten wir das Reiz-Reaktions-Schema bewusst umdrehen. Dies bedeutet, dass wir selbst definieren, was wir wollen, bevor wir auf die KI-Angebote eingehen. Die Technologie sollte als Hilfsmittel für gezielte und informierte Entscheidungen dienen, nicht als Autopilot.
Um dies zu erreichen, ist es notwendig, Prävention, Früherkennung und Voraussicht als zentrale Prinzipien zu verankern. Statt zu warten, bis uns die KI den nächsten Reiz liefert, sollten wir vorab definieren, welche Informationen, Trends oder Optionen für uns tatsächlich relevant sind.
In der Gesundheitsvorsorge beispielsweise sollte KI genutzt werden, um Risiken frühzeitig zu erkennen und präventiv zu handeln, anstatt nur auf akute Symptome zu reagieren. In der Finanzwelt kann die Technologie genutzt werden, um langfristige Trends zu analysieren und bewusstere Investitionsentscheidungen zu treffen, statt nur impulsiv auf Marktbewegungen zu reagieren. Indem wir die Reiz-Reaktions-Dynamik aktiv umdrehen, können wir die Kontrolle über unser Handeln zurückgewinnen und KI für vorausschauendes Denken und bewusstes Handeln nutzen.
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Welche Auswirkungen haben KI-Werkzeuge im Bildungsprozess junger Menschen?
KI-Werkzeuge können den Bildungsprozess junger Menschen grundlegend transformieren und bieten Chancen, die weit über das traditionelle Lernen hinausgehen. Künstliche Intelligenz ermöglicht eine nie dagewesene Personalisierung des Lernens: Sie passt sich an das individuelle Lerntempo und die spezifischen Bedürfnisse jedes Schülers an. Wo früher eine Lehrkraft versucht hat, einer ganzen Klasse einheitlich gerecht zu werden, bietet KI die Möglichkeit, jeden Schüler gezielt zu unterstützen.
Lernplattformen, die auf KI basieren, analysieren kontinuierlich den Fortschritt, erkennen Wissenslücken und passen die Inhalte und den Schwierigkeitsgrad in Echtzeit an. So wird Lernen zu einem aktiven, dynamischen Prozess, der auf die einzelnen Lernenden abgestimmt ist. Gerade für Schüler mit Lernschwierigkeiten oder besonderen Begabungen bedeutet dies eine wertvolle Förderung, die sie im traditionellen Schulsystem meistens vermissen.
Darüber hinaus bietet KI den Zugang zu Bildung für alle, unabhängig von geografischer Lage oder sozialem Hintergrund. Bildungsplattformen, die weltweit verfügbar sind, ermöglichen Kindern und Jugendlichen in entlegenen Regionen oder in strukturschwachen Gegenden eine hochwertige Bildung.
Wo Schulen oder qualifizierte Lehrkräfte fehlen, öffnet KI Türen: Schüler und Schülerinnen können auf umfangreiche Wissensdatenbanken zugreifen, die ihnen komplexe Inhalte interaktiv und visuell ansprechend vermitteln. Bildung wird so zu einem globalen Gut, das für viele erstmals erreichbar wird. Diese Demokratisierung von Bildung ist revolutionär und hat das Potenzial, Bildungsgerechtigkeit herzustellen, wo sie bisher nicht möglich war.
Ein weiterer entscheidender Vorteil der KI im Bildungsbereich ist ihre ständige Verfügbarkeit. Die Technologie ist rund um die Uhr zugänglich, sodass Schüler jederzeit auf Unterstützung zurückgreifen können. Ob abends nach der Schule oder am Wochenende – Chatbots und virtuelle Lernassistenten stehen bereit, Fragen zu beantworten, Aufgaben zu erklären und mit zusätzlichen Materialien zu unterstützen. Diese Flexibilität ermöglicht es Schülern, nach ihrem eigenen Rhythmus zu lernen, ohne auf die begrenzten Schulstunden angewiesen zu sein.
Für Lehrer bedeutet dies eine erhebliche Entlastung, denn KI kann viele Routinefragen autonom klären und Übungen effizient begleiten. Lehrkräfte gewinnen wertvolle Zeit, die sie in intensiveren Austausch und individuelle Betreuung investieren können, anstatt sich in administrativen Aufgaben zu verlieren.
