Heftige Kritik an Merz-Regierung wegen Rente, Bürgergeld und Stromsteuer: „Grenzt an Verantwortungslosigkeit“

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Union und SPD zoffen sich, der Koalitionsausschuss könnte die Wogen glätten – oder den Streit verschärfen. Derweil kritisiert der Bund der Steuerzahler besonders Söders Rentenpolitik hart.

Berlin – Es erinnert schon beinahe an Ampel-Zeiten: Partner vereinbaren etwas, geben sich die Hand. Sobald sich aber umgedreht wird, wird der hart verhandelte Kompromiss zerrissen und Kritik am Koalitionspartner laut. Was früher SPD, Grüne und FDP gut beherrschten, scheint nun auch Schwarz-Rot zu können.

Bestes Beispiel: die Senkung der Stromsteuer. Im Koalitionsvertrag wird sie für alle angekündigt – zuletzt einigten sich Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), sie vorläufig auf das Gewerbe zu begrenzen. Der Aufschrei ist groß, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Unions-Fraktionschef Jens Spahn kündigten die Einigung kurzerhand öffentlich auf. Drohen beim Koalitionsausschuss am Mittwoch endgültig Ampel-Verhältnisse, oder können sich Union und SPD zusammenraufen? So oder so: Die inhaltliche Kritik ist schon jetzt laut.

Der Koalitionsausschuss rund um Kanzler Friedrich Merz und seinen Vize Lars Klingbeil (beide Mitte) hat am Mittwoch viel zu tun: Union und SPD zoffen sich bereits und auch an den Regierungsplänen gibt es laute Kritik.
Der Koalitionsausschuss rund um Kanzler Friedrich Merz und seinen Vize Lars Klingbeil hat am Mittwoch viel zu tun: Union und SPD zoffen sich bereits und auch an den Regierungsplänen gibt es laute Kritik. © IMAGO/ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler

Mütterrente, Stromsteuer und Bürgergeld: Umstrittene Themen sorgen für Streit

Drei Themen sollen im Fokus stehen, wenn die Koalitionsspitzen zusammenkommen: die Stromsteuer, das Bürgergeld und die Mütterrente. Die Projekte sind umstritten, Kritik prasselt auf Merz und Klingbeil von fast überall ein. Erstes Beispiel: die Ausweitung der Mütterrente, das große Wahlkampfgeschenk der CSU. Sie soll ab 2028 kommen, Erziehungsleistungen besser anerkennen und jährlich circa 4,5 Milliarden Euro kosten. CSU-Chef Söder macht nun Druck, das Projekt schon früher zu starten.

Für den Bund der Steuerzahler (BdSt) in Zeiten ohnehin klammer Rentenkassen eine nicht hinnehmbare Forderung. „In dieser strukturellen Krise einseitig auf Leistungsausweitungen zu setzen, wie durch die Fixierung des Rentenniveaus oder die Ausweitung der Mütterrente, grenzt an Verantwortungslosigkeit“, kritisiert BdSt-Präsident Reiner Holznagel gegenüber dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. „Denn der sowieso zunehmende demografische Druck auf das Umlagesystem sowie den Bundeshaushalt wird dadurch nochmals künstlich erhöht. Gerade in der Rentenpolitik sehen wir derzeit viele ungedeckte Schecks.“

Der Paritätische Gesamtverband dagegen gibt sich in Sachen Mütterrente gemäßigter. Geschäftsführerin Katja Kipping sagte gegenüber dieser Redaktion: „Als Paritätischer beteiligen wir uns ausdrücklich nicht an der Kritik der Mütterrente, gerade weil wir um die höheren Armutsquoten unter älteren Frauen wissen.“

Strom wird nicht für alle günstiger: harte Kritik an Merz und Klingbeil für gebrochenes Versprechen

Anlass zur Kritik sieht Kipping woanders – im zweiten Beispiel der umstrittenen Themen: der Stromsteuer, die entgegen der Versprechen nun doch nicht für alle gesenkt werden soll. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten ist es Kipping zufolge wichtig, den Binnenmarkt zu stärken. Dafür „ist es besonders hilfreich, Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen zu entlasten, da sie erfahrungsgemäß mehr Geld eher vor Ort ausgeben und somit die Wirtschaft lokal stärken“, so Kipping. „Insofern setzen wir uns als Paritätischer Gesamtverband dafür ein, dass gerade die privaten Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen von der Stromsteuerentlastung profitieren. Es wäre zudem ein schlechter Start für die Merz-Regierung, wenn sie gleich mit dem Bruch eines Entlastungsversprechens startet“, so die Geschäftsführerin des Paritätischen.

