Ein Luftzug kühlt die Castoren
Ohne Helm, Warnweste und Strahlenmessgerät kommt niemand ins Neckarwestheimer Zwischenlager hinein. Warm anziehen muss man sich aber nicht. In den fast 90 Meter tiefen Röhren, die dort mangels Platz mit einer Höhe von 19 Metern in den Berg getrieben wurden, herrschen laue Temperaturen. Denn bei den Zerfallsprozessen in den eingelagerten Castorbehältern entsteht noch immer jede Menge Wärme. Über die Kühlrippen wird sie nach außen abgegeben, wie bei einer Heizung. Ein natürlicher Luftzug transportiert die Wärme dann über Öffnungen wie bei einem Kamin nach draußen.
Was dort entsteht, ist nur noch ein Bruchteil der Hitze, die von aktiven Brennstäben in einem Reaktor freigesetzt wird. Laut der Herstellerfirma GNSbeträgt die Wärmeleistung eines Behälters mit der Bezeichnung V/19 – dem überwiegend in Neckarwestheim eingelagerten Typus – nur noch maximal 39 Kilowatt. Doch auch dies entspricht dem Wärmebedarf von drei Einfamilienhäusern. In Anbetracht von gegenwärtig 99 eingelagerten Castoren gehe es um eine Wärmeleistung im Megawattbereich, sagte Frauhammer. „Das können wir nicht einfach ignorieren.“ Zudem liegt in Gemmrigheim nur wenige 100 Meter vom Zwischenlager entfernt ein Wohngebiet, in dem bereits ein Wärmenetz vorhanden ist. Beheizt wird es gegenwärtig allerdings noch mit Gas.
Genial oder nur eine fixe Idee?
Beim Betreiber des Zwischenlagers, der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), stößt der Bürgermeister mit seinen Überlegungen bisher nicht auf offene Ohren. Die theoretische Möglichkeit einer Nutzung wird zwar nicht bestritten. Es sei richtig, dass die hoch radioaktiven Abfälle in den Lagerbehältern Wärme erzeugten, sagte eine Sprecherin. „Die Temperaturen fallen allerdings unterschiedlich aus und nehmen in der Zeit der Zwischenlagerung immer weiter ab.“ Es handele sich also nicht um eine konstante Wärmequelle. „Kosten und Nutzen stünden in keinem günstigen Verhältnis“, sagte die Sprecherin. Oberstes Ziel der Zwischenlagerung bleibe der sichere Einschluss der radioaktiven Abfälle.
Deshalb hätte eine solche Nutzung des Atommülls tief greifende technische und juristische Konsequenzen. Auf alle Fälle sei zuvor eine umfangreiche Prüfung der Rückwirkungen auf die sichere Lagerung der Kernbrennstoffe und damit eine völlig neue Genehmigung notwendig, sagte eine Sprecherin des baden-württembergischen Umweltministeriums. Bisher seien dem Ministerium dazu in Deutschland keinerlei Pläne bekannt. Auch in Nachbarländern wie der Schweiz ist eine Nutzung der Nachzerfallswärme nicht vorgesehen. Frauhammer sieht es so: „Vielleicht ist mein Vorschlag ja nur eine fixe Idee.“ Aber um dies sicher sagen zu können, müssten die Möglichkeiten erst einmal ernsthaft untersucht werden.
Der Müll des Atomzeitalters
Atomkraft
Block 1 des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckarwestheim (GKN) ging 1976 in den kommerziellen Betrieb, Block 2 folgte 1989. Es war damit das letzte Kernkraftwerk in Westdeutschland. Die Stilllegungen folgten 2011 und 2023. Insgesamt wurden während der Nutzung 433 000 Gigawattstunden Strom produziert.
Atommüll
Im Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände ist Platz für 151 Castoren, 99 Plätze sind bereits belegt. Der meiste Atommüll stammt vom Standort, allerdings wurden 2017 auch die Castoren aus Obrigheim nach Neckarwestheim gebracht. Die meisten eingelagerten Castoren sind vom Typ V/19. Sie sind fünf Meter hoch, haben einen Durchmesser von 2,50 Meter und bieten Platz für 19 hoch radioaktive Brennelemente. kew
Von Eberhard Wein
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