Ein Besuch in der Obdachlosenhilfe „Aktion Brücke“ zur Adventszeit
Germering – Das Thermometer zeigt Minusgrade an und das nicht nur nachts. Auch tagsüber steigen die Temperaturen mittlerweile kaum noch über den Gefrierpunkt. Eine besonders schwere Zeit für Menschen, die ihren Alltag auf der Straße verbringen.
Ein Blick in viele Wohnzimmer zeigt es, bei den meisten Familien ist Weihnachtsstimmung eingekehrt. Lichterketten schmücken die Häuser, Kinder backen mit ihren Eltern Plätzchen und auch sonst haben es sich die meisten zu dieser Jahreszeit daheim gemütlich gemacht – es herrscht immerhin tiefster Winter.
Das bedeutet aber auch, dass es die Ärmsten der Armen noch härter trifft. Begriffe wie Kältebus oder Notunterkunft werden für Obdachlose zu einer täglichen Herausforderung, denn für sie bedeutet der Winter den Kampf ums nackte Überleben aufzunehmen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im vergangenen Dezember Zahlen veröffentlicht, denen zufolge in Deutschland etwa 262.000 Menschen als wohnungslos gelten. 38.500 Personen davon leben tatsächlich auf der Straße, denn wohnungslos bedeutet nicht gleich obdachlos. Obdachlos sind Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben, sie übernachten meist in Parks, im öffentlichen Raum oder in U-Bahnstationen. Als wohnungslos bezeichnet man Menschen, die keinen Mietvertrag haben, beispielsweise aber in einer Notunterkunft, einer kommunalen Einrichtung oder bei Freunden unterkommen. Knapp zwei Drittel der wohnungslosen Personen sind männlich.
Schicksalhafte Begegnungen
Hinter jedem dieser Menschen steckt ein besonderes Schicksal, der Grund, warum sie in der Obdachlosigkeit gelandet sind. Das sind Geschichten, die sie nicht mit jedem teilen – jedoch aber mit den ehrenamtlichen Helfern der Aktion Brücke. Vor über drei Jahren haben Anja Sauer und Veronika Aichinger die Obdachlosenhilfe in Germering gegründet. Hinsehen und helfen, das haben sich die mittlerweile rund 150 Helfer rund um die beiden Frauen zum Motto gemacht. Weggeschaut werde oft genug, gerade jetzt in der kalten Jahreszeit, erklärt Sauer.
Menschen, die mitten unter uns leben, aber dennoch als unsichtbar gelten, transparent. Ein Blick durch sie hindurch ist für viele einfacher als die Ansprache. Aber genau das, so Sauer, solle man machen. „Ruhig und freundlich fragen, ob man helfen könne, ob man etwas zu essen besorgen darf“, sagt sie. Und nicht einfach eine Leberkässemmel kaufen und sich wundern, wenn diese nicht freudig angenommen wird. „Vielleicht ist das ja schon die fünfte an diesem Tag“, erklärt die Vorsitzende des Vereins. Ansprechen, aber nicht aufdringlich sein, ist die Devise. „Es ist ja quasi wie das Wohnzimmer der Menschen, in das man eindringt“, erklärt sie, da müsse man reflektieren.

Außerdem sei zu bedenken, dass viele Menschen den Obdachlosen nicht immer wohl gesonnen sind. Es herrscht Angst, Skepsis, Misstrauen. Nicht nur Fremden gegenüber, auch untereinander. Schlafsäcke und warme Kleidung ist da ein heiß begehrtes Gut, das weiß auch Sauer, als sie umgeben von Kisten im Lager der Obdachlosenhilfe in Germering steht und von „ihrem Verein“ berichtet.
