Wagenknecht in der Offensive: So will das BSW punkten

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Sahra Wagenknecht setzt auf russisches Gas und Friedensverhandlungen – und aktuell besonders auf das Thema Rente. Ihr Kalkül scheint aufzugehen.

München – In der Theorie ist das Thema gar nicht so einfach zu überblicken. Die Bedeutung der „Armutsgefährdungsquote“ mag sich dem Betrachter noch erschließen, doch wenn es um das „Äquivalenzeinkommen“ geht, von deren Median einem Menschen maximal 60 Prozent zur Verfügung stehen, muss man schon tief im Thema stecken, um den Überblick zu behalten. Allen anderen bietet sich Sahra Wagenknecht als Dolmetscherin an, die komplexe Zusammenhänge auf den Punkt bringt: „Rentner gehören zu den großen Verlierern der Teuerung.“

Die langjährige Bundestagsabgeordnete der Linken und Namensgeberin einer noch sehr jungen Partei, des BSW, hat beim Statistischen Bundesamt Daten des Mikrozensus 2023 abgefragt. Ihnen zufolge hat der Anteil der Senioren mit sehr wenig Geld im vergangenen Jahr zugenommen. 18,1 Prozent der Menschen ab 65 gelten demnach in Deutschland als armutsgefährdet, das ist ein Zuwachs von 0,6 Punkten gegenüber dem Vorjahr. Bei den Frauen waren es sogar 20,2 Prozent (+ 0,8).

Wagenknecht setzt auf Sozial- und Rentenpolitik

Der breiten Öffentlichkeit ist Wagenknecht in den vergangenen Jahren durch ihre Kritik an Corona-Maßnahmen und der deutschen Energiepolitik aufgefallen, vor allem aber durch eine offensive Toleranz gegenüber dem Kriegstreiber Russland. Zuletzt forderte sie einen Gipfel zur Kriminalität von Ausländern, wetterte gegen das Aus für den Verbrennungsmotor und brachte in der Debatte um einen Atomausstieg einen Untersuchungsausschuss ins Spiel. Ein besonderer Fokus aber liegt aktuell ganz offensichtlich auf der Sozial- und Rentenpolitik.

Ablesen lässt sich das an der Häufigkeit ihrer Anfragen an Ministerien und Bundesbehörden, bei denen es keine Rolle spielt, wenn die Ergebnisse ihr eigentlich schon bekannt sind. Bereits Ende März hatte Wagenknecht Zahlen zur wirtschaftlichen Situation der Rentner erfragt, damals beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Resultat – 1,4 Millionen Menschen kommen trotz 45 Beitragsjahren lediglich auf eine Rente von unter 1250 Euro – deckt sich mit den neuesten Zahlen zum Thema Altersarmut.

Ein Plakat des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit) ist bei einer Demonstration des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) zum 1. Mai unter dem Motto „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“ zu sehen.
Ein Plakat des BSW. © Christoph Soeder/dpa

Vergangene Woche holte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zudem eine Sonderauswertung beim Statistischen Bundesamt zum Mindestlohn ein. Mehr als jede vierte Arbeitnehmerin verdient demnach in Deutschland weniger als 14 Euro in der Stunde. „Die Niedriglohnpolitik der Bundesregierung ist frauenfeindlich“, schäumte Wagenknecht. Der Mindestlohn, der von der Ampel auf 12 und mittlerweile 12,41 Euro angehoben worden ist und im Winter erneut steigen soll, müsse bei 14 Euro liegen.

BSW im Aufwind: Wagenknechts Partei kommt in Thüringen gut an

Der Tag der Arbeit, Anlass der jüngsten BSW-Offensive, liegt fünf Wochen vor der Europawahl und vier Monate vor den drei Landtagswahlen im Osten, bei denen sich das Bündnis in der Parteienlandschaft etablieren will. Folgerichtig erfragte Wagenknecht bei den Rentenhöhen auch gezielt die Statistik für Sachsen, Brandenburg und Thüringen. In allen drei Bundesländern liegt die Zahl der Rentner mit geringen Bezügen über dem Bundesdurchschnitt. Für die Betroffenen schlimm, für Sahra Wagenknecht eine Steilvorlage: „Es ist eine Schande für die gesetzliche Rente, wenn sich Menschen 45 Jahre abplagen und dann eine Rente erhalten, die unterhalb der Armutsrisikoschwelle liegt.“

Das Kalkül scheint aufzugehen. Die jüngsten Zahlen sind vielversprechend für Wagenknecht, deren Bündnis etwa in Thüringen stetig zulegt. In einer Insa-Umfrage kommt das BSW inzwischen auf 16 Prozent, drei Punkte mehr als Mitte März. Der Aufschwung macht die ohnehin komplizierten Verhältnisse in Thüringen noch ein bisschen kniffliger. Die AfD kommt in der Erhebung auf 30 Prozent (– 1), die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow wie das BSW auf 16. Während die Ampel-Parteien SPD (7), Grüne (5) und FDP (2) schlecht bis miserabel abschneiden, macht sich die CDU (20) gewisse Hoffnungen, eine Regierung anzuführen.

Nur: mit wem? Ein Quartett aus CDU, BSW, SPD und Grünen wäre mathematisch zwar möglich, politisch aber ein äußerst wackeliges Konstrukt. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt betont dennoch: „Die AfD ist schlagbar.“ Ob er dafür freilich eine Koalition mit Wagenknecht und dem BSW – die bei Waffenlieferungen, Steuern oder Mindestlohn radikal andere Positionen vertreten – eingehen würde, dazu verweigert er lieber die Aussage. (Marc Beyer)

Auch interessant

Kommentare