Auto-Preiskrieg in China überlebt fast keiner – das ist die Chance für Europa

Der chinesische Automarkt kollabiert. Seit Jahren tobt dort ein Preiskrieg. Jetzt kocht er über. Was ist passiert? BYD hat im Mai massiv die Preise gesenkt. Bei 22 Modellen um bis zu 34 Prozent. Die Konkurrenz musste nachziehen. Die Aktienkurse brechen ein. Die Gewinne auch. Jetzt musste sogar die chinesische Regierung eingreifen. Wir haben lange über eine Konsolidierung in China spekuliert. Jetzt ist sie da. 

Ein Blick auf das, was da gerade in China passiert. Und was das für deutsche Unternehmen und den europäischen Automarkt bedeutet. Denn diese Entwicklung wird massive Auswirkungen haben. Besonders auf uns in Europa.

Über Philipp Raasch

Philipp Raasch ist Gründer von 'Der Autopreneur' – einem führenden deutschsprachigen Newsletter und Podcast zur Transformation der Automobilindustrie. Mit fast zehn Jahren Mercedes-Erfahrung analysiert er prägnant die drei großen Umbrüche der Branche: von Hardware zu Software, vom Verbrenner zum E-Motor und vom Selbstfahren zum autonomen Fahren. Über seinen Newsletter, Podcast und sein Linked-In-Profil erreicht er wöchentlich über 29.000 Fach- und Führungskräfte aus der gesamten Automobilindustrie.

Der Preiskampf wird zum Blutbad

BYD hat den Preiskampf im Mai aufs nächste Level gebracht: 

  • Die Preise bei 22 Modellen wurden um bis zu 34 Prozent gesenkt.
  • Der Seagull (vergleichbar mit dem Dacia Spring, aber mit ADAS) kostet jetzt nur noch 6700 Euro.
  • Den Seal (vergleichbar mit dem Tesla Model 3) gibt es für 12.500 Euro.

Die Konkurrenz musste nachziehen: 

  • Geely hat den Xingyuan auf 7200 Euro gesenkt.
  • Chery bietet den Tiggo 3X für nur 4200 Euro an.
  • SAIC-GM hat die Preise für Buick-Modelle drastisch reduziert.
Preissenkungen bei chinesischen und ausländischen Marken
Preissenkungen bei chinesischen und ausländischen Marken Bloomberg

Das Ergebnis: In nur zwei Wochen hat BYD über 20 Mrd. Dollar an Börsenwert verloren. Die durchschnittliche Rendite in der Branche ist von 4,3 Prozent in 2024 auf 3,9 Prozent im Q1 2025 gefallen. 

Warum BYD diesen Krieg begonnen hat

BYD hat für 2025 ein Verkaufsziel von 5,5 Mio. Fahrzeugen ausgegeben. In den ersten vier Monaten haben sie aber nur 1,38 Mio. Autos verkauft. Dazu kommt: Im wichtigen Segment unter 12.000 Euro hat BYD bisher nur 7,4 Prozent Marktanteil. Hier will das Unternehmen stark wachsen. 

BYD hat dabei zwei entscheidende Vorteile: 

  1. Ihre vertikale Integration. Sie produzieren über 90 Prozent ihrer Batterien selbst.
  2. Gleichzeitig sind die Lithiumpreise um 90 Prozent gefallen, von 72.000 auf 7200 Euro pro Tonne.

Lithium ist der Schlüsselrohstoff für Batterien. Mit diesen Kostenvorteilen kann BYD die Preise senken und trotzdem profitabel bleiben. Ihr Ziel: den Markt bereinigen. BYD will die Konsolidierung beschleunigen. Sie wollen zu den wenigen Überlebenden gehören. 

"Wir haben einen Evergrande in der Autobranche"

Wei Jianjun ist Gründer und CEO von Great Wall Motor. Er sagt: "In der Automobilindustrie gibt es bereits ein Evergrande. Es ist nur noch nicht zusammengebrochen." Evergrande war ein riesiger chinesischer Immobilienkonzern. Er ging 2021 mit 300 Mrd. Dollar Schulden pleite. Der Crash hat die chinesische Wirtschaft hart getroffen. Und Wei zieht jetzt Parallelen zum Automarkt. Auch einige Autohersteller würden ihr Geschäftsmodell auf massiven Schulden aufbauen. 