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Über die Jahre hinweg kenne man viele Obdachlose, sagt Sauer. Jeden Sonntag fahren die Ehrenamtlichen mit drei Touren-Teams raus. Und das nicht nur in Germering und im Landkreis Fürstenfeldbruck, sondern auch nach München. 800 bis 1.000 Personen erreichen sie so jede Woche. 80 Prozent der Menschen seien dabei Stammgäste, sagt Sauer. Natürlich haben der Krieg und Corona ihr Übriges zur aktuellen Situation beigetragen. Flüchtlinge verweisen die Helfer jedoch an andere Stellen, solche Kapazitäten besäßen sie nicht. Trotzdem müsse den Menschen bewusst sein, dass es Obdachlosigkeit nicht nur in den Großstädten gebe, auch wenn sie hier vielleicht prominenter erscheint. Auf den Stand an der Münchner Freiheit ist beispielsweise der 29-jährige Adrian aufmerksam geworden, der sich an diesem Tag als freiwilliger Helfer melden möchte. Er wolle da helfen, wo er gebraucht werde, ob das nun in der Küche, beim Ausfahren der Touren oder im Lager ist. „Ich möchte etwas Soziales leisten“, sagt er und kommt mit den Initiatorinnen ins Gespräch.
Es ist Samstag und damit Annahmetag im Lager in der Germeringer Harfe. Neben vielen Helfern sind auch die Germeringer Obdachlosen vor Ort und suchen sich Kleidungsstücke aus oder bekommen etwas zu essen. In der sogenannten Harfe befindet sich ein Lagerraum, der jetzt schon aus allen Nähten platzt. Die Kisten stapeln sich bis zur Decke, die Ausmaße des Raumes sind so kaum zu fassen. Er ist zu klein, das ist allemal sicher. Aktuell, mit der laufenden Weihnachtsaktion, sind so viele Kleidungsstücke und Hygieneartikel von Spendern gebracht worden, das sie teilweise in den privaten Wohnungen der Helfer zwischengelagert werden müssen.
Die Helfer müssen aber auch viel aussortieren und so appelliert Sauer an die Spender, ihren Container oder auch das Lager nicht dazu zu missbrauchen, mottendurchlöcherte, muffige Kleidung, die vielleicht mehrere Jahrzehnte im Keller oder auf dem Dachboden gelagert war, bei ihnen abzugeben. Denn die Entsorgung sei nicht nur kosten-, sondern vor allem zeitintensiv. Bis Ende 2024 dürfen die Helfer noch dortbleiben, dann muss ein neues Lager her, denn das Gebäude soll abgerissen werden – eine Sorge mehr für die Helfer.
Weihnachtsaktion
So wie alle anderen Menschen auch, sollen die Obdachlosen an Weihnachten ein Geschenk erhalten. Vorwiegend über die Social-Media-Kanäle hat die Aktion Brücke deshalb wieder zur Sammelaktion aufgerufen. Auf einem Flyer wurde zusammengefasst, was am besten in das weihnachtlich verpackte Paket getan werden soll, um den Menschen auf der Straße eine besondere Freude zu machen. Denn eines weiß Sauer durch den steten Kontakt, die Zeit rund um Weihnachten ist für viele Obdachlose besonders schwer – allein und ohne ihre Familie auf der Straße. Umso wichtiger sei es Sauer da, dass die Touren am 24. und 31. Dezember beide stattfinden. „Wir wollen niemanden im Stich lassen, nur weil die Feiertage auf einen Sonntag fallen“, sagt Sauer und erklärt, dass sich diejenigen Helfer freiwillig gemeldet haben, die keine Kinder haben oder deren Familien weiter weg wohnen. Am 17. Dezember soll aber schon die erste Christkindl-Tour stattfinden, wer hier nicht angetroffen werden kann, soll sein Weihnachtspaket am 24. erhalten. Bis zum 16. Dezember können also noch Spenden abgegeben werden. „Am besten schon schön verpackt“, so Sauer. Rund 50 Pakete haben sie bereits. Genug gebe es aber nicht, so die Ehrenamtliche.
Neben Geld- und Sachspenden sind weitere helfende Hände immer erwünscht. „Und wenn es nur zwei Stunden im Monat sind“, sagt Sauer. Zudem werde die Obdachlosenhilfe auch regelmäßig von Firmen unterstützt. Als Teambuilding-Maßnahme besuchen diese die Aktion Brücke und helfen damit, wo gerade Hilfe gebraucht wird. Und helfen kann jeder.