Analyse von Ulrich Reitz - Demokratie nach Trump-Attentat bedroht? Wer das sagt, macht mehrere Denkfehler
„Solche Gewalttaten bedrohen die Demokratie.“ Das hat der Bundeskanzler gesagt über das Attentat gegen Donald Trump. Was Olaf Scholz sagte, klingt einleuchtend, ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch.
Dafür gibt es hinreichend empirische Belege. Es gab leider schon viele Attentate, auch in Deutschland. Menschen sind dabei gestorben oder haben – bisweilen knapp – überlebt, wie die Attentats-Opfer Wolfgang Schäuble und Oskar Lafontaine. Die Demokratie stand deshalb noch nie vor ihrer Abschaffung.
Dass eine Demokratie stärker ist als ihre jeweiligen Repräsentanten, macht gerade ihre Stärke aus. Das demokratische System ist resilient, sein Überleben hängt nicht am Überleben eines seiner Repräsentanten, und sei es der wichtigste.
Reagan überlebte Pistolenschüsse
Das demokratische Leben geht weiter, auch wenn das persönliche Leben eines Regierungschefs ausgelöscht worden ist. Das klingt vielleicht hart und empathiefrei, aber das soll es auch: Nicht einmal Attentäter, die unser System mit Anschlägen außer Kraft setzen wollten, haben dies geschafft – weder der Rechtsradikale Stephan Ernst, der den Bürgermeister Walter Lübke ermordete, noch die Mitglieder des Neonazi-Netzwerks NSU.
Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern es gilt auch für die USA. Der tödliche Anschlag auf den demokratischen US-Präsidenten John F. Kennedy war 1963 ein Schock – die Demokratie in Amerika hat er aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet.
Das gilt auch für das Attentat auf den republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan. Der überlebte die Pistolenschüsse aus der Waffe, die John Hinckley am 30. März 1981 gegen ihn wendete – und wurde danach noch zu einem der erfolgreichsten Präsidenten des Landes. Ohne Reagan wäre Deutschlands Einheit kaum möglich gewesen.
Sogar gegen so manche Verschwörungs-Theorie erwies sich die US-Demokratie als resistent, wie jene, in den Anschlag auf Reagan sei sein damaliger Vize George Bush verwickelt gewesen. Und die US-Demokratie wird auch noch die letzte Frage der ARD-Presseclub-Moderatorin Ellen Eni überstehen:
„Es klingt abwegig, aber könnte es sein, dass Donald Trump das Attentat auf sich selbst geplant hat, um als Märtyrer dazustehen?“ ARD-Korrespondentin Kerstin Klein ordnete die These vernünftigerweise dort ein, wo sie hingehört: als Verschwörungstheorie.
Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung war noch nie legal oder legitim
„Ächten wir Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Drängen wir Hass und Hetze zurück aus Wahlkämpfen und Debatten!“ Das hat der Bundespräsident gesagt.
Nun – Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung war noch nie legal und noch nicht einmal legitim. Geächtet war sie immer. Frank Walter Steinmeiers Satz erhebt eine Banalität in die Kategorie einer Staatsweisheit. Und Olaf Scholz schwört eine Systemgefahr durch ein Attentat herauf, die es nicht gibt.
Was „Hass und Hetze“ in der politischen Auseinandersetzung sind, darüber lässt sich streiten, diese oft genutzten Begriffe sind schillernd. Und können einer politischen Agenda folgen: Es besteht die Vermutung, dass eine Debatte in gewünschte Bahnen lenken will, wer vor Hass und Hetze vorgibt zu warnen. Das wäre dann allerdings nicht mehr banal.
Wohlfeil auch Annalena Baerbock: „Gewalt darf niemals zum Mittel der politischen Auseinandersetzung werden – ganz egal aus welchem Grund.“
Einmal abgesehen von diesem seltsamen Nachsatz – „egal aus welchem Grund“, der nahelegt, es könnte Gründe geben, denen man als Außenministerin schon einmal vorsorglich widersprechen müsse, aber: Wer der Repräsentanten des politischen Systems will in Deutschland, oder in den USA, Gewalt zum Mittel politischer Auseinandersetzung machen?
Biden: „Lasst das FBI seine Arbeit machen“
Bundesjustizminister Marco Buschmann sagt, Gewalt sei nie ein legitimes Mittel, um einen politischen Konflikt zu lösen. Hinter der Minister-These steckt eine Behauptung, die nicht bewiesen ist: Wollte der Trump-Attentäter überhaupt einen politischen Konflikt lösen?
Oder wollte er sich nicht wichtig machen? Vielleicht handelt es sich auch nur um einen Idioten. Wir wissen es noch nicht. „Lasst das FBI seine Arbeit machen“, sagte Joe Biden nach dem Attentat auf seinen Rivalen. Ein weiser Satz des greisen Amtsinhabers.