Besonders bedeutend ist die Rolle der KI bei der Förderung von selbstständigem Lernen und Problemlösungsfähigkeiten. Statt nur Wissen abzufragen, motiviert KI junge Menschen dazu, aktiv zu lernen und ihre Neugier zu wecken. Systeme, die Schüler spielerisch an das Programmieren heranführen, schulen logisches Denken und fördern die Kreativität. In einer zunehmend digitalisierten Welt werden solche Fähigkeiten entscheidend sein, und KI bietet die Werkzeuge, die es jungen Menschen ermöglichen, sich diese Kompetenzen frühzeitig anzueignen. Die Schüler lernen nicht nur Fakten, sondern auch, wie sie effektiv mit digitalen Technologien umgehen und ihre eigenen Lernprozesse steuern können.
Die revolutionäre Bedeutung von KI im Bildungsprozess zeigt sich darin, dass sie das Lernen zu einem individualisierten, interaktiven und kontinuierlichen Prozess macht. Sie bietet nicht nur kurzfristige Erleichterungen, sondern prägt eine neue Generation, die sich sicher und selbstbewusst in einer digitalisierten Welt bewegt. Die Vision einer Bildung, die allen zugänglich ist und jeden einzelnen fördert, rückt dank KI in greifbare Nähe. Diese Technologie stellt somit eine transformative Kraft dar, die unser Bildungssystem grundlegend modernisiert und auf die Herausforderungen und Möglichkeiten der Zukunft vorbereitet.
"Pflege. Zukunft. Menschenrecht." von Thomas Druyen und Christine Vogler
Warum interessiert sich der Großteil der Bevölkerung nicht um die gravierenden Veränderungen von KI?
Es ist tatsächlich absurd: Wir erleben gerade eine der tiefgreifendsten und schnellsten technologischen Veränderungen der Geschichte, und doch interessiert sich ein Großteil der Bevölkerung kaum dafür, was Künstliche Intelligenz eigentlich bedeutet. KI verändert die Arbeitswelt, die Bildung, die Kommunikation und die Art, wie wir unser tägliches Leben organisieren – und das alles in einer Geschwindigkeit, die es so noch nie gegeben hat. Und trotzdem: Die meisten Menschen nutzen KI, ob in Form von Smartphones, sozialen Medien, Online-Shopping oder Navigationssystemen, ohne einen Gedanken an die dahinterliegende Technologie zu verschwenden.
Es ist, als wären wir alle nur noch Nutzer geworden, die einfach die Vorteile genießen, ohne wissen zu wollen, wie die Maschine funktioniert. Menschen nehmen die Möglichkeiten der KI wie selbstverständlich in Anspruch, beschweren sich, wenn etwas nicht funktioniert, aber fragen kaum, wie diese Systeme arbeiten, wie sie lernen, welche Daten sie verarbeiten und wie sehr sie unser Verhalten beeinflussen. Der Mensch wird damit zum passiven Konsumenten, der sich mit der Rolle des Nutzers zufriedengibt, als wäre das die einzige Option.
Statt Neugier und Wissensdurst regiert oft eine Haltung der Bequemlichkeit. Man könnte fast sagen, der Mensch ist zum Touristen in seinem eigenen Leben geworden – jemand, der ständig „bucht“ und „meckert“, aber keinen Anspruch mehr daran stellt, die Mechanismen zu verstehen, die sein Leben gestalten.
Diese Haltung ist jedoch gefährlich. Die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung ist exponentiell, und KI wird umfassend unser Denken, Handeln und Entscheiden beeinflussen. Wer nicht mit der Technologie Schritt hält, bleibt zurück, und wer sie nicht versteht, kann sie nicht kritisch hinterfragen oder selbstbestimmt nutzen. Wir stehen vor einem einzigartigen Paradigmenwechsel, der einen aktiven Umgang mit KI erfordert.
Die Zeit des passiven Konsumierens sollte vorbei sein – es ist Zeit, dass wir aufwachen und uns mit der Technologie auseinandersetzen, die bereits unseren Alltag beherrscht.
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