Obwohl er keinen Namen nannte, fühlt sich BYD direkt angesprochen: Sie kündigen rechtliche Schritte gegen alle an, die das Unternehmen mit Evergrande vergleichen. Der PR-Chef Li Yunfei verteidigte die Verschuldungsquote von 70 Prozent und verwies auf ähnliche Werte bei Ford, Boeing und Toyota. 

Vier Probleme, die den Markt destabilisieren

Der chinesische Automarkt kämpft mit vier großen Problemen: 

1. Überkapazitäten

Die chinesische Autoindustrie kann fast doppelt so viele Autos produzieren, wie verkauft werden. Die Fabriken laufen mit nur 49,5 Prozent Auslastung. Es gibt 3,5 Millionen unverkaufte Autos auf Lager. Wer die Bänder auslasten will, senkt die Preise. Ein Teufelskreis. 

2. Verzweifelte Kostensenkungen

Die Hersteller müssen die Preise senken, wollen aber ihre Margen halten. Also sparen sie an allen Ecken. Die Gefahr: Billigere Komponenten könnten die Sicherheit gefährden. Das "Made in China"-Image könnte Schaden nehmen. 

3. Lieferanten unter Druck

BYD hat 2023 durchschnittlich 275 Tage gebraucht, um seine Lieferanten zu bezahlen. Die Zulieferer werden faktisch zu Banken. Laut GMT Research liegt BYDs wahre Verschuldung bei etwa 39 Milliarden Euro. Offiziell ausgewiesen sind nur 3,3 Milliarden Euro. Die Differenz kommt durch verzögerte Zahlungen an Lieferanten zustande. 

4. "Null-Kilometer-Gebrauchtwagen"

Hersteller verkaufen Neuwagen an Finanzierungsgesellschaften oder Händler, um ihre Verkaufsziele zu erreichen. Diese Autos landen dann als "Gebrauchtwagen" mit null Kilometern und Rabatten von bis zu 40 Prozent auf dem Markt. So werden Verkaufszahlen künstlich aufgebläht und Preise verzerrt. 

Die unvermeidliche Konsolidierung

Von 169 Autoherstellern in China haben mehr als die Hälfte unter 0,1 Prozent Marktanteil. Diese Zersplitterung ist nicht haltbar.

NEV-Konsolidierung zum ersten Mal
NEV-Konsolidierung zum ersten Mal Bloomberg/AlixPartners

Analysten der Bank of America erwarten ein "Blutbad" noch in diesem Jahr. Nach Einschätzung der CAAM werden am Ende nur fünf bis sieben dominante Marken übrigbleiben. 

Die Regierung greift jetzt durch

Nun schaltet sich die chinesische Regierung ein. Sie hat die Chefs von über einem Dutzend Autohersteller nach Peking bestellt. Darunter BYD, Geely und Xiaomi. 

Die Botschaft: 

  • Keine Verkäufe unter Selbstkosten
  • Keine unangemessenen Preissenkungen
  • Schluss mit "Null-Kilometer-Autos"
  • Faire Behandlung von Zulieferern 

Die Reaktion kam prompt. 17 chinesische Autobauer haben versprochen, ihre Zahlungsfristen auf 60 Tage zu begrenzen. Das gilt für alle großen Namen: BYD, Geely, Chery, aber auch für Startups wie Nio, Xpeng und Li Auto.  

Gleichzeitig sorgt sich die Regierung um den Ruf des "Made in China"-Labels. Staatsmedien warnen, dass billige Autos den Ruf chinesischer Produkte im Ausland beschädigen könnten. 

