Wahl in Kanada: Vielen Dank, Herr Trump! Pöbel-Präsident macht Carney zum Premier
Mark Carney, ehemaliger Zentralbankchef, politischer Quereinsteiger und Kandidat der Mitte-Links-Partei Liberal Party of Canada, hat bei den kanadischen Parlamentswahlen einen sensationellen Wahlsieg errungen – und darf sich beim amerikanischen Präsidenten Donald Trump für ungewollte Wahlhilfe bedanken.
Denn noch vor wenigen Monaten führte Carneys Herausforderer, der schneidige Populist Pierre Poilievre von der Conservative Party of Canada mit einem grandiosen Vorteil: In den Umfragen lag er mit bis zu 25 Prozentpunkten vorne. Aber der Berufspolitiker Poliievre hatte zugleich einen riesigen Nachteil: über die Grenze tönte Trump immer wieder, dass Kanada zum 51. Bundesstaat der USA werden solle, und der ihm in anderen Punkten nahestehende Konservative („Kampf gegen das Establishment“) distanzierte sich zu spät von diesen Angriffen auf die Souveränität des Ahornstaates.
Kanada wählt Top-Banker und Anti-Trump
Carneys Liberale Partei gewann laut Prognosen 156 von 343 Sitzen im Unterhaus, was die Bildung einer Minderheitsregierung wahrscheinlich macht. Vor und auch nach dem Rücktritt von Premier Justin Trudeau im Januar hatten die Liberalen noch miserabel in den Umfragen gestanden. Doch Carney, Parteivorsitzenden erst seit März, baute auf zwei Punkte:
Erstens auf seine internationale Erfahrung als Top-Banker, das den Wählern Zutrauen in seine Fähigkeit vermitteln sollte, Verwerfungen der Wirtschaft wie schwaches Wachstum und unbezahlbare Immobilien- und Mietpreise in den Griff zu bekommen.
Und zweitens darauf, dass er Trumps Beleidigungen, der Justin Trudeau regelmäßig als „Gouverneur“ verhöhnt hatte, so als sei Kanada bereits in die USA eingemeindet, unbeeindruckt konterte. So geriet die Auseinandersetzung wie die Begegnung auf dem Schulhof zwischen dem starken Bully, Trump, 1,90 Meter groß, und seinem vermeintlichen Opfer, dem einen halben Kopf kleineren Carney.
Carney, 60, ging nicht etwa in die Knie, als Trump, 78, hohe Zölle gegen Kanada und vor allem dessen Autozuliefererindustrie verfügte. Stattdessen erklärte er, die USA seien „kein verlässlicher Partner mehr“. Und: „Die alte Beziehung, die wir zu den Vereinigten Staaten hatten und die auf einer vertiefenden Integration unserer Volkswirtschaften und einer engen sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit beruhte, ist vorbei.“
Das nordamerikanische Nachbarland der Vereinigten Staaten müsse seine „Handelsbeziehungen auf andere Felder ausrichten und Dinge tun, die bisher für unmöglich gehalten wurden, und zwar in einem Tempo, das wir seit Generationen nicht mehr erlebt haben.“ Trump habe die Beziehung zwischen den langjährigen Verbündeten nachhaltig verändert: „Es gibt kein Zurück!“
Annäherung zwischen Kanada und der EU
Plötzlich war die Rede von einer Annäherung zwischen Kanada und der EU. Da wirkte Trump alarmiert. „Wenn die Europäische Union mit Kanada zusammenarbeitet, um den USA wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, werden sowohl sie als auch Kanada mit weitaus höheren Zöllen belegt als derzeit geplant“, warnte der Präsident.