Oft genug sind Attentäter Verrückte. Das macht auch pseudo-psychologische Erklärversuche so problematisch. Einer lautet, die US-Gesellschaft sei extrem politisch polarisiert, für diese Polarisierung sei Trump mitverantwortlich. Das führe dann „am Ende zu immer mehr Gewalt“. So erklärte der Grüne Toni Hofreiter flugs Donald Trump zum geistigen Brandstifter, verantwortlich irgendwie auch für die mörderische Tat gegen ihn selbst.
Dahinter steckt die – besonders bei der politischen Linken – beliebte These, erst gebe es eine Brandrede, auf die folge dann unausweichlich ein Brandanschlag. Zweifel daran sind erlaubt: Es führt kein direkter Weg von der Debatten-Hetze zu einem Attentat.
Das würde, dies nur nebenbei – selbst den Täter entmenschlichen. Denn es würde ihn von persönlicher Verantwortung freisprechen und zum roboterhaften Erfüllungsgehilfen von Politikerreden machen. Sagen wir es so: Im deutschen Strafrecht gibt es eine solche Konstruktion nicht.
Manche Anschläge haben keine politischen Motive
Anschläge auf Politiker haben politische Motive – wie der auf Walter Lübcke und der auf die damalige Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker – beide waren Opfer rechtsradikaler, neonazistischer Gewalt.
Aber ebenso haben Anschläge gerade keine politischen Motive. Sie sind das Werk von wahnsinnigen Einzeltätern. John Hinckley wollte Ronald Reagan ermorden, weil er damit sein Idol Jodie Foster beeindrucken wollte. Hinckley wurde deshalb wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen, hinter Gitter kam er trotzdem. Heute ist er ein freier Mann.
Dieter Kaufmann, der drei Schüsse abfeuerte auf Wolfgang Schäuble, hatte zu diesem Zeitpunkt mehrere Selbstmordversuche hinter sich und war stark drogenabhängig. Vom Gericht wurde ihm paranoide halluzinatorische Schizophrenie bescheinigt. Nach etlichen Jahren in psychiatrischer Sicherheitsverwahrung kam Kaufmann frei. Vor einigen Jahren starb er.
An paranoider Schizophrenie litt auch Adelheid Streidel, die es schaffte, Oskar Lafontaine in den Hals zu stechen. Sie berichtete vor Gericht von Jesus-Begegnungen und war felsenfest überzeugt, Deutschland vor dessen politischen Führungsfiguren retten zu müssen, weil diese massenhaft Folterkeller unterhielten.
„Es gibt in Europa Menschenfabriken und unterirdische OPs, wo Leute aus der Bevölkerung körperlich und geistig umfunktioniert werden. Das geschieht mit Zustimmung der Politik.“ Vor so jemandem kann man Politiker nur schützen, wenn die auf jegliche öffentlichen Auftritte verzichten.
Wir denken: Eine große Tat, also muss sie auch große Ursachen haben
Das Böse kommt oft banal daher. Genau das macht es für uns so schwer verständlich. Wir denken automatisch: Aha, eine große Tat, die große Folgen hat – also muss sie auch große Ursachen haben.
Hat sie aber nicht, jedenfalls nicht automatisch. Es ist ein vulgär-psychologischer Irrtum, der uns in den Abendkrimis im Fernsehen vorgelegt wird. Aber das ist eben Fiktion; und die lebt von Dramatisierung, nicht von Banalität.
Der Trump-Attentäter war alleine, sagt das FBI. Er wurde von einem Waffen-Club abgelehnt, er schieße einfach zu schlecht, wurde er beschieden. Es war für ihn eine drastische, erniedrigende Niederlage.
Ob ihn das dazu führte, sein Automatik-Gewehr gegen Trump zu richten, wissen wir noch nicht. Aber persönliche Herabwürdigung, verbunden mit dem Beweis der eigenen Bedeutung, war öfter schon ein Tatmotiv, siehe Reagan-Attentäter Hinckley oder Lafontaine-Attentäterin Streidel.
Abschließend: Man kann über die Verrohung der politischen Debatte diskutieren, ob in Deutschland oder in den USA. Dabei gibt es stets Schuldzuweisungen, aber nie ist nur eine Seite Schuld. Trump ist, anders als der Grüne Toni Hofreiter oder der CDU-Mann Roderich Kiesewetter behaupten, nicht durch Verrohung der Sitten verantwortlich für das, was ihm widerfuhr.
„Dieses Mal solltet ihr das Richtige tun“
Dazu gibt es jetzt einen bemerkenswerten Text der Menschenrechtsaktivistin Ayaan Hirsi Ali, die nach einer abenteuerlichen Flucht aus Somalia nun in den USA lebt. Das Fazit ihres brandaktuellen Textes ist eine Empfehlung an die Adresse der US-Demokraten im Fall ihrer Niederlage bei den Wahlen am 5. November:
„Dieses Mal solltet ihr dann das Richtige tun. Anstatt den Typen, der euch geschlagen hat, zu dämonisieren, schaut lange in den Spiegel und stellt euch selbst eine simple Frage: War das, was wir jetzt geerntet haben die Frucht von vier Jahren verfehlter Politik bei der Migration, der Inflation und der nationalen Sicherheit – und für acht Jahre, in denen wir Trump als Nazi beschmiert haben?“