„Deutsche Regierung hat keinen Plan" - Ryanair will weitere Verbindungen streichen
FOCUS online: Wer schon einmal mit Ryanair geflogen ist, weiß, dass Sie sehr strenge Regeln zum Handgepäck haben. Die sollen nun noch einmal verschärft und stärker kontrolliert werden.
Eddie Wilson: Das interessiert Ihre Leser?
Ja.
Wilson: Es wäre viel wichtiger, dass die deutschen Passagiere erfahren, dass es sie in der Regel bereits 55 Euro kostet, einen deutschen Flughafen zu betreten. Das ist der Preis, wenn man aus dem Taxi steigt, durch die Tür geht und auf der anderen Seite wieder herauskommt, bevor man ins Flugzeug steigt. Bevor man überhaupt dafür bezahlt hat, die Koffer ins Flugzeug zu laden, das Kerosin ins Flugzeug zu füllen, dass der Pilot bereitsteht – es sind 55 Euro für Luftverkehrssteuer, absurde Flugsicherungsgebühren und Flughafengebühren. Ist das nicht skandalös?
Das war politisch so gewollt. Wo liegt das Problem?
Wilson: Ich glaube, diese Politiker verstehen die Konsequenzen von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit nicht. Aber die Kunden sehen den Zusammenhang, denn sie bekommen nicht mehr die Preise, die sie gewohnt waren. Und die Unternehmen merken, dass sie nicht mehr dieselbe Auswahl an Flugverbindungen haben wie früher. Sehen Sie sich die Statistiken an: Berlin ist die Hauptstadt der größten Volkswirtschaft in Europa. Der Flughafen hat eine Kapazität für 50 Millionen Passagieren – sie haben letztes Jahr gerade mal 25 Millionen abgefertigt. Der Flughafen Dublin, in Irland, einem der kleinsten Länder der Europäischen Union, hat dieses Jahr allein 35 Millionen Passagiere abgefertigt. Da stimmt doch etwas nicht.

"Deutschland hat sich als das wettbewerbsschwächste Land in Europa erwiesen"
Tatsächlich hat Deutschland als einziges Land in der EU bei den Flugpassagieren noch nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Wir sind bei 89 Prozent. Liegt das allein an Abgaben wie der Ticketsteuer, oder gibt es noch mehr Probleme?
Wilson: Fluggesellschaften haben während Covid viel Geld verloren und deshalb Kapazitäten abgebaut. Nun bauen sie diese Kapazitäten vernünftigerweise dort wieder auf, wo sie die besten Erträge erzielen können. Die einzigen wirklichen variablen Kosten in unserem Geschäft sind die Flughafen- und Zugangskosten: was es kostet zu landen, all diese damit verbundenen Kosten. Dagegen sind die Personalkosten für Piloten, Kabinenpersonal oder Ingenieure in ganz Europa weitgehend gleich. Da wir Treibstoffkosten absichern, sind auch die weitgehend stabil, egal wohin wir fliegen. Die einzigen Kosten, die wirklich einen Unterschied machen, sind die Zugangskosten. Und das ist eine Kombination aus Flughafenkosten, Flugsicherungsgebühren und Steuern die Deutschland im Vergleich zum Rest Europas höchst unattraktiv machen
Aber Deutschland hat die meisten Einwohner, sprich: Passagiere. Reizt Sie das nicht?
Wilson: Deutschland hat sich als das wettbewerbsschwächste Land in Europa erwiesen. Vielleicht gibt es ein strukturelles Problem bei Ihnen. Deutschland ist, das ist meine bescheidene Meinung, zu abhängig von nationalen Champions. Man setzt auf die Autoindustrie, man setzt auf die Lufthansa als nationalen Champion. Aber leider ist die Lufthansa seit Covid geschrumpft und betreibt nur Drehkreuze auf zwei Hauptflughäfen, nämlich aus München und Frankfurt. Es gibt keine weiteren einheimischen Fluggesellschaften, außer früher Air Berlin und all diesem Unsinn, der nicht funktioniert hat. Dann gibt es Ryanair, easyJet; und in geringerem Maße Norwegian.