Die Auswirkungen sind weitreichend

1. Ausländische Marken in China verlieren

Seit Jahren verlieren ausländische Marken in China Markanteile. Allein in den ersten zwei Monaten von 2025 sind die Verkäufe stark eingebrochen: 

  • Deutsche Marken: -12,6 Prozent
  • Japanische Marken: -18,9 Prozent
  • Amerikanische Marken: -10,1 Prozent 

Der Marktanteil chinesischer Marken ist auf 69,4 Prozent gestiegen. 2020 waren es noch 36 Prozent. Sogar bei Verbrennern gewinnen chinesische Marken: Geely verkauft inzwischen mehr Verbrenner als Toyota. 

2. Der Wettbewerb verlagert sich von Preis auf Technologie

Durch die extremen Preissenkungen ist der Preis praktisch kein Differenzierungsmerkmal mehr. Alle sind günstig. Der Wettbewerb verlagert sich zur Technologie. 

Chinesische Hersteller bieten hochwertige Technologie zu günstigen Preisen. In Autos unter 12.000 Euro findet man: 

  • Fortschrittliche Fahrassistenzsysteme
  • Premium-Ausstattung wie belüftete Sitze
  • High-End-Infotainment und KI-Features 

Dies setzt ausländische Marken doppelt unter Druck: Sie müssen sowohl beim Preis als auch bei der Technologie mithalten. 

3. Der Exportdruck steigt massiv

Der überhitzte chinesische Markt zwingt die Hersteller zum Export. Bereits 20 Prozent aller in China produzierten Fahrzeuge gehen ins Ausland. Ein Plus von 11 Prozent zum Vorjahr. Der Druck steigt weiter: Der US-Markt ist durch Zölle praktisch geschlossen. Japan und Korea könnten folgen. Russland wird als Exportmarkt schwieriger. Bleibt also Europa. 

Was bedeutet das für Europa?

Die EU hat im Oktober 2024 Anti-Subventions-Zölle auf chinesische E-Autos eingeführt. Jetzt laufen Verhandlungen über Mindestpreise (etwa 35.000 Euro) und Kontingente. Aber selbst mit Zöllen werden chinesische Autos preislich attraktiv bleiben. 

Ein Beispiel: Der BYD Seal kostet in China 12.500 Euro. Mit 45 Prozent Zoll wären das 18.125 Euro. Immer noch nur die Hälfte eines Tesla Model 3. 

Für Europa hat das entscheidende Konsequenzen: 

  • Der Exportdruck steigt massiv. Je härter der Wettbewerb in China, desto stärker suchen die Hersteller neue Märkte. Europa steht ganz oben auf der Liste.
  • Der Preiskampf wird mit exportiert. Auch in Europa müssen wir uns auf sinkende Preise und aggressiven Wettbewerb einstellen

Mein Take: Der Überlebenskampf in China bietet Chancen für deutsche Autobauer

Was wir in China sehen, ist kein normaler Wettbewerb. Es ist ein Kampf ums Überleben. Die lange erwartete Konsolidierung. Von den etwa 170 chinesischen Automarken werden nur fünf bis sieben überleben. 

Das hat drei Konsequenzen für die deutsche Autoindustrie: 

  1. In China selbst: Der Druck auf ausländische Marken wird weiter steigen. Wer nicht bei Preis und Technologie mithalten kann, verliert Marktanteile.
  2. In Europa: Der Exportdruck aus China nimmt zu. Die Frage ist nicht ob, sondern wie viele chinesische Autos kommen werden.
  3. Für die Strategie: Im reinen Preiswettbewerb haben deutsche Hersteller keine Chance. Technologisch hinken sie aktuell auch hinterher. Sie müssen auf andere Differenzierungsfaktoren setzen: z.B. Qualität, Sicherheit und Verlässlichkeit.

Aber es gibt auch Chancen. Ich denke: Der Shake-out in China ist DIE große Chance für deutsche Companies. Es ist die optimale Gelegenheit für smarte Investments. Angeschlagene chinesische Hersteller suchen Partner oder Investoren. Deutsche Unternehmen können selektiv einsteigen: 

  • Durch gezielte Beteiligungen
  • Joint Ventures für spezifische Technologien
  • Und vor allem: Den Kauf einzelner Assets wie Patente, Technologien und Teams 

Der Ausverkauf in China hat begonnen. Und das ist DIE große Chance, den technologischen Rückstand mit einem Schlag aufzuholen.