Im Ukraine-Krieg geht laut Medizinern eine Krankheit um, die in Europa fast schon vergessen war. Die lebensnotwendigen Behandlungen werden erschwert.
London – Der Ukraine-Krieg bedroht das Leben der Menschen im überfallenen Land auf vielfältige Weise. Ob direkt oder indirekt. Durch Luftschläge, Drohnen-Attacken, Vorstöße an der Front, Minen, Granaten oder Krankheiten, die unter diesen Umständen kaum zu bändigen sind. Wie der englische Telegraph unter Berufung auf ukrainische Militärärzte berichtet, wurden mittlerweile Fälle von Gasbrand dokumentiert.
Die lebensgefährliche Wundinfektion ist vor allem aus dem Ersten Weltkrieg bekannt und schien zumindest in Europa ausgerottet zu sein. Doch nun sei sie infolge der Grabenkämpfe wieder auf dem Vormarsch. Aufgrund der Vielzahl an Drohnen gestalte sich eine Evakuierung von Verwundeten schwierig, hätten Sanitäter erklärt. Daher könnten sich Infektionen wie Gasbrand schnell ausbreiten.
Gasbrand geht in Ukraine um: Wegen Drohnen-Gefahr ist Evaluierung Infizierter kaum möglich
Ein ausländischer freiwilliger Sanitäter, der in der Saporischschja-Region eingesetzt sei und in dem Artikel nur Alex genannt wird, sagte: „Wir sehen Verletzungen mit Komplikationen, die noch nie ein lebender Mensch in Kriegszeiten gesehen hat.“ Evakuierungen würden verzögert werden, wie es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr der Fall gewesen sei.
Manche Patienten, die ins Krankenhaus kämen, seien seit Wochen verletzt und in unterirdischen Stabilisierungsstationen so gut wie möglich am Leben erhalten worden. Von Gasbrand befallene Personen würden keine angemessene Versorgung erhalten, weil sie nicht schnell genug in die Klinik kämen.
Dabei betont Dr. Lindsey Edwards, Dozentin für Mikrobiologie am King‘s College London: „Normalerweise besteht die Behandlung von Gasbrand aus einem chirurgischen Debridement (Entfernung von infiziertem Fleisch, d. Red.) und der Verabreichung sehr hoher Dosen intravenöser Antibiotika.“ Bleibe die Infektion unbehandelt, ende sie fast immer tödlich.
„Im Normalfall untersucht man die Mikroben, kultiviert sie und wendet verschiedene Techniken an, um festzustellen, ob Resistenzen gegen Medikamente vorliegen“, erklärt die Expertin: „Man würde auch testen, welche Antibiotika am wirksamsten wären… Natürlich ist all das in einem Feldlazarett mitten im Nirgendwo hinfällig.“
Gasbrand als Gefahr im Ukraine-Krieg: Infektion bei Verletzungen oder Operationen
Die vom US-Pharmaunternehmen Merck & Co. bereitgestellte Homepage MSD Manuals schreibt über Gasbrand, es handele sich um „eine lebensgefährliche Infektion des Muskelgewebes, die vor allem von dem anaeroben Bakterium Clostridium perfringens und mehreren anderen Clostridienarten hervorgerufen wird“. Mit Stand vom Sommer 2023 heißt es, jährlich würden in den USA Tausende Fälle auftreten.
Gasbrand könne sich nach Verletzungen oder Operationen entwickeln. Das Risiko sei hoch bei Wunden, die tief und schwer sind, die Muskeln betreffen, mit Schmutz, vermoderten Pflanzenresten oder Exkrementen verunreinigt sind oder gequetschtes oder abgestorbenes Gewebe enthalten. Als Hochrisikooperationen gelten Eingriffe am Dickdarm oder an der Gallenblase. Außerdem kann Gasbrand demnach auch bei Personen auftreten, die an Dickdarmkrebs, Divertikulitis oder einer Erkrankung leiden, die die Durchblutung des Darms verringert oder zum Austreten von Stoffen durch die Darmwand führt.
Wissenswertes über Gasbrand
Gasbrand kann sich nach bestimmten Arten von Operationen oder Verletzungen entwickeln.
Es entstehen Gasblasen in der Nähe des infizierten Bereiches, die mit Fieber, beschleunigtem Herzschlag, rascher Atmung und häufig mit Schmerzen an der Infektionsstelle einhergehen.
Die aufgrund der Symptome vermutete Diagnose wird gewöhnlich durch bildgebende Untersuchungen oder Anlegen von Kulturen einer Probe des infizierten Gewebes bestätigt.
Die Behandlung umfasst hohe Dosen an Antibiotika und die operative Entfernung des abgestorbenen oder infizierten Gewebes.
Quelle: MSD Manuals
Gasbrand endet oft tödlich: Experten raten dringend zum Reinigen von Hautverletzungen
Im infizierten Bereich treten starke Schmerzen auf, es kommt zu einer Schwellung, die Färbung wandelt sich von bleich über rot oder bronzefarben zu schwärzlich-grün. Zudem bilden sich oft Blasen. Weitere Folgen sind Fieber, Schweißausbrüche, auch Erbrechen ist möglich, Herzschlag und Atmung beschleunigen sich. Selbst im Falle einer Behandlung würden viele Patienten die Infektion nicht überleben.
Zur Vorbeugung wird empfohlen, Hautverletzungen gründlich zu reinigen. Sollte der verletzte Bereich sich vergrößern, anschwellen, heiß, rot und druckempfindlich werden, sei ein Arzt zu kontaktieren. Einen Impfstoff zur Verhinderung einer Clostridieninfektion gibt es nicht.
Ukraine-Krieg: Bakterien immer häufiger resistent gegen Antibiotika und andere Medikamente
Sanitäter Alex gibt auch zu bedenken: „Eines der größten Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, ist der enorme Anstieg der Resistenz gegen Antibiotika.“ Wegen der Drohnen-Gefahr würde die medizinische Versorgung größtenteils in Bunkern und Kellern von verlassenen Gebäuden stattfinden. Ein Sanitäter sei drei Wochen lang nicht an der Oberfläche gewesen.
Allerdings würden dort lediglich Operationen zur Schadensbegrenzung durchgeführt werden. Nur die unmittelbarsten, lebensbedrohlichen Verletzungen würden behandelt. Als die Reporter in der ersten November-Woche mit ihm sprachen, seien die Evakuierungen acht Stunden im Verzug gewesen.
Bereits im Januar berichtete die BBC von der Zunahme antimikrobieller Resistenzen im kriegsversehrten Land. Die Bakterien hätten sich weiterentwickelt, sodass Antibiotika und andere Medikamente sie nicht mehr wirksam bekämpfen können. Die Verbreitung multiresistenter Krankheitserreger sei auch auf den Krieg zurückzuführen. Damals sagte der stellvertretende Chefarzt des Kiewer Feofaniya-Krankenhauses, Andriy Strokan, mehr als 80 Prozent der eingelieferten Patienten hätten sich mit antibiotikaresistenten Mikroben infiziert.
Offensichtlich können viele der an der Front Verletzten aber schon froh sein, wenn sie überhaupt ein Klinikbett erreichen. Jede kleine Wunde im Kampfgebiet kann also der Anfang vom Ende sein. Was umso mehr unterstreicht, wie vielfältig die Schrecken des Krieges sind. (Quellen: Telegraph, MSD Manuals, BBC) (mg)