Beide Beine amputiert: Mann aus Bayern kämpft gegen Krankenkasse

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Verlor beide Beine und muss sich nun mit der Krankenkasse streiten: Robert Schindelhauer. © privat

Robert Schindelhauer wurden beide Oberschenkel amputiert. Seitdem streitet er mit der AOK Regensburg um seinen Pflegegrad.

Regensburg – Im Juli jährt sich für Robert Schindelhauer ein einschneidendes Ereignis: Seit zwei Jahren lebt er ohne Beine. Am 12. Juli 2023 musste sein rechter Oberschenkel amputiert werden – eine drastische Folge seiner schweren Gefäßerkrankung. Bereits eineinhalb Jahre zuvor verlor er sein linkes Bein. „Alle drei Hauptschlagadern waren verstopft, eine sofortige Operation war nötig“, berichtet der 54-Jährige. Drei Monate später erlitt er einen Schlaganfall.

Ein zermürbender Kampf mit der AOK: Rollstuhl war eine Spende

Seitdem kämpft Schindelhauer gegen die AOK Regensburg – ein zermürbender Kampf. „Über ein Jahr haben wir für einen elektrischen Rollstuhl gestritten“, erzählt Eva Maria Körber, die ihn unterstützt. „Dann kam ein klappriges Modell mit 15 Kilometern Reichweite. In der Altstadt blieben die kleinen Räder im Kopfsteinpflaster stecken.“ Körber, früher Verwaltungsangestellte bei einer Kranken- und Pflegekasse, hilft Schindelhauer bei Anträgen und Widersprüchen. Ihre Unterstützung ist unverzichtbar.

Einen funktionstüchtigen Elektrorollstuhl erhielt Schindelhauer Anfang des Jahres – nicht von der Krankenkasse, sondern durch eine Spendenaktion der „Regensburger Herzen“. Doch der Kampf mit der Bürokratie von AOK und Medizinischem Dienst (MD) geht weiter.

Nur Pflegegrad 1: Das reicht für zwei Mal duschen im Monat

Am 3. Januar 2024 entschied die AOK, Schindelhauer Pflegegrad 1 zuzuweisen – trotz seiner erheblichen Einschränkungen. Damit stehen ihm nur 131 Euro Entlastungsbetrag zu, aber keine Zuschüsse für Pflege oder Hilfsmittel. „Für diesen Betrag kann ich zweimal im Monat einen Pflegedienst fürs Duschen engagieren oder eine Reinigungskraft für drei Stunden“, sagt er.

Auch auf eine behindertengerechte Badezimmereinrichtung oder einen Treppenlifter hat er keinen Anspruch. Die fünf Stufen zu seiner Wohnung im Hochparterre bewältigt er, indem er auf dem Gesäß hinauf- und hinunterrutscht. Beim Umsetzen vom Rollstuhl auf den Duschstuhl ist er schon mehrfach gestürzt. „Er braucht Hilfe beim Abtrocknen und bei der Hautpflege im Intimbereich“, erklärt Körber. Einmal saß er sich wund, die Heilung dauerte Monate.

Unterstützerin kritisiert oberflächliches Gutachten zum Pflegegrad

Das Bayerische Gesundheitsministerium verweist auf die begrenzte Leistung der Pflegeversicherung: Diese decke nicht alle Kosten ab. Der Gesetzgeber sehe die Verantwortung auch bei den Betroffenen und ihren Familien. Doch Schindelhauer hat keine Familie. Seine Eltern sind kürzlich verstorben.

Die Grundlage für die Pflegegrad-Entscheidung der AOK war ein Gutachten des Medizinischen Dienstes vom Dezember 2023. Körber, die bei der Begutachtung anwesend war, kritisiert die Oberflächlichkeit. „Die Gutachterin stellte Suggestivfragen“, sagt sie. Ein Beispiel: „Herr Schindelhauer, aber duschen können Sie sich alleine? “

Seine Antwort: „Ja, aber ich brauche Hilfe, um vom Rollstuhl in die Dusche und zurück zu kommen. Ich kann mich nicht überall abtrocknen, und der Gesäßbereich muss gepflegt werden, damit ich mich nicht wundsitze.“ Im Gutachten heißt es dennoch, er könne Duschen und Intimpflege selbstständig erledigen. Das Ergebnis: zwölf Punkte, Pflegegrad 1.

AOK Regensburg: Verzögerungen, keine Auskunft, Ausflüchte

Mit Körbers Hilfe legte Schindelhauer Widerspruch ein. Doch seitdem zieht sich das Verfahren hin. Eine erneute Begutachtung vor Ort fand bis heute nicht statt. Stattdessen bestätigte die AOK im April 2024 den Pflegegrad 1 erneut – auf Basis eines Gutachtens „nach Aktenlage“. Schindelhauer forderte eine persönliche Begutachtung, doch vier Monate passierte nichts. Auf Körbers Nachfrage verweigerte die AOK mit Verweis auf den Datenschutz jede Auskunft, obwohl eine Vollmacht vorliegt. Auch weitere Anrufe blieben erfolglos.

Ende Januar suchten Körber und Schindelhauer die Geschäftsstelle der AOK auf. Nach langem Warten erklärte man ihnen, die Unterlagen seien nicht auffindbar. Man werde sich melden – doch das geschah nicht. Körber telefonierte tagelang mit verschiedenen Mitarbeitern, ohne Ergebnis. Besonders entsetzt war sie über die Aussage eines Mitarbeiters, sie solle einen neuen Antrag stellen, um das Verfahren zu beschleunigen. „Das ist verfahrensrechtlich unmöglich“, sagt sie.

AOK Regensburg spricht von einem „unglücklichen Fehler“

Körber und ein befreundeter Krankenpfleger ermittelten selbst den Pflegegrad: 67 Punkte, Pflegegrad 3, knapp an der Grenze zu Pflegegrad 4. Doch die AOK blieb bei ihrer Einschätzung. Eine erneute Begutachtung vor Ort lehnte sie ab. Stattdessen bestätigte ein weiteres MD-Gutachten „nach Aktenlage“ den Pflegegrad 1. Dieses sollte Ende Februar dem Widerspruchsausschuss vorgelegt werden. Bis heute gibt es kein Ergebnis.

Auf Nachfrage unserer Redaktion bedauert die AOK die Verzögerung und spricht von einem „unglücklichen Fehler“. Man beruft sich auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes, der es als „schlüssig und nachvollziehbar“ verteidigt. Bereiche wie „Haushaltsführung“ oder „Außerhäusliche Aktivitäten“ flößen laut Richtlinien nicht in die Pflegegrad-Bewertung ein.

Immer öfter: Robert Schindelhauer denkt an Suizid

Das Bayerische Gesundheitsministerium weist jede Verantwortung von sich. Für die Überprüfung von Gutachten seien Sozialgerichte zuständig. „Alltägliche Verrichtungen, die Herr Schindelhauer zwar nur mit Schwierigkeiten oder einem erhöhten Zeitaufwand, aber doch noch alleine ohne Hilfe durchführen kann, finden (in den Gutachten, Anm. d. Red.) keine Berücksichtigung. “, heißt es.

Die AOK kündigte an, eine neue Begutachtung bei Schindelhauer zu Hause zu veranlassen. Das ist zwei Wochen her. Schindelhauer ist mit den Nerven am Ende. Immer häufiger äußert er Suizidgedanken. Der Medizinische Dienst erklärt dazu: „Das war und ist uns nicht bekannt.“

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