Ausweg aus dem Israel-Krieg: „Der Hamas-Schock kann heilsam sein“
Nach einer Feuerpause tobt der Krieg in Israel wieder. Autor Igal Avidan erklärt im Interview, warum die Lage für ihn dennoch nicht hoffnungslos ist.
München – In seinem Buch „...und es wurde Licht!“ beschreibt der israelische Autor Igal Avidan, wie jüdische und arabische Bürger in Israel im Alltag zusammenleben – und zeigt, dass es neben Hass und Gewalt im aktuell laufenden Israel-Krieg auch gegenseitige Hilfe und Solidarität gibt. Am 6. Dezember stellt Avidan sein Buch in der VHS Garching und am 7. Dezember in der VHS Ottobrunn vor, jeweils um 19.30 Uhr.
Glauben Sie noch daran, dass eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern möglich ist?
Der Angriff der Hamas war ein Schock, nicht, weil ich etwas Neues über die Hamas erfahren hätte, sondern weil die israelische Armee und die israelische Regierung völlig versagt haben. Sie haben die Menschen, die an der Grenze zu Gaza leben, stundenlang völlig alleingelassen. Einer von ihnen war ein Freund von mir. Andererseits: Der Schock ist so tief, dass ich hoffe, dass sich dadurch etwas Positives bewegen könnte.
Autor über Israel-Krieg: „Ein Blick in die Vergangenheit gibt mir Hoffnung“
Der Schock über den Angriff der Hamas hat bei vielen Israelis erst einmal den Ruf nach Rache ausgelöst…
Rache ist keine Lösung. Wichtig ist die Situation so zu ändern, dass die Hamas nicht mehr notwendig ist. Ein Blick in die Vergangenheit gibt mir Hoffnung: Im Oktober 1973, nach dem blutigsten Krieg seit der Staatsgründung, war die Folge ein Friedensabkommen mit Ägypten. Seither ist kein einziger Israeli oder Ägypter mehr durch kriegerische Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Vielleicht ist jetzt der Schock tief genug, um zu begreifen, dass wir keinen Frieden mit den Golf-Staaten und Saudi-Arabien schließen können, solange wir dabei die Palästinenser ignorieren. Wenn die Palästinenser vergessen werden, wird die Hamas ihr Leiden ausnutzen. Und sie werden sich mit Gewalt in Erinnerung bringen.
Kann diese Regierung den aktuellen Konflikt lösen?
Ich fürchte nein, denn diese Regierung will Unvereinbares: mit der Hamas über die Geiseln verhandeln und gleichzeitig die Hamas vernichten. Die Hamas sind Verbrecher, aber sie sind nicht dumm. Deshalb werden sie nicht alle Geiseln freilassen. Sie sind ihr Faustpfand, ihre Lebensversicherung.
Zum Autor
Igal Avidan ist 1962 in Tel Aviv geboren und hat in Israel Englische Literatur und Informatik studiert. In Berlin widmete er sich außerdem der Politikwissenschaft. Seit 1990 arbeitet der 61 Jahre alte Nahostexperte als freier Berichterstatter aus Berlin für israelische und deutsche Zeitungen und Hörfunksender.
Neuwahlen in Israel „würden diese Regierung wegfegen“
Bekommt die Zwei-Staaten-Lösung nach diesem Schock Auftrieb in der politischen Debatte in Israel?
Dafür ist es noch zu früh. Aber ich sehe die Umfragen, die zeigen, dass das Vertrauen in die Regierung einen Tiefpunkt erreicht hat. Neuwahlen würden diese Regierung wegfegen, die Siedlerpartei würde auf maximal zehn Prozent kommen. Mit dieser Regierung ist jedenfalls keine Friedenspolitik möglich.
Bis zu 700 000 jüdische Siedler leben inzwischen auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland und Ost-Jerusalem. Wie soll da die Zwei-Staaten-Lösung noch klappen?
Man kann die Palästinenser-Gebiete anders definieren, es gab schon etliche Pläne für Gebietsaustausch. Dann müssten noch 50 000 oder 80 000 Siedler evakuiert werden, und es könnten normale Grenzen gezogen werden. Das ist alles machbar, wenn der Wille da ist! Die Siedler sind die Minderheit, es kann nicht sein, dass sie die Mehrheit beherrschen.

Wenn man die Bilder von arabischen Kindern mit Plastik-Gewehren sieht, die Hassparolen rufen: Ist da schon der Antisemitismus der Zukunft geschaffen worden?
Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit genau dies nicht passiert! Ich versuche, meins zu tun, indem ich etwa mit einer palästinensischen Freundin gemeinsam in den Medien aufgetreten bin. Sie hat ihre Nichte in Gaza verloren, und will trotzdem wie ich ein Zeichen der Versöhnung und der Hoffnung setzen. Sie war früher eine absolute Gegnerin Israels. Bis sie erfahren hat, dass israelische Ärzte versuchen, ihren sehr kranken Sohn zu retten. Das hat einen Prozess bei ihr ausgelöst. Politische Veränderungen beginnen mit kleinen, menschlichen Gesten.
Das Interview führte Klaus Rimpel