Oberster Gerichtshof warnt: Trumps Rhetorik befeuert Gewalt gegen US-Richter
Der oberste US-Richter John Roberts äußert Besorgnis über Gewalt gegen Juristen. Die politische Hetze erreicht einen neuen Höhepunkt.
Charlotte – Der Präsident des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, John Roberts, hat eindringlich vor der zunehmenden Gefährdung von Richterinnen und Richtern durch politische Hetze und gewalttätige Drohungen gewarnt. „Die Gefahr besteht natürlich darin, dass jemand darauf anspringt“, sagte Roberts am Samstag auf einer Richterkonferenz in Charlotte, North Carolina. „Und wir hatten natürlich ernsthafte Drohungen mit Gewalt und Mord gegen Richter, nur weil sie ihre Arbeit gemacht haben.“
Oberster Gerichtshof warnt: Trumps Rhetorik befeuert Gewalt gegen Richter
Zwar erwähnte Roberts keinen Namen, doch seine Worte fielen unmittelbar nach einer Serie aggressiver Angriffe von Präsident Donald Trump gegen Mitglieder der Justiz, die seine politischen Vorhaben juristisch ausgebremst hatten. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus im Januar 2025 hatte Trump mehrfach gegen Bundesrichter polemisiert, die sich etwa gegen seine Maßnahmen zur Abschiebung von Migranten oder zum Umbau des Justizapparates stellten.
Roberts, der das höchste Gericht der USA seit 2005 leitet, verwies gemäß AFP und der New York Times auf die „hohe Feindseligkeit“, mit der Teile der Politik mittlerweile auf gerichtliche Entscheidungen reagierten – insbesondere wenn diese als Teil politischer Auseinandersetzungen empfunden würden. „Es wird gefährlich, wenn ein Richter, der lediglich seine Arbeit macht, plötzlich als Teil des Problems dargestellt wird“, so Roberts.
Trump hatte etwa unlängst öffentlich gefordert, Richter zu entlassen oder gar anzuklagen, wenn sie seine Dekrete blockieren – darunter ein Bundesrichter, der eine Massendeportation von Migranten juristisch und per einstweiliger Verfügung gestoppt hatte, weil verfassungsrechtliche Bedenken bestanden. Die Anordnung blockierte Trumps Erlass landesweit – bis der Oberste Gerichtshof am 27. Juni diese Art der richterlichen Eingriffe stark einschränkte. Doch damit nicht genug: Auch nutzte Trump einen Auftritt im Justizministerium im März, um Gegner aus Justizkreisen als „Scum“ (deutsch: „Abschaum“) und „radikale Hacks“, also extremistisch motivierte Mitläufer, zu diffamieren.
Tatsächliche Gewaltfälle: Richter während Trump-Ära und auch davor in Lebensgefahr
Die Besorgnis des obersten Richters ist nicht theoretisch. Allein in den Jahren 2023 und 2024 wurden zwei Richter in Maryland und Kentucky ermordet, ein dritter überlebte nur knapp einen Anschlag, schreibt die AFP. Bereits 2022 hatte ein bewaffneter Mann versucht, Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh zu töten. Auch Drohungen gegen Angehörige von Richterinnen wie Amy Coney Barrett, etwa in Form einer Rohrbomben-Attrappe, sind dokumentiert, berichtet wiederum die New York Times.
„Richter zu bedrohen, weil sie ihre Arbeit tun, ist völlig inakzeptabel“, betonte Roberts. Er rief Politiker auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden: „Ich denke, die politischen Leute auf beiden Seiten des Ganges müssen das im Hinterkopf behalten.“

Donald Trumps Rethorik: Oberster Gerichtshof als politische Projektionsfläche
Besonders brisant: Roberts äußerte sich keine 24 Stunden nach einem Urteil des Supreme Court, bemerkt die New York Post, das es Bundesrichtern künftig erschwert, landesweite Verfügungen gegen Maßnahmen der Regierung zu verhängen – ein Urteil, das von Trump öffentlich gefeiert wurde. Die Entscheidung fiel mit einer konservativen Mehrheit von sechs zu drei Stimmen, wobei Richterin Amy Coney Barrett die Begründung verfasste.