EasyJet ist nicht gewachsen, hat sogar beschlossen, seine Flüge zu reduzieren. Sie haben die Slots von Air Berlin gekauft und konnten sie nicht zum Laufen bringen. Ryanair wird in Deutschland immer kleiner. Norwegian ist weg. Gleichzeitig schrumpft die Lufthansa, ihr Geschäftsmodell bedient nicht mehr Regionalflughäfen wie Bremen, Hannover oder Stuttgart. Zumindest nicht in nennenswertem Umfang.
Was müsste passieren, um wieder Wettbewerb zu entfachen?
Wilson: Das Problem ist: Die Deutschen glauben noch, sie wären wettbewerbsfähig. Aber das ist ein großer Irrtum. Schweden hat seine Luftverkehrssteuer abgeschafft, als sie sahen, dass ihre Airline SAS pleite ging.Die ist jetzt, nach Covid wesentlich kleiner und hat sich in Skandinavien auf Kopenhagen konzentriert. Der Fall ist nicht ganz unähnlich der Lufthansa. Norwegian, quasi die skandinavische Air Berlin, ist geschrumpft und hat sich nach Norwegen zurückgezogen. Doch die Schweden brauchen Flugverbindungen, denn sie haben Gewässer zu überqueren. Also wurde die Steuer abgeschafft, um die Anbindung zu erhöhen. Wir, Ryanair, haben zusätzliche Routen dorthin etabliert, um das sozusagen zu belohnen. Es gibt also eine begrenzte Menge an Kapazität – und die geht in die Länder, die wettbewerbsfähig sind. Darüber hinaus haben auch Ungarn oder einzelne Regionen in Italien Luftverkehrssteuern abgeschafft, um Wachstum zu schaffen.
Und in Deutschland?
Wilson: Stuttgart ist die Heimat der deutschen Autoindustrie. Der Flughafen dort hat nur noch 75 Prozent so viele Passagiere wie vor Covid. Wir fliegen da nicht hin. Düsseldorf ebenfalls nicht. Und die Regierung hat keinen Plan. Deutschland leidet unter den höchsten Flugpreisen in Europa und das liegt an den hohen Zugangskosten. Das sagt nicht nur Ryanair. Die großen Wirtschaftsinstitute in Deutschland sagen es, der Flughafenverband ADV und der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) sagen es ebenfalls ... und die Regierung hat nichts dagegen unternommen. Solange sie bei der Luftverkehrssteuer und den Flugsicherungsgebühren und Sicherheitskontrollen nichts unternimmt, steht Deutschland vor einer langen Periode mit reduzierten Kapazitäten, weniger Verbindungen – und den höchsten Flugpreisen in Europa.
"Für uns liegt Deutschland jetzt im Rückspiegel. Wir haben andere Prioritäten."
Was würden Sie tun, wenn die Ticketsteuer abgeschafft oder halbiert würde?
Wilson: Wir haben der deutschen Regierung einen Vorschlag gemacht, unsere Passagierzahlen und Flugzeuge in Deutschland zu verdoppeln, wenn sie ein Programm zur Wiederbelebung des Verkehrs durch die Abschaffung der Steuern und Halbierung der Flugsicherungsgebühren und Gebühren für die Sicherheitskontrollen einführen. Wir bekommen leider nicht einmal eine Antwort. Stellen Sie sich mal vor, Tesla würden sagen, sie bauen eine neue Gigafabrik – und bekommen nicht einmal eine Antwort. [lacht]. Also für uns liegt Deutschland jetzt im Rückspiegel. Wir haben anderswo in Europa diverse Möglichkeiten als wir Flugzeuge haben. Es ist ein Problem für Deutschland, kein Problem für Ryanair. Wir haben andere Prioritäten.
Ich habe das Gefühl, es herrscht eine totale Naivität, dass neue Flugverbindungen einfach mit dem BIP-Wachstum kommen werden. Ich habe mit einer Reihe von Leuten in Deutschland gesprochen, und sie scheinen die Tatsache zu ignorieren, dass Airbus und Boeing für die nächsten sechs oder sieben Jahre ausgebucht sind. Es kommt keine zusätzliche Kapazität – mit einer Ausnahme: Wir bekommen in den nächsten Jahren rund 200 neue Flugzeuge, die wir an Standorten mit geringeren Zugangskosten platzieren werden, um dort Tourismus zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen.
Wie viele davon könnten Sie in Deutschland einsetzen?
