„Ich empfinde Hass, der mir Angst macht“ – Russen schicken nach Nawalnys Tod hunderte Leserbriefe
Die Welt trauert um Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Leserbriefe zeigen nun die Reaktionen hunderter Russen – von Angst bis Hoffnung.
Moskau – Der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny hat weltweit Reaktionen ausgelöst. Unter anderem deutsche Politiker gedachten des Kreml-Kritikers, wie etwa Olaf Scholz. Doch auch viele Menschen in Russland trauern um Nawalny. Die lettische Internetzeitung Meduza fragte ihre russischen Leser, was ihnen Nawalnys Leben und Werk bedeutet – hunderte Leserbriefe waren die Antwort.
„Ihr solltet stolz sein“: Leserbriefe sprechen nach seinem Tod Nawalnys Familie Beileid aus
Viele Russen teilten ihr Beileid an Nawalnys Familie. Wie etwa Sergej aus Moskau: „Ihr seid eine wundervolle Familie und ihr solltet stolz auf euren Ehemann und Vater sein. Leider gibt es in unserer Zeit nur wenige Menschen wie Alexej. Das eigene Leben für seinen Glauben zu opfern, ist eine sehr starke Tat einer sehr starken Person“, schrieb er der Zeitung. „Seid stolz auf ihn, und die Gesellschaft sollte ihn als großen Politiker und aufrichtigen Menschen anerkennen. Mein tiefstes Beileid.“

„Er starb als Held“: Menschen in Russland trauern um Nawalny
Der weltbekannte Kritiker Wladimir Putins wurde von vielen Lesern als „Held“ bezeichnet. „Er lebte nicht umsonst. Er lebte als Held und starb genauso“, so Nadeschda aus St. Petersburg. „Obwohl der Kreml und Putin ihn unbedingt demütigen und einschüchtern wollten, gelang es ihnen nicht.“
Ksenia aus Moskau beschrieb Nawalny als „Person mit so viel Tapferkeit, Charisma, geradliniger und verständlicher Sprache und einem Bild von der Zukunft Russlands.“ Er sei ein Anführer derer gewesen, die sich etwas Besseres für ihr Land wünschten – „mich eingeschlossen.“
Angst: Viele Russen fühlen sich nach Tod des Kreml-Kritikers hilflos
Nawalnys Tod löste bei vielen Verunsicherungen auch Zukunftsängste aus. Olesja aus Moskau habe „Angst um diejenigen, die im Gefängnis bleiben – wer ist der Nächste? Ich empfinde Hass, der mir Angst macht. Ich hasse diejenigen, die Befehle erteilen, reine und lebendige Menschen zu töten, und diejenigen, die diese Befehle von ganzem Herzen ausführen.“ Sie fühle sich hilflos, denn sie wisse nicht, wie man die Lage in Russland nun verbessern könne.
„Symbole leben länger als Menschen“: Leser sieht kein Grund zur Verzweiflung
Doch andere sehen auch Chancen für eine bessere Zukunft. „Es besteht kein Grund zur Verzweiflung; genau das erwarten die Behörden“, schrieb Jegor aus Wladiwostok. „In gewisser Weise erreichte Alexej als Politiker den größten Höhepunkt – er verwandelte sich von einem gewöhnlichen Menschen in ein Symbol. Und Symbole und Ideen leben viel länger als Menschen.“
„Freiheit und Selbsterkenntnis“: Nawalnys hielt an seinen Prinzipien fest
Auch eine Leserin in München schrieb der Zeitung: „Es ist erstaunlich, wie viel man mit fast nichts erreichen kann. Einfach durch das Bestehen und Festhalten an den eigenen Prinzipien.“ Nun könne Nawalnys Entscheidungen verstehen, nach der Vergiftung zurück nach Russland zu gehen, erklärte Olga. „Das ist das Wichtigste, was ein Mensch für einen anderen tun kann: eine Botschaft übermitteln, das Wesentliche unseres Wesens erreichen. Für mich geht es in dieser Botschaft nicht nur um Land, Macht und Leute“, schrieb sie weiter. „Es geht um Freiheit, Selbsterkenntnis und darum, den eigenen Weg zu gehen.“
Trauerbekundungen verboten: Bürgerinitiative plant Gedenkmarsch
Die Einstellung pflegt auch die Partei Bürgerinitiative in Russland. Sie hat nach eigenen Angaben bei der Moskauer Stadtverwaltung einen Gedenkmarsch für die toten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und Boris Nemzow beantragt. Den Scan des Antrags veröffentlichte der Parteichef und ehemalige russische Wirtschaftsminister Andrej Netschajew am Montag auf seinem Telegram-Kanal. Der Marsch ist demnach für den 2. März im Zentrum Moskaus mit bis zu 50.000 Teilnehmern geplant. Eine Genehmigung durch die russischen Behörden ist unwahrscheinlich.
Denn: Die Behörden unterbinden Trauerkundgebungen für den bekanntesten Kritiker Putins in Russland. Innerhalb weniger Tage wurden mehr als 400 Menschen bei solchen Veranstaltungen festgenommen. Viele wurden zu Arrest- oder Geldstrafen verurteilt. (dpa/hk)