An die Zusagen im Koalitionsvertrag erinnert auch Holznagel vom Bund der Steuerzahler. „Die Koalition hat versprochen, nach Regierungsantritt die Stromsteuer als Sofortmaßnahme auf das europäische Mindestmaß abzusenken. Und zwar für alle!“ Holznagel fordert Merz und Klingbeil auf, ihre Zusage einzuhalten. „Das war eines der großen Entlastungsversprechen von Union und SPD. Somit steht die Koalition im Wort – vor allem gegenüber den Bürgern und dem Mittelstand, denen diese wichtige Steuersenkung nun verwehrt werden soll.“

Wie es in Sachen Stromsteuer weitergeht, ist derzeit noch völlig offen. Angesichts der klammen Haushaltslage und des selbst auferlegten Sparzwangs (trotz Sondervermögens), einigten sich Klingbeil und Merz auf die Entlastung nur für manche. Doch der öffentliche Druck steigt. Und auch immer mehr Mitglieder aus CDU und SPD scheinen darunter einzuknicken, fordern das Einhalten des Koalitionsversprechens.

Bürgergeld: teures Steuergeschenk oder notwendige Sozialleistung?

Bleibt das dritte große Streitthema der noch jungen Koalition, das im Ausschuss besprochen wird: die von der Union forcierte Abschaffung des Bürgergelds. Gerade werden im Arbeitsministerium Möglichkeiten zur „Weiterentwicklung“ und Einsparpotenziale des im SGB II festgelegten Bürgergelds geprüft. Die Union will auf die Tube drücken, wie die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, auf Nachfrage dieser Redaktion klarmacht. Sie kritisiert die zu hohen Kosten von jährlich 50 Milliarden Euro.

„Die Kostenspirale beim Bürgergeld muss endlich gekappt werden. Und die Umstellung auf die neue Grundsicherung jetzt angepackt werden. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wer Hilfe braucht, muss diese bekommen. Wer arbeiten kann, muss dies tun. Leistung muss sich wieder lohnen. Arbeitnehmer und Betriebe dürfen nicht den Kürzeren ziehen“, so Connemann.

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Auch der Bund der Steuerzahler spricht sich für eine Reform des Bürgergelds aus: „Innerhalb des Bürgergeld-Systems sind dringend Änderungen nötig, die zur Arbeitsaufnahme, etwa durch Förderung und Qualifizierung, anspornen. Im Koalitionsvertrag ist das Gerüst dafür vereinbart – es muss jetzt zügig umgesetzt werden“, so BdSt-Präsident Holznagel. Am wichtigsten seien in diesem Kontext aber die Wirtschaftswende und eine Belebung des Arbeitsmarktes.

Jens Spahn will beim Bürgergeld sparen: „Durchschaubares Ablenkungsmanöver“

Besonders Unions-Fraktionschef Spahn ging – nachdem er zuvor durch seine Maskenaffäre im Zentrum der Berichterstattung stand – mit Forderungen harter Einschnitte beim Bürgergeld in die Offensive. Für den Paritätischen Gesamtverband unverständlich: „Spahn hat die Rechnung ohne die Mathematik gemacht“, so Kipping. „Selbst der massive Einsatz von Totalsanktion wird niemals die Summen aufbringen, die für den Bundeshaushalt notwendig sind, sie werden aber im Einzelnen bei den betroffenen Familien viel Elend zur Folge haben“, sagt die Geschäftsführerin. Die Fakten widerlegten Spahns Vorstoß, durch Kürzungen beim Bürgergeld wirklich zu sparen, um so den Haushalt zu entlasten. „Hier geht es wohl eher um ein durchschaubares Ablenkungsmanöver.“

Vor dem Koalitionsausschuss gibt es für Kanzler Merz also eine ganze Reihe an Baustellen. Neben inhaltlichen Fragen auch die, wie die Koalition künftig zusammenarbeitet. Werden die Streitpunkte rund um Strom, Bürgergeld und Rente intern gelöst, oder rutscht Schwarz-Rot endgültig in den Ampelmodus?

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