„Sehen Zeichen eines Genozids in Gaza“ – Slowenien fordert mehr Druck auf Israel
Sloweniens Außenministerin setzt im Nahen Osten auf eine Zwei-Staaten-Lösung. Mit Blick auf Grenzkontrollen in der EU fürchtet sie um Schengen.
Ljubljana/München – Rund zwei Millionen Einwohner, eine Fläche etwas größer als Rheinland-Pfalz. Slowenien, südlicher Nachbar Österreichs, mag kein großes EU-Land sein, aber es verschafft sich international Gehör. Das liegt auch an Tanja Fajon. Die Außenministerin, verheiratet mit einem Franken, ist zu einer Sitzung der slowenisch-bayerischen Kommission nach München gereist, einer traditionsreichen bilateralen Plattform. Im Gespräch treibt sie aber anderes um.
Frau Ministerin, Donald Trump hält einen Waffenstillstand in Gaza diese Woche für möglich. Sehen Sie Anzeichen dafür?
Momentan sehe ich vor allem, dass täglich mehr palästinensische Zivilisten getötet und humanitäre Hilfslieferungen blockiert werden. Die Eskalation geht weiter. Wir dürfen auch nicht vergessen, was im Westjordanland passiert: die illegale Landnahme durch Israel, die Siedlergewalt. Ich wäre die Erste, die eine Waffenstillstands-Initiative unterstützen würde.
Es könnte sofort Frieden geben, wenn Hamas die übrigen Geiseln freiließe.
Entschuldigung, so einseitig ist das nicht. Beide Seiten müssen ihren Teil beitragen. Wir sehen klare Verstöße gegen internationales Recht aufseiten Israels. Und wir sehen Anzeichen eines Genozids.

Sie verlieren kein Wort über die Gräueltaten der Hamas-Terroristen...
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Hamas ist eine Terrororganisation und was sie den Menschen in Israel am 7. Oktober 2023 angetan hat, hätte nie passieren dürfen. Aber jetzt sehen wir mehr als 55 000 Tote, wir sehen Kinder, die verhungern, weil es keine humanitäre Hilfe gibt. Ich hoffe, dass beide Seiten sich auf eine Feuerpause einigen und irgendwann ernste Diskussionen über eine Zwei-Staaten-Lösung führen.
Slowenien hat vor einem Jahr als eines der wenigen EU-Länder Palästina anerkannt. Glauben Sie ernsthaft an zwei Staaten?
Das sollte eine Botschaft der Hoffnung senden und zeigen, dass jede Nation ein Recht auf Selbstbestimmung hat. Es ist die einzige Chance dafür, dass Israelis und Palästinenser in Frieden nebeneinander leben.
Waffenembargo und Sanktionen: Slowenien fordert mehr Druck auf Israel
Wie blicken Sie denn auf die deutsche Regierung, die Israel nicht verurteilt?
Die Unterschiede sind nicht so groß. Im Rat der EU-Außenminister sind sich alle einig, dass die humanitäre Situation schrecklich ist. Wir alle sprechen über einen Waffenstillstand und eine Zwei-Staaten-Lösung. Die Unterschiede liegen in Nuancen.
Was fordern Sie mit Blick auf Israel?
Die Frage ist, ob wir als EU die Kraft haben, auf Israels Verletzungen des internationalen Rechts zu reagieren. Die Leute erwarten das von uns. Man kann über Handelssanktionen reden, Sanktionen gegen gewalttätige Siedler oder auch über ein Waffenembargo.
Deutschland kann niemals ein Waffenembargo gegen Israel verhängen.
Mir ist die historische Dimension dahinter schon klar. Aber es geht hier nicht um Antisemitismus, sondern darum, Grausamkeiten, die jeden Tag passieren, zu verhindern. In Israels Regierung gibt es zwei Minister, die ausdrücklich die Vertreibung der Palästinenser fordern. Gerade passiert das von selbst. Und wenn wir noch länger zuschauen, wird es dort keine Palästinenser mehr geben, weil alle geflohen sind.
Grenzkontrollen: Slowenien sorgt sich um Schengen-Abkommen
Deutschland hat zum Ärger mancher Nachbarn Grenzkontrollen eingeführt. Was halten Sie davon?
Nun ja, immer mehr Länder tun das, auch Slowenien kontrolliert an den Grenzen zu Kroatien und Ungarn. Schengen ist im Moment leider ernsthaft gefährdet. Gut ist aber: Die Polizeien der Länder auf der Balkanroute arbeiten wunderbar zusammen. Letzte Woche sagte mir Migrationskommissar Magnus Brunner, die Flüchtlings-Zahlen seien dort um 90 Prozent zurückgegangen.
Ein Ergebnis der Kontrollen?
Es gibt verschiedene Faktoren. Schauen Sie, entscheidend ist doch, dass wir Migration an den EU-Außengrenzen richtig managen, und das neue Migrations-Abkommen ermöglicht das. Ich sähe es gerne, wenn Deutschland seine Grenzkontrollen wieder abschaffen würde. Aber vorher müssen wir das Vertrauen zwischen den Schengen-Staaten wieder herstellen. Wenn wir das nicht schaffen, wird das auch zum Problem für die europäische Integration werden.
Die Abkehr der Balkanstaaten von der EU - Sloweniens Außenministerin redete Serbien gut zu
Apropos Integration: Kann es sein, dass sich ausgerechnet bei den EU-Anwärtern des Westbalkans Ungutes zusammenbraut? Serbien wird immer autoritärer, in Bosnien-Herzegowina wächst der Separatismus...
Ich sage ganz klar: Bei all den Herausforderungen, vor denen Europa steht, brauchen wir eine Erweiterung mehr denn je. Das ist eine geostrategische Notwendigkeit. Wir haben viel Zeit verloren, was die Westbalkanstaaten betrifft, und die Frage ist jetzt: Können wir das unter der jetzigen Kommission nachholen? Nicht nur die Regierungen, auch die Bevölkerung des Westbalkans hat Vertrauen in Europa verloren. Schauen Sie mal auf die jungen Leute, die in Belgrad gegen die Regierung protestieren. Sie sehen da keine europäischen Flaggen, es gibt kein europäisches Gefühl.
Wollen Sie das Kreml-affine Serbien wirklich in der EU?
Es stimmt, die serbische Politik entfernt sich gerade von ihrer europäischen Zukunft. Als ich vor einiger Zeit in Belgrad war, sagte ich sehr klar: Wenn Ihr Teil der EU sein wollt, müsst Ihr eure Außenpolitik voll und ganz an die der EU anpassen. Serbien ist ein wichtiges Land und ich hoffe, dass alle Serben, die unsere Werte teilen, weiter auf Reformen drängen.
Lassen Sie uns noch kurz über Ihren Bayern-Besuch sprechen. Sie haben an einer Sitzung der serbisch-bayerischen Kommission teilgenommen. Was hat es damit auf sich?
Die Kommission war auf dem Weg zu Sloweniens Unabhängigkeit wichtig, weil sie schon zu jugoslawischen Zeiten tagte. Jedes Mal, wenn wir uns heute treffen, finden wir neue Wege der Zusammenarbeit. Diesmal haben wir zum Beispiel eine Zusammenarbeit von slowenischen und bayerischen Herz-Kliniken vereinbart. Und ich finde: IN Zeiten wie diesen ist solch eine Art der Zusammenarbeit besonders wertvoll.