Wilson: Nach der kürzlichen Entscheidung der Regierungsparteien in Bezug auf die Haushaltsplanung, steht Deutschland auf der Liste jetzt ganz weit unten. Tatsächlich werden wir nochmal kürzen und für diesen Winter weitere Flüge an Flughäfen in Deutschland streichen. Wir sehen keinen wirklichen Grund, in Deutschland zu investieren, wenn es anderswo deutlich bessere Möglichkeiten gibt und es keinerlei Intentionen gibt, die Situation zu ändern.
"Der BER ist hoffnungslos ineffizient"
Welche deutschen Flughäfen werden davon betroffen sein?
Wilson: Wir arbeiten noch an der Fertigstellung des Winterflugplans, aber es wird einschneidend sein. Berlin ist hoffnungslos ineffizient, Hamburg ebenfalls – hoffnungslos. Köln, würde ich sagen, ist auch nicht konkurrenzfähig. Einige der kleineren Flughäfen haben ebenfalls Probleme. Flughafengebühren steigen auch dort. Und das gesamte Geschäftsmodell von Ryanair basiert nun mal auf den niedrigsten Kosten und den niedrigsten Flugpreisen. Das kann man nicht haben, wenn die Flughafenkosten überproportional steigen.

Welche Preise brauchen Sie, damit ihnen eine Verbindung Spaß macht?
Wilson: Gucken Sie in die veröffentlichten Bilanzen: Unser durchschnittlicher Preis im letzten Jahr, vor den Zusatzleistungen, lag knapp über 50 Euro. Aber die Kosten, um durch einen deutschen Flughafen zu gehen, betragen mehr als 50 Euro. Rechnen Sie es sich aus.
Werden Sie noch einmal auf die deutsche Regierung zugehen, um Änderungen bei der die Ticketsteuer zu erwirken? Oder gibt es eine Initiative von mehreren Fluggesellschaften? Was wird jetzt passieren?
Wilson: Ich denke, die deutsche Regierung sollte sehr besorgt sein, wenn Ryanair der Flughafenverband ADV sowie der BDL, aber auch andere Airlines sowie der deutsche Tourismusverband dasselbe sagen. Wir bekommen mehr als 200 Flugzeuge, wir könnten das in Deutschland in Ordnung bringen. Wir können die Konnektivität herstellen. Wir können den Hebel umlegen wie niemand sonst. Man hat sieben Milliarden Euro für den Berliner Flughafen ausgegeben, der halb leer ist und wo die Preise steigen. Der neue Terminal 3 in Frankfurt wird ebenfalls leer stehen. Das ist verrückt. Jemand muss etwas dagegen tun. Die Lufthansa wird es nicht tun, sie wird die Kurzstrecken-Problematik in Deutschland nicht lösen. Sie haben es versucht und bevorzugen die Langstrecke, da machen sie ihr Geld. Viel Glück dabei.
"Wie kann man nicht genügend Fluglotsen haben?"
Auch auf die deutschen Fluglotsen sind Sie nicht gut zu sprechen. Ryanair hat sogar eine Beschwerde-Website gestartet mit dem Titel „Die Flugsicherung hat Ihren Flug ruiniert“ („Air Traffic Control Ruined Your Flight"), auf der sie die Passagiere auffordern ihren jeweiligen Verkehrsministern zu schreiben. Warum?
Wilson: Die deutsche Flugsicherung gehört zu den schlechtesten in Europa. Bis August wurden bereits über zwei Millionen Ryanair Passagiere dem Missmanagement und Personalmangel der deutschen Flugsicherung ausgesetzt. Ihr habt eine neue Flugsicherungsstelle in Baden-Baden gebaut, aber eure Fluglotsen wollen da nicht hin, richtig? Also ist diese Leitstelle hoffnungslos unterbesetzt. Wie kann man nicht genug Fluglotsen haben? Wie kann man diese Leute nicht ausbilden? In meinem Job weiß ich, wie viele Boeing-Bestellungen wann ankommen werden, also muss ich zwei Jahre im Voraus die Piloten dafür einstellen, damit wir die richtigen, qualifizierten Leute haben. Wenn ich sie nicht hätte, würde ich gefeuert werden.