Doch Carney, geboren in Fort Smith in den Northwest Territories, wich auch jetzt nicht zurück. Mit der den Menschen aus dieser unwirtlichen Region der Mitternachtssonne und eisiger Minus-Grade zugeschriebenen Sturheit kündigte er ein Treffen mit den Kabinettsministern an, um alle Handelsoptionen diskutieren. „Wir werden unsere Arbeiter verteidigen, wir werden unsere Unternehmen verteidigen, wir werden unser Land verteidigen, und wir werden es gemeinsam verteidigen“, sagte Carney.
Zwar machte auch Poilievre nicht den Eindruck, er wolle sich Trump beugen. Auch er lehnte entschieden die Forderung des US-Präsidenten nach einem Anschluss Kanadas ab und betonte die Souveränität des Landes. „Kanada wird niemals der 51. Bundesstaat sein. Punkt. Wir sind ein großartiges und unabhängiges Land“, so der 45-Jährige. Trump forderte er auf, sich nicht in Kanadas Wahl einzumischen.
Doch diese Haltung wurde offenkundig von vielen Landsleuten als zu zögerlich wahrgenommen. Seine vorherige Nähe zu populistischen Bewegungen und seine anfängliche Zurückhaltung, sich von Trumps Politik zu distanzieren, ließen Poilievres Politik vage erscheinen.
Carney überzeugte durch Eindeutigkeit
Der Wirtschaftswissenschaftler Carney hingegen überzeugte durch Eindeutigkeit. Carney erwarb an der Harvard University einen Bachelor. An der University of Oxford in Großbritannien machte er 1993 einen Master, zwei Jahre später promovierte er.
Seine berufliche Laufbahn begann Carney in New York City bei Goldman Sachs. 2003 wechselte er zur Bank of Canada, ein Jahr später ging er zum kanadischen Finanzministerium, um 2008 zur nationalen Zentralbank zurückzukehren und deren CEO (Governor) zu werden.
Als jüngster Zentralbankchef unter sämtlichen G-20-Staaten musste Carney in dieser Zeit auf die Weltfinanzkrise reagieren. Anders als die Europäische Zentralbank, die im Juli 2008 eine Zinserhöhung vornahm, entschied sich Carney für das unkonventionelle Instrument der „bedingten Verpflichtung“. Er beließ den Leitzins unverändert, um das Marktvertrauen aufrechtzuerhalten.
Aus der Krise ging Kanada besser heraus als die übrigen G-7-Länder. Kanadas Beschäftigungszahlen kamen von allen entwickelten Volkswirtschaften zuerst wieder auf das Vorkrisenniveau.
Carney gilt als ideologiefreier Technokrat
In seinem nächsten Karriereschritt war Carney von 2013 bis 2020 der erste nicht-britische CEO (Gouverneur) der Bank of England. Danach beriet er die kanadische Regierung – und lief sich warm für die Spitzenpolitik.
Carney gilt als ideologiefreier Technokrat. Im September 2024 ernannte ihn Premier Trudeau zum Vorsitzenden einer Taskforce der Partei für Wirtschaftswachstum. Nach Trudeaus Rücktrittsankündigung im Januar warf Carney seinen Hut in den Ring und am 14. März als 24. Premierminister Kanadas vereidigt. Als eine seiner ersten Amtshandlungen schaffte er die CO2-Steuer für Verbraucher per Ministerrichtlinie zum 1. April 2025 ab.
Ob er Carney oder Poilievre als Wahlgewinner sähe, wurde Trump unlängst gefragt. „Ich bekäme es lieber mit einem Linken als mit einem Konservativen zu tun“, sagte Trump: „Ich glaube, es ist letztlich leichter, mit einem Linken zu verhandeln.“ Diese Hoffnung immerhin, wenn sie denn ehrlich formuliert war, hat sich für den amerikanischen Präsidenten erfüllt. Jetzt kann er bald austesten, wie sich Deals mit Premier Carney gestalten. Ihn nennt Trump in den sozialen Medien übrigens ganz korrekt den „Premierminister“ von Kanada, nicht etwa „Gouverneur“. Der Bully vom Schulhof hat offenkundig dazu gelernt.