Foltergefängnisse, Lösegeld und Putin-Hilfe: Libyens Milizen verdienen Reichtümer mit Flüchtlingen
Kriminelle und Milizen betreiben in Libyen Foltergefängnisse und erpressen Lösegelder. Das wird nie aufhören, sagt ein Experte – es sei denn, ein Staat entscheidet sich zum Einlenken.
Tripolis/Berlin – Das Geschäft mit Elend und Tod ist lukrativ. Seit Jahren verdienen kriminelle Schleuser und Milizen im Osten von Libyen Millionen damit: Sie pferchen gegen Geld Massen verzweifelter Menschen auf viel zu kleine Boote und schicken sie ins Ungewisse. Viele von ihnen sterben.
Allein in diesem Jahr sind über 2300 Geflüchtete bei ihrer Überfahrt nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Besonders abartig: Zum Teil sind es dieselben Banden, die Flüchtlingsboote vom offenen Meer aus zurück zur libyschen Küste schleppen, die Insassen foltern und Lösegeld von deren Familien erpressen. Terror-Experte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project (CEP) sagt: Solange es in Libyen keine politische Stabilität gibt, wird das nie aufhören.
„Paradies für Menschenhändler“: Libyen ist ein zutiefst gespaltenes Land
Schindler hat früher den UN-Sicherheitsrat in New York beraten, kennt die Lage im Nahen Osten und in Nordafrika gut. „Die chaotischen Verhältnisse machen Libyen zu einem Paradies für Menschenhändler. Kriminelle Strukturen können sich aufgrund der internen Instabilität leichter etablieren“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
Das nordafrikanische Land ist seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 tief gespalten. Es gibt zwei verfeindete große Lager und viele kleine konkurrierende Untergruppen. Offiziell regiert die Partei der nationalen Einheit (GNU) unter Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba. Doch der Warlord und ehemalige Militäroffizier Chalifa Haftar meldet ebenfalls Ansprüche an. „Neben der offiziellen Regierung in der Hauptstadt Tripolis hat General Haftar de facto die Macht im Osten des Landes, und es gibt Gruppen im Süden, die nach wie vor Terrororganisationen unterstützen.“
Chaos in Libyen: Milizen betreiben Foltergefängnisse und erpressen Lösegeld
Das Chaos hat Libyen in einen endlosen Bürgerkrieg gestürzt, humanitär ist das Land am Ende. Millionen Menschen leiden Hunger. Die Flutkatastrophe im September hat die Situation noch verschärft. „Eigentlich ist das ein sehr reiches Land, aber durch die instabile Lage ist das Leben dort für einen Großteil der Bevölkerung seit Jahren schlimm“, sagt Schindler. Hunderttausende Binnenflüchtlinge gibt es in Libyen, zusätzlich leben rund 250.000 Geflüchtete aus anderen, meist afrikanischen Ländern dort. Viele versuchen, dem Elend über Hafenstädte wie Tobruk oder Bengasi im Osten übers Mittelmeer nach Italien zu entfliehen.
Da kommen die Menschenhändler ins Spiel – und die sogenannte Tareq-Bin-Zeyad-Brigade (TBZ). Die Miliz untersteht dem Warlord Chalifa Haftar beziehungsweise dessen Sohn Saddam Haftar, betreibt Foltergefängnisse und sorgt für Angst und Schrecken. Beobachter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International werfen der TBZ Mord, Vergewaltigungen und Entführungen vor. „Libysche Milizen und kriminelle Strukturen im Land sind im Menschenschmuggel aktiv, die haben eigene Gefängnisse, foltern Geflüchtete und erpressen Lösegeld von deren Familien aus Afrika. Es ist daher wahrscheinlich, dass General Haftar und die TBZ dabei auch mitmischen“, sagt Experte Hans-Jakob Schindler.
Inoffizielle Pull-Back-Einheiten schleppen Flüchtlingsboote zurück nach Libyen
Und nicht nur das. Offenbar operiert die TBZ auch als inoffizielle Pull-Back-Einheit, die Flüchtlingsboote zwischen der nordafrikanischen Küste und Europa zurückschleppt, wie Recherchen vom Magazin Spiegel nahelegen. Offiziell ist die libysche Küstenwache dafür im Rahmen einer Kooperation mit der EU zuständig, koordiniert wird das von der EU-Agentur Frontex. Menschenrechtler kritisieren dabei immer wieder martialische Methoden.
„Die libysche Küstenwache macht das mehr schlecht als recht. Besonders zimperlich gehen sie dabei nicht vor“, sagt auch Hans-Jakob Schindler. „Die Haftar-Miliz macht dabei auch mit und schickt Boote raus.“ Dass Frontex und die Miliz offiziell gemeinsame Sache machen, glaubt er hingegen nicht. „Ich wage sehr zu bezweifeln, dass Frontex offizielle Kontakte zur TBZ oder Herrn Haftar hat. Die EU kann keine formalen und offiziellen Beziehung zu einer Miliz haben, die nicht die anerkannte Regierung bildet.“
„Frontex wird keine Schiffe aufhalten, die von dieser Miliz ins Meer geschickt werden“
Aber: „Frontex wird auch keine Schiffe aufhalten, die von dieser Miliz ins Meer geschickt werden. Das ist auch gar nicht deren Aufgabe. Diese EU-Agentur hat das Mandat, die Staaten der EU bei der Sicherung der EU-Außengrenzen zu unterstützen.“ Sprich: Es wäre denkbar, dass TBZ-Milizen unter den Augen der EU-Agentur Geflüchtete zurück nach Libyen schicken – wo sie dann in den Folter-Gefängnissen der Miliz landen.
Unterstützung bekommen Warlord Haftar und seine Schergen aus dem Ausland. „Chalifa Haftar wird politisch von Russland unterstützt, zum Teil auch von Ägypten. Die Länder erhoffen sich Einfluss auf Libyen“, erklärt Schindler. Das Land ist reich an Erdöl, fremde Staaten spekulieren auf Geld und Macht in der Region, wenn sie eine Seite unterstützen. Das ist fatal, sagt Schindler. „Solange es nicht gelingt, eine vereinte Regierung in Libyen zu haben, wird es zu keinem Wiederaufbau kommen. Aber Staaten wie Russland arbeiten immer wieder dagegen, das Land kann so nicht zur Ruhe kommen.“