"Wofür haben sie überhaupt gekämpft?" - Warum Ukraine-Kämpfer aus Belarus eine neue Heimat suchen

Viktor (Name geändert) zog 2022 freiwillig in den Kampf gegen Russlands Angriffskrieg und verbrachte ein Jahr in der ukrainischen Armee. Dann ging er nach Polen, wo er sich wegen einer Verwundung behandeln ließ. In Warschau beantragte er Asyl, da ihm in seiner Heimat Belarus wegen der Kriegsteilnahme eine Strafverfolgung droht.

Der ehemalige Manager eines belarussischen Unternehmens dachte, er werde aufgrund seines Einsatzes auf Seiten der Ukraine schnell einen Job bei einer ukrainischen Firma in Polen finden. Doch Personalvermittler wiesen ihn ab, mit der Begründung, dass er belarussischer Staatsbürger sei. 

Zudem fürchteten sie, Viktor könnte eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln und bei Kollegen Schamgefühle hervorrufen.

Ukrainer, die nicht gekämpft haben, schämen sich 

"Sie sagten, es gebe Ukrainer in der Firma, die nicht gekämpft hätten, und wenn sie mich einstellen würden, würden sich diese vor mir deswegen schämen oder unwohl fühlen - kurz gesagt: Sie seien besorgt, was die Stimmung im Team angeht", so der ehemalige Kämpfer.

Da Viktor nach nur wenigen Monaten seine Ersparnisse ausgingen, nahm er schließlich einen Job in einer Autowerkstatt an. Zwei weitere Monate später bekam er ein Jobangebot seiner ehemaligen belarussischen Firma, von Polen aus weiter für sie zu arbeiten.

"Dann fragen sie sich verzweifelt, wofür sie überhaupt gekämpft haben?"

Ihm zufolge gelingt es nicht allen einstigen Kämpfern, sich wieder ins zivile Leben zu integrieren. Dies falle vor allem jungen Veteranen, die ohne Berufsausbildung in den Krieg gezogen seien, besonders schwer.

"Sie überlegen, ob sie sich als Kurierfahrer oder Bauarbeiter betätigen sollen. Dann fragen sie sich verzweifelt, wofür sie überhaupt gekämpft haben: Um zwölf Stunden auf einem Fahrrad zu sitzen? So beginnt sich deren Weltbild zu verändern", sagt Viktor. Er kenne Fälle, in denen psychische Probleme zu Obdachlosigkeit und sogar Selbstmord geführt haben.

Ukrainische Armee verlassen, weil Motivation verloren ging

Auch Anton (Name geändert) arbeitete einst in Belarus - als Manager. Er schloss sich gleich im ersten Kriegsmonat den ukrainischen Streitkräften an und verbrachte zwei Jahre an der Front, wo er Kopfverletzungen und weitere Verwundungen erlitt. Heute lebt der 29-Jährige in Warschau und wartet dort seit neun Monaten auf einen Asylbescheid.

Die ukrainische Armee habe er verlassen, weil er die Motivation verloren habe, sagt er. Anfangs habe er in der Ukraine bleiben wollen, doch es habe dort keine Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis gegeben.

Anton: "Wenn, dann funktioniert es wohl nur mit Korruption"

"Ich habe mir viele Geschichten meiner Freunde angehört und begriffen, dass es unrealistisch ist, einen legalen Status zu bekommen. Sogar Männer, die ukrainische Frauen haben, bekamen Ablehnungen. Wenn, dann funktioniert es wohl nur mit Korruption. Der Krieg ist nicht die beste Zeit für Leben und Entwicklung. Aber ich bin ja noch ein junger Mann", sagt Anton, der in Polen bislang noch keinen festen Job gefunden hat.

Laut Andrej Kuschnjerow von der Veteranenorganisation "Vereinigung belarussischer Freiwilliger" konnten die meisten Belarussen nach ihrem Ausscheiden aus der ukrainischen Armee vor allem deshalb nicht in der Ukraine bleiben, da ihnen die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis fehlten. 

Bei manchen liefen die belarussischen Pässe ab; neue konnten sie nicht beantragen. Und die Ukraine habe ihnen keine Papiere ausgestellt, erklärt Kuschnjerow.

Daher ziehen viele der Veteranen in einen EU-Staat - meist nach Polen, weil dies gemäß Dublin-Abkommen ihr erstes Einreiseland in die Europäische Union ist, in dem sie Asyl erhalten können. 

Nach Litauen gingen meist diejenigen, die dort bereits vor dem umfassenden Krieg Russlands gegen die Ukraine gelebt haben, erläutert der Aktivist und ehemalige belarussische Freiwillige Aleksandr Klotschko.

Er findet, Veteranen sollten von der belarussischen Zivilgesellschaft stärker unterstützt werden. "Wenn ein Fall irgendetwas mit dem Militär zu tun hat, gibt es oft Bedenken, sich dessen anzunehmen", sagt Klotschko und bedauert, dass sich diese Haltung auch auf Familienangehörige ehemaliger Kämpfer auswirkt. 

"Wie kann man die Familie eines gefallenen belarussischen Freiwilligen als militärische Angelegenheit betrachten?", sagt der Aktivist, der betont, es handele sich vielmehr um ein humanitäres Problem.

Ehemaligen belarussischen Freiwilligen in der Ukraine hilft das Rehabilitationszentrum Lanka, das von der belarussischen Aktivistin Tatjana Gazuro-Jaworskaja gegründet wurde. In der EU gebe es keine vergleichbare Initiative, so Andrej Kuschnjerow. "Wir brauchen eine systematische Arbeitsbeschaffung für Hunderte von Menschen, aber es fehlt die Finanzierung", beklagt er.