Auf europäischer Ebene ist es nicht viel besser: Da verbietet man zum Beispiel Überflüge über Frankreich, wenn dort die französische Flugsicherung streikt. Das ist ein absoluter Skandal. Warum werden wir in so einem Fall daran, Frankreichs Luftraum zu überfliegen – obwohl das in den meisten anderen Ländern möglich ist? Wir alle können auf unseren Handys bei „Flightradar“ die Flugzeuge sehen. Es braucht nicht viel, um eine technologische Lösung zu haben. Sie ist bereits da. Man kann den oberen Luftraum abtrennen und überfliegen. Stattdessen haben wir jedes Jahr eine Gruppe egoistischer französischer Fluglotsen, die an Feiertagen streiken und sich einen Dreck um die europäischen Bürger und die Störung ihres Verkehrs und deren Ferien scheren. Und es ist einer der größten Skandale in Europa, dass nicht jedes Land jeden Sommer genügend Fluglotsen für den anfallenden Verkehr einstellt.
"Wenn Sie mit einer zu großen Tasche auftauchen, müssen Sie dafür bezahlen – alle anderen haben es auch getan."
Ich möchte zum Schluss nochmal auf das Handgepäckthema zurückkommen. Jeder, der mit Ryanair fliegt, weiß, dass es eine strenge Kontrolle und strenge Vorschriften für die Größe des Handgepäcks gibt...
Wilson: ... die gibt es.
Aber nicht alle Leute halten sich daran. Ryanair-Chef Michael O'Leary kündigte kürzlich an, dass es mehr Kontrollen geben wird und sogar Prämien, wenn das Personal mehr kontrolliert. Wird das passieren?
Wilson: Ja. Aber 99,9 Prozent unserer Passagiere kommen ohne Probleme durch. Raten Sie mal, warum? Sie informieren sich, schauen sich die Bedingungen an und halten sich daran. Und die, die sich nicht daran halten, müssen dafür extra zahlen. Wenn Sie mit einer zu großen Tasche auftauchen, dann müssen Sie dafür bezahlen. Tut mir leid – alle anderen haben es auch getan.
Warum sind Sie da so streng?
Wilson: Wenn jeder mit einer größeren Tasche auftauchen würde, passt sie nicht ins Flugzeug. Es gibt nicht genug Platz. Also ist bei Ryanair eine Tasche kostenlos, wenn die unter den Sitz passt. Das wurde jetzt vereinbart. Wir haben sogar die Maße für diese Tasche unter dem Sitz um rund 20 Prozent vergrößert. Wenn Sie aber der begrenzten Plätze oben nutzen möchten, dann bezahlen Sie dafür. Wenn Sie mit einer Tasche auftauchen, für die Sie nicht bezahlt haben, müssen Sie dafür bezahlen. Sie können doch auch nicht in ein Restaurant gehen und sich einfach hinsetzen, wo Sie wollen. Sie können nicht sagen: "Ich möchte an diesem Tisch für 10 Personen dort drüben sitzen", obwohl Sie nur zu zweit sind. Also ehrlich, hier gibt es nichts zu kritisieren. Wir sind nicht strenger, es gibt Regeln. Sie bekommen die niedrigsten Preise mit der besten Pünktlichkeit auf den modernsten Flugzeugen mit der größten Auswahl an Zielen, und wir führen einen sehr effizienten Betrieb.
Andere Fluglinien lassen mehr Handgepäck zu.
Wilson: Wenn wir die Gepäckregeln nicht durchsetzen würden – besonders zu dieser Jahreszeit, in der viele Strecken zu 100 Prozent ausgebucht sind –, wenn jeder mit einer Tasche einsteigt und niemand das kontrolliert, müssen die wieder ausgeladen werden, weil sie nicht passen. Und dann gibt es noch mehr Verspätungen, als ohnehin schon durch die Flugsicherungen verursacht.
Wer sich darauf einstellt, bekommt die niedrigsten Tarife. Wenn ich ein Student bin, der durch Europa reisen will und keinen Koffer mitnehmen möchte, spare ich Geld. Wenn ich keinen speziellen Sitzplatz kaufen möchte und eine zufällige Zuteilung akzeptiere, spare ich Geld. Aber wenn ich in den Urlaub fahre und etwas Zusätzliches mitnehmen möchte, dann ist das Ihr Problem. Wir haben alle Teile der Reise entkoppelt, damit Sie bekommen, was Sie wollen. Wenn Ihnen der niedrigste Preis wichtig ist, dann kaufen Sie keine Tasche, keinen Sitzplatz, kein Priority-Boarding, Und Millionen von Menschen tun das und sind sehr zufrieden.