Trotz dieses Kontextes verzichtete Roberts darauf, das Urteil oder Trump direkt zu kommentieren. Stattdessen betonte er laut Politico die generelle Notwendigkeit, richterliche Unabhängigkeit vor politischem Missbrauch zu schützen: „Wenn jemand meint, das Gesetz werde nicht befolgt, kann das auf gesetzgeberischem Wege angegangen werden. Aber Drohungen sind der falsche Weg.“
Gewalt und Drohungen gegen Richter in den USA (Auswahl 2020–2025)
Jahr | Vorfall | Betroffener Richter | Ort | Konsequenz |
---|---|---|---|---|
2020 | Attentat auf Wohnhaus, Sohn getötet | Esther Salas | New Jersey | Sicherheitsverschärfung |
2022 | Mordversuch mit Waffe (Verhaftung vor Schusswechsel) | Brett Kavanaugh | Maryland | Täter verhaftet |
2023 | Erschossen vor dem Haus | Andrew Wilkinson | Maryland | Ermordet |
2024 | Erschossen im Gerichtsgebäude | Namentlich nicht genannter Richter | Kentucky | Ermordet (laut AFP) |
2025 | E-Mail-Drohung (Angeblich Rohrbomben-Attrappe zugeschickt) | Schwester von Amy Coney Barrett | South Carolina | Bombe wurde nicht gefunden |
Quellen: U.S. Marshals Service, Politico, AFP, New York Times.
Chef des Obersten Gerichtshofs, John Roberts: Kritik ja – Hetze nein
In seinen weiteren Ausführungen zeigte sich Roberts verständnisvoll gegenüber sachlicher Kritik. „Es gibt in jedem Verfahren eine Partei, die verliert. Die wird das Urteil nicht mögen“, erklärte er. Problematisch werde es allerdings, wenn Kritik sich in blinde Wut verwandele: „Wenn es nur Frust ist, weil man verloren hat, dann ist das nicht besonders hilfreich.“
In einem ironischen Unterton äußerte Roberts zudem, ergänzt The Daily Beast, dass das eigentliche Problem oft nicht juristischer Natur sei, sondern die politische Instrumentalisierung des Rechtssystems: „Es ist nicht die Schuld der Richter, wenn eine korrekte Auslegung des Gesetzes bedeutet, dass etwas nicht erlaubt ist.“
Trump nutzt Justiz als Feindbild und Werkzeug zugleich
Während Roberts auf Mäßigung drängt, betreibt Donald Trump das genaue Gegenteil. In einer Rede im Justizministerium erklärte der Präsident jüngst offen seine Absicht, das Ministerium zur Durchsetzung seiner politischen und persönlichen Interessen einzusetzen. Dabei lobte er ausdrücklich Richterin Aileen Cannon, die in einem Verfahren zugunsten Trumps entschieden hatte: „Das Verfahren gegen mich war Bullshit“, erklärte Trump laut der New York Times.
Zudem nutzt Trump seine politische Macht, um loyale Parteigänger wie Justizministerin Pam Bondi in Schlüsselpositionen zu installieren – ein kalkulierter Angriff auf die Gewaltenteilung, wie die taz analysiert: „Trump gerät nicht deshalb immer wieder ins Visier der Justiz, weil da gemeine ‚Hinterzimmerakteure‘ am Werk sind, sondern weil seine Agenda absolute Macht fordert.“
Chief Justice John Roberts’ Warnung ist indes keine leere Mahnung, sondern ein Hilferuf eines Mannes, der die zunehmende Entgrenzung zwischen Justiz und Politik hautnah erlebt. Während er die Unabhängigkeit des Gerichts schützt, machen Trump und sein Vize JD Vance keinen Hehl daraus, dass er Richterinnen und Richter, die gegen ihn entscheiden, als Feinde betrachtet – und sie entsprechend behandelt.