Das Historische Versagen der US-Medien mit Joe Biden
Im Kampf um die US-Wahl haben sich viele Medien zu lange hinter Joe Biden gestellt. Ein Kommentar von Christian Deutschländer.
Washington – Erschreckt und enttäuscht reagieren breite Teile der US-Medien auf die Trump-Wahl zum Präsidenten. Die größten und traditionsreichsten Häuser hatten sich, oft offen ausgesprochen, hinter Kamala Harris‘ Bewerbung gesammelt. Doch wichtiger als Katzenjammer wäre jetzt Selbstkritik: Eine Ursache für Trumps Triumph liegt in einem kapitalen Versagen des US-Journalismus.
Es war ein schwerer, für Journalisten unverzeihlicher Fehler, über den Verfall des Präsidenten Joe Biden so lange zu schweigen, während zeitgleich Trumps viele, auch moralische Defizite, mit Inbrunst präsentiert wurden. Zur Erinnerung: Erst nach dem Debakel beim TV-Duell Ende Juni – ein stammelnder, tattriger Präsident, demgegenüber sogar Trump (78) jugendlich wirkte – griffen große US-Medien Bidens Zustand auf.
US-Medien wussten lange vor Kamala Harris Kandidatur, dass Joe Biden schwächelt
Der gut organisierte, enge Zirkel der Hauptstadtpresse, die Biden täglich im Tross begleitet, wusste das längst vorher, tuschelte über den dramatischen Verfall, schwieg. Manche in der Fehleinschätzung, hier gehe es um eine Privatsache. Einige aus Sorge, Kritik an Biden stärke Trump.
Andere wohl in der Angst, sich mit einer als Grenzüberschreitung empfundenen Recherche alle Zugänge im Weißen Haus zu verschließen. Ein fataler Irrtum. Als Bidens Zustand für die Welt unübersehbar wurde, blieb den Demokraten nur ein schneller Putsch, der Wechsel zur nächstbesten Kandidatin. Das war Harris, sie wurde auch medial schnell bejubelt, aber sie scheiterte krachend.
Vertrauen in Journalismus schwindet, übrig bleibt eine gespaltene Medienlandschaft
Nicht zu berichten, was unwillkommen, aber offensichtlich ist, trägt nicht lange in Zeiten einer digitalen Parallelöffentlichkeit. Sich gemein zu machen mit Politik, auch aus edlen Motiven, zerstört das Vertrauen in Journalismus und damit seine Geschäftsgrundlage. Am Ende dieser Fehlentwicklung wird ein geschrumpftes, gespaltenes Mediensystem überleben, wie es sich in den USA schon abzeichnet: parteinahe, parteiische Medien, Fox-News-Formate. Besorgniserregende
Ansätze dazu gibt es übrigens auch in Deutschland: sich im ultralinken Spektrum exponierende TV-Moderatoren und AfD-liebesdienerische Online-Formate, hier tun Schreihälse so, als seien sie Journalisten. Das US-Mediendebakel 2024 ist ein Fall für die Lehrbücher. Die Journalisten, die Trump nun vorwerfen, die Demokratie entkernen zu wollen, werden damit vielleicht sogar Recht behalten – doch genau sie haben durch ihr Versagen im Umgang mit Biden dafür den Weg bereitet.