Müntefering schimpft über Reiches Renten-Plan – und macht anderen „Fehler“ aus

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Geht es nach Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, sollen die Deutschen später in Rente gehen. Franz Müntefering sieht vor allem ein Problem bei den Plänen.

Berlin – Katherina Reiche hat sich an ein heikles Thema gewagt. Das sowohl der Bevölkerung als auch der SPD schwer im Magen liegen dürfte. Damit also auch dem Koalitionspartner, der einem neuen Gesetzentwurf aus den Reihen der Union zustimmen müsste, damit dieses die Hürde Bundestag nehmen kann. In diesem Bewusstsein stellte die Wirtschaftsministerin mit Blick auf die gestiegene Lebenserwartung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) fest: „Wir müssen mehr und länger arbeiten.“

Weiter monierte Reiche in jenem Interview: „Es kann jedenfalls auf Dauer nicht angehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen.“ Laut der CDU-Politikerin ist es daher höchste Zeit, Anreize für Frühverrentungen zu stoppen.

Müntefering kontert Reiches Renten-Vorstoß: „Pauschalierungen greifen zu kurz“

Gegenwind aus den SPD-Reihen kommt unter anderem von einem ehemaligen Arbeitsminister. Im Tagesspiegel entgegnet Franz Müntefering, der im ersten Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch Vizekanzler war, dieser Vorstoß sei „pauschal Unsinn“. Denn es müsste bedacht werden: „Die Menschen sind verschieden, haben unterschiedliche Talente und Fähigkeiten, sind unterschiedlich gesund. Da greifen Pauschalierungen zu kurz.“

Unterschiedliche Meinungen zum Arbeiten im Alter und zur Rente: Franz Müntefering rät Wirtschaftsministerin Katherina Reiche zu flexiblen Lösungen. © Kay Nietfeld/dpa, IMAGO / HMB-Media

Um dies zu verdeutlichen, führt der 85-Jährige aus, manche Menschen würden „mit 45 oder 60 Jahren nicht mehr arbeiten“ wollen, während andere noch mit 70 einem Job nachgingen. „Es ist doch kein Zufall, dass immer mehr Menschen über die gesetzliche Regelaltersgrenze arbeiten wollen“, verdeutlicht Müntefering.

Folglich komme es immer auf den Einzelfall an. Allerdings weiß der einstige Partei-Chef auch: „Die Menschen kommen später in den Beruf als zu meiner Zeit. Ich habe die Schule nach acht Jahren mit 14 verlassen. Die Menschen leben länger, bleiben länger gesund.“ Hier verweist er auf die 2006 eingeführte Rente mit 67. Womöglich müsse nachgelegt werden: „Eine Debatte über längeres Arbeiten lohnt in jedem Fall.“

Kritik an Reiches Renten-Plan: Flexibilität schlägt pauschale Lösungen

In dem Zusammenhäng stört sich Müntefering an dem Begriff Ruhestand, denn dieser habe „einen schlechten Ruf“. Mit dem Wort werde „unterstellt, dass die Menschen aussortiert, nicht mehr gebraucht werden. Das ist ein Fehler.“ Seine Erfahrung sei, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter länger halten wollen und auch Ältere einstellen, weil diese Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen.

Renteneintrittsalter in Deutschland

Die Altersgrenze für die Regelaltersrente ohne Abschläge wird bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Angefangen mit dem Geburtsjahrgang 1947 wurde die Altersgrenze bis 2023 um jährlich einen Monat angehoben. Seit 2024 wird die Altersgrenze beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1959 in 2-Monats-Schritten angehoben.

Quelle: Deutsche Rentenversicherung

Münteferings Prognose lautet: „Wir werden damit nicht so pauschal wie bisher umgehen können. Wir brauchen mehr Flexibilität als Antwort auf mehr individuelle Bedürfnisse.“ Die Zeit für Diskussionen über flexible Übergänge in die Rente sei gekommen. „Diese Debatte ist nicht unsittlich, sondern unabdingbar“, findet der Sozialdemokrat.

Die CDU bemühte sich bereits bei den Koalitionsgesprächen um einen Anreiz fürs Arbeiten im Rentenalter. Daher wurde die Aktivrente in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Bürger, die auch nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeiten, sollen mit diesem Modell monatlich 2000 Euro steuerfrei verdienen können. Die Aktivrente soll 2026 kommen. Schwarz-Rot plant zudem, das Vorbeschäftigungsverbot aufzuheben und somit eine Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu erleichtern.

Reiche kassiert Gegenwind: „Argumentation wird der Lage nicht gerecht“

Kritik an Reiches Ausführungen übte vor Müntefering bereits dessen Parteifreundin Dagmar Schmidt. „Die Äußerungen zum Renteneintritt sind leider fernab der Lebensrealität der meisten Menschen in Deutschland“, urteilte die SPD-Fraktionsvize gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es lohne sich für Bürger, die dies wollen, bereits, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten. „Die, die es nicht können, gilt es zu schützen“, hält die 52-Jährige fest.

Auch Sebastian Roloff kann mit den Aussagen aus dem Wirtschaftsministerium nicht viel anfangen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, monierte im Spiegel: „Die Argumentation von Frau Reiche ist stark verkürzt und wird der Lage nicht gerecht.“ Es sei zwar richtig, dass Deutschland mehr Arbeitskraft benötige, „das kann man aber nicht pauschal über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters erzwingen“.

Die CDU steht ebenso keineswegs komplett hinter Reiche. Laut Christian Bäumler, Erster Stellvertretender Bundesvorsitzender des Sozialflügels der Partei (CDA), gibt es für ihre Forderungen keine Grundlagen im Koalitionsvertrag. Er geht aber noch weiter: „Wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist eine Fehlbesetzung.“ (mg)

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