Ende der Kohle in Polen - Europas größter Kohle-Schmutzfink beschließt Ausstieg - warum das gut für uns ist
Im traditionellen Kohleland Polen geht der Ausstieg aus Stein- und Braunkohle schnell voran. Alte, teure Kraftwerke gehen vom Netz, Erneuerbare legen kräftig zu. Experten fordern ein Kohle-Aus für 2035, noch vor dem deutschen Termin 2038. Doch die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk bleibt bisher einen Plan für die Energiewende schuldig. Sie fürchtet Proteste gegen die Schließung von Kohlegruben und plant hohe Subventionen für die Kohle und bald auch für das erste Atomkraftwerk.
Vorige Woche kam aus Kattowitz, der Hauptstadt des Kohlereviers Oberschlesien, ein deutliches Signal: Die Stadt trat der Powering Past Coal Alliance bei – einem Bündnis für einen schnellen Ausstieg aus der Kohleverbrennung. Oberschlesien war seit über 100 Jahren das Herz der polnischen Kohle- und Stahlindustrie – und eins der am stärksten umweltbelasteten Gebiete in Europa. „Saubere Luft ist das, was uns heute am meisten am Herzen liegt“, sagt der Bürgermeister von Kattowitz, Marcin Krupa. Es gebe keine Alternative zum Kohleausstieg, denn „der Klimawandel schreitet voran“.
Polen hat vor der Wende 1989 seinen Strom und seine Heizenergie fast komplett aus der Verbrennung von Stein- und Braunkohle gewonnen. Noch 2015 lag der Anteil von Kohle bei der Stromerzeugung bei über 80 Prozent. Die rechtspopulistische PiS-Regierung von Jarosław Kaczyński, die damals die Macht übernahm, stellte den Klimawandel regelmäßig infrage und verteidigte den polnischen Kohlebergbau. In ihrem Energieplan war der Kohleausstieg erst für 2049 vorgesehen.
Kohleanteil sinkt innerhalb von zehn Jahren um 23 Prozent
Die neue demokratische Koalition muss nun nachbessern. Ministerpräsident Donald Tusk hat im Wahlkampf 2023 versprochen, einen detaillierten Plan für die Energiewende vorzulegen, um die CO₂-Emissionen bis 2030 um 75 Prozent zu senken . Ein ehrgeiziges Ziel: Seit 1990 hat das Land seine Treibhausgasemissionen erst um rund 20 Prozent reduziert, während die EU-27 insgesamt 30,7 Prozent erreicht haben. Doch dieser Plan der Tusk-Regierung lässt schon über ein Jahr auf sich warten. „Die Energiewende findet zurzeit ohne Steuermann statt“, sagt Joanna Pandera, Präsidentin des Thinktanks Energieforum, zu Table.Briefings. „Die Veränderungen im Energiesektor sind nicht das Ergebnis einer umfassenden Vision der Dekarbonisierung der Wirtschaft, sondern die Folge von Marktwettbewerb und Einfallsreichtum von Unternehmern und Bürgern.“ Die dringend notwendigen Veränderungen in der Netz- und Marktorganisation , für die der Staat verantwortlich sei, hinken dagegen ihrer Meinung nach hinterher.
Dennoch gehört Polen zu den Ländern, die gegenwärtig am schnellsten von der Kohle abrücken und auf erneuerbare Energiequellen umsteigen . 2024 fiel der Anteil der Kohle im Strommix auf 57,1 Prozent, während der der Erneuerbaren auf 29,6 Prozent stieg. Aus der Verbrennung von Kohle hat Polen etwa 95,5 Terrawattstunden (TWh) generiert, etwa fünf TWh weniger als ein Jahr zuvor.
