Russland steigt zu Chinas größtem Erdöllieferanten auf – dank einer riesigen Flotte von „Schattentankern“
Russland hat 2023 mehr Rohöl nach China verkauft als jedes andere Land der Welt. Den Transport übernimmt wegen des Ölpreisdeckels der G7 eine wachsende Zahl unregistrierter „Schattentanker“.
An einem frühen Wintermorgen im Jahr 2023 trieben etwa 40 Seemeilen östlich der Nordspitze Marrokos zwei alte Öltanker, längsseits verbunden durch schwere Taue. Die beiden Schiffe mit Namen Amber 6 und Catalina 7 nutzten den schwachen Wind, um auf hoher See Rohöl aus Russland umzuladen. 730.000 Barrel Öl flossen von der Amber 6 über Rohre hinüber in die Catalina 7, 30 Stunden lang. Nachdem die Catalina 7 den letzten Tropfen Öl von der Amber 6 aufgenommen hatte, trennten sich die beiden Tanker – und die Catalina 7 fuhr nach China, wo sie etwa zwei Monate später ankam. Amber 6 hatte das Öl zuvor im russischen Ostseehafen Ust-Luga aufgenommen.
Russland ist 2023 zu Chinas größtem Öllieferanten aufgestiegen. Chinesischen Zolldaten zufolge lieferte Moskau im vergangenen Jahr die Rekordmenge von 107 Millionen Tonnen Rohöl in die Volksrepublik. Chinas Einfuhren seines vorherigen Top-Lieferanten Saudi-Arabien gingen 2023 dagegen um 1,8 Prozent auf 86 Millionen Tonnen zurück.
China importiert russisches Öl über Zwischenhändler
China nutzt die Niedrigpreise russischen Erdöls, die Moskau aufgrund der westlichen Sanktionen und der Importstopps früherer Kunden akzeptieren muss. Vor dem Ukraine-Krieg hatte Europa mehr als die Hälfte des russischen Rohöls aufgekauft. Inzwischen kauft Europa praktisch gar nichts mehr.
Die G7-Staaten und die EU haben zudem einen Preisdeckel von 60 US-Dollar pro Barrel für russisches Öl verhängt, um Russlands Öleinnahmen zu begrenzen. Schiffe aus den Unterzeicherstaaten dürfen russisches Rohöl nicht mehr transportieren, wenn dieses zu einem Preis von über 60 US-Dollar pro Barrel gehandelt wurde. Versicherungen oder Finanzierungen der Ladung sind ebenfalls verboten, wenn der Preis über dem Preisdeckel liegt. Da 95 Prozent aller Schiffsversicherungen über London abgewickelt werden, ist das Dienstleistungsverbot durchaus effektiv: Denn jedes Schiff braucht Versicherungsschutz. Es finden sich also kaum noch seriöse Reedereien oder seriöse Ölhändler, die russisches Öl anfassen.
Ölpreisbremse: Wachsende Flotte unregistrierter Schattentanker
Stattdessen beobachteten Ölhändler seit 2022 den Kauf hunderter alter Tanker durch undurchsichtige oder ungenannte Käufer. Und so fährt eine immer größer werdende Flotte unregistrierter, uralter Tanker durch die Weltmeere um russisches Öl zu jenen transportieren, die es immer noch haben wollen. Neben China gehört dazu vor allem Indien, dessen Importe russischen Öls seit Kriegsbeginn explodiert sind. Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak verkündete im Dezember, dass 2023 praktisch der gesamte russische Rohölexport nach China und Indien gegangen sei.
Der US-Wirtschaftsdienst Bloomberg hat die Reise der Tanker Amber 6 und Catalina 7 daher als Exempel für das Problem nachgezeichnet, mithilfe von Satellitenverfolgungssystemen und monatelangen Recherchen bei Statistikern, Händlern und Beamten. Die Recherche bietet Einblick in ein Netzwerk neuer und oft gesichtsloser Zwischenhändler und Schiffseigner, die von Standorten wie Dubai und Hongkong aus operieren. Auch russische Reeder kaufen ausrangierte Tanker auf – unter anderem aus Griechenland, dessen Reeder gut daran verdienen. Ein Vorstoß der EU Ende 2023, solche Tankerverkäufe zu verbieten, scheiterte an mangelnder Einigkeit.
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Schattentanker mit russischem Öl: Sicherheitsrisiken und Gegenmittel
Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO der Vereinten Nationen bezeichnete die Umladung von Öl auf hoher See mit älteren Schiffen als „gefährliche Praxis“. Viele der Schattentanker sind so alt, dass sie in normalen Zeiten längst ausgemustert wären. Als Warnsignal gilt ein Vorfall im August 2023, als zwei Wochen lang der Tanker Yannis P. voll russischen Öls vor der Ostseeinsel Rügen ankern musste. Das Schiff war auf dem Weg nach Indien, ein Maschinenschaden stoppte die Reise. Da das russische Öl in der EU nicht ausgeladen werden durfte, mussten Hochseeschlepper den Tanker ins Seegebiet vor dem russischen Ostseehafen Kaliningrad bringen, damit dort das Öl auf einen anderen Tanker umgepumpt werden konnte. Yannis P. wurde repariert und befindet sich derzeit einmal mehr auf der Fahrt von Russland nach Indien.
Europa gefährdet für Unfälle von Schattentankern
Bei Yannis P. blieben die Sorgen vor einem Ölleck unbegründet. „Doch wenn es zu einem Unfall kommt, dann eher in europäischen Gewässern als anderswo“, sagte Brian Gallagher, Leiter Investor Relations bei Euronav NV, dem weltweit drittgrößten Eigner von Supertankern, zu Bloomberg. Schiff-zu-Schiff-Transfers fänden „absichtlich nicht in gut überwachten Gewässern statt“. Neben der Nordspitze Marokkos wird in Europa zum Beispiel auch nahe Malta oder in einer Bucht bei Südgriechenland russisches Öl umgeladen.
Seit kurzem gibt es laut Bloomberg allerdings Anzeichen, dass die Schattenflotte durch Verschärfungen der US-Sanktionen gegen den Ölhandel mit Moskau Probleme bekommt. So haben 14 Tanker verschiedener Staaten, die russisches Erdöl nach Indien transportieren, in den letzten Wochen beigedreht oder die Geräte für digitale Ortungssysteme ausgestellt. Andere dümpeln auf der Stelle. Ob sie ihre Zielhäfen noch ansteuern, ist ungewiss. Das Problem könnte ebenso den China-Transport betreffen, ist bisher aber nur eine erste Beobachtung.