Allein die Windfarmen erzeugten 24,5 TWh Strom (14,7 Prozent) – obwohl die PiS-Regierung den Ausbau von Windkraftanlagen oft zu blockieren versuchte. Noch besser sieht die Bilanz bei der Photovoltaik aus: Im Rahmen des Programms „Mein Strom“, das von der EU gefördert wurde, haben in den vergangenen sechs Jahren über 1,3 Millionen Haushalte Solarmodule installiert. Sie erzeugten etwa 12,5 TWh Energie (7,5 Prozent) – 2018 waren es gerade einmal 0,3 TWh. Die Versorgungslücke wurde vor allem mit Erdgasanlagen geschlossen – ihre Stromerzeugung stieg von zehn TWh in 2017 auf fast 15 TWh in 2023. Das Gas wird seit dem Ukraine-Krieg vor allem aus Norwegen durch eine neue Pipeline gepumpt. Der Ausbau Erneuerbarer Energien kommt letztendlich auch uns zugute, da dieser auf die Klimaziele einzahlt und und zur Stabilisierung des europäischen Stromnetzes beiträgt.
Bergwerke laufen weiter, obwohl Kohlekraft unwirtschaftlich wird
Die Regierung in Warschau weiß: Der Weiterbetrieb polnischer Strom- und Heizwerke auf Kohlebasis wird langsam unwirtschaftlich , denn die meisten von ihnen sind sehr alt und ineffizient und fallen immer häufiger aus. Einem Branchenbericht zufolge beträgt das Durchschnittsalter der Stein- und Braunkohlekraftwerke in Polen 37 Jahre.
Doch die Politik hat beim Ausstieg aus der Kohle ein Problem – den Kohlebergbau . Noch 2012 hat das Land fast 80 Millionen Tonnen Steinkohle und fast 65 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. 2023 ging die Steinkohleproduktion auf 49 Millionen Tonnen zurück – so wenig wie zuletzt im Jahr 1910. Der Abwärtstrend setzt sich schneller fort als alle Regierungsprognosen des letzten Jahrzehnts vorhergesagt hatten. Immer mehr Steinkohlebergwerke sind unrentabel. Im August 2024 betrugen die Förderkosten für eine Tonne Kohle 824 Zloty (rund 193 Euro), auf dem Weltmarkt wird sie für 110 Euro gehandelt.
Aber auch die Regierung Tusk scheut es, Bergwerke zu schließen. Sie fürchtet sich vor den Streiks der 75.000 Bergleute, die schon mehrmals in der Geschichte das Land erschüttert haben. Um die Arbeitsplätze zu sichern und ihre steigenden Lohnforderungen zu erfüllen, plant Warschau für 2025 insgesamt neun Milliarden Zloty (2,1 Milliarden Euro) Subventionen für den Kohlebergbau. Allerdings kann sich Polen bei der fallenden Nachfrage nach Steinkohle den Betrieb so vieler Bergwerke nicht leisten. Fachleute prognostizieren, dass es in fünf Jahren nur noch einige der effizientesten Zechen geben dürfte.
Energieexperten fordern Kohleausstieg bis 2035
Der Rat für Energiesicherheit und Klima , dem mehrere angesehene Wirtschafts- und Energieexperten angehören, fordert die Regierung Tusk dagegen auf, den Ausstieg aus der Kohleverbrennung zur Stromerzeugung auf das Jahr 2035 festzulegen. Das will auch die grüne Vize-Umweltministerin Urszula Zielińska, die den Ausbau von Windparks in der Ostsee voranbringen will.
Für die Zukunft setzt die Regierung Tusk auch auf die Kernenergie. Vorige Woche hat sie nach jahrelanger Standortsuche beschlossen, über 60 Milliarden Zloty (14 Milliarden Euro) für den Bau des ersten Kernkraftwerks in Lubiatowo-Kopalino an der Ostsee bereitzustellen. Den Zuschlag hat das US-Konsortium Westinghouse-Bechtel erhalten. Das AKW soll mit drei Reaktoren à 1.000 Megawatt bestückt werden, der erste soll 2035 in Betrieb gehen und von der staatlichen Firma Polnische Kernkraftwerke (Polskie Elektrownie Jądrowe) betrieben werden.
Später will Polen noch ein zweites Kernkraftwerk errichten, der Standort steht allerdings noch nicht fest. Laut einer Studie des polnischen Ministeriums für Klima und Umwelt befürworten fast 90 Prozent der Polen den Bau von Atomkraftwerken – ein Spitzenwert in der EU.
Von Andrzej Rybak
Das Original zu diesem Beitrag "Europas größter Kohle-Schmutzfink beschließt Ausstieg - warum das gut für uns ist" stammt von Table.Briefings.