Russland-Insider legt sich fest: Moskauer Anschlag „vom Kreml inszeniert“

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Kreml-Experte Anders Åslund hält eine Beteiligung Russlands am Moskau-Anschlag für möglich. Andere Experten widersprechen seiner Theorie.

Moskau – Infolge des verheerenden Anschlags auf eine Moskauer Konzerthalle am Freitagabend (22. März) stieg die Zahl der Todesopfer auf mittlerweile 139 an, zudem gibt es mehr als 180 Verletzte. Ein Ableger der Gruppe Islamischer Staat aus der Provinz Khorasan (ISPK) reklamierte den Anschlag für sich, das Bekenntnis gilt gemeinhin als glaubwürdig. 

Russlands Präsident Wladimir Putin warf der Ukraine vor, den Tätern die Flucht ermöglicht zu haben – wobei die ukrainische Führung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj dies umgehend dementierte. Inzwischen korrigierte Putin seine Aussage, indem er erklärte, dass „das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde.“

Jedoch gibt es einige Experten, die vermuten, dass Russland selbst am Anschlag beteiligt sei oder ihn zumindest nicht mit aller Macht verhinderte und dadurch letztlich in Kauf nahm. Möglicherweise, um künftige Kriegshandlungen im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu rechtfertigen, sagen sie. Zu ihnen gehört der schwedische Ökonom Anders Åslund, der in den Neunzigerjahren als Berater von Boris Jelzin tätig war. In einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) führte er am Sonntag zehn Indizien an, die seine Theorie stützen sollen.

Kreml-Experte Åslund führt zahlreiche verdächtige Indizien im Handlungshergang an

Verdächtig findet Åslund, dass die vier engsten Tatverdächtigen offenbar mit Kalaschnikows bewaffnet im Auto durch Moskau fahren konnten, ohne dabei in irgendeine Kontrolle zu geraten. Weitere Indizien für eine russische Beteiligung seien dem Schweden zufolge die Tatsache, dass es keinerlei Sicherheitspersonal in der Crocus City Hall gegeben habe – außerdem seien die Metalldetektoren beim Halleneingang ausgeschaltet gewesen.

Des Weiteren hätten die Täter beim Anschlag auf die Crocus City Hall ganze 18 Minuten lang in der Halle wüten können, bis Sicherheitskräfte eintrafen. Und das, obwohl sowohl die Moskauer Polizei als auch der russische Geheimdienst FSB Åslund zufolge Stützpunkte in unmittelbarer Nähe betreiben.

Außerdem verdächtig findet Åslund, dass die mutmaßlichen Täter mit dem gleichen Auto vom Tatort gefahren sind, mit dem sie zuvor auch dort angekommen waren. So etwas würde, so Åslund, kein Terrorist tun. Vor ihrer Ankunft in der russischen Hauptstadt seien die Terroristen zudem rund fünf Stunden durchs Land gefahren, unweit der belarussischen und ukrainischen Grenze. Trotzdem seien sie auf dem gesamten Weg in keine Kontrolle durch russische Grenzbeamten geraten. Das komme einer Unmöglichkeit gleich, findet Åslund.

Åslund zufolge wäre Putins Vorgehen nicht neu – sondern bereits aus dem Tschetschenien-Krieg bekannt

Um seine Vermutungen zu untermauern, führt der ehemalige Jelzin-Berater zum Ende seines Statements auf X auch an, dass ein derartiges Vorgehen Putins keine gänzlich neue Strategie des russischen Präsidenten wäre. Dabei beruft sich Åslund auf Theorien, wonach Wladimir Putin in der Vergangenheit bereits ähnlich vorgegangen sei. 1999 habe er beispielsweise die Bombardierung von Wohngebäuden in Tschetschenien veranlasst, um den russischen Einmarsch in der Region zu rechtfertigen. Der Tschetschenien-Krieg habe Putin letzten Endes geholfen, die Macht in Russland vollständig unter seine Kontrolle zu bringen.

Handfeste Beweise für diese Vermutungen gibt es bislang allerdings nicht, erklärt der Russland-Experte Gerhard Mangott gegenüber dem Focus. Grundlegend hält er die Behauptungen Åslunds für zu wenig stichhaltig.: „Das ist ein unwahrscheinliches Erklärungsszenario.“ Obwohl es „nicht völlig von der Hand zu weisen“ sei, dass Russland selbst hinter dem Anschlag auf die Crocus City Hall stecken könnte, hält Mangott die Vermutungen des schwedischen Ökonomen allerdings kaum für belastbar.

Mangott zufolge bringe der Anschlag auf Moskau nämlich auch Nachteile für den Kreml mit sich. In Russland fragen sich viele aktuell zurecht, weshalb Regierung und Geheimdienst nicht mehr getan haben, um einen Angriff von solchem Ausmaß zu verhindern. Auch der Fakt, dass die US-Botschaft in Moskau vor rund zwei Wochen vor möglichen Anschlägen warnte, Putin dies jedoch als Propaganda abtat, lässt den Kreml in schlechtem Licht dastehen.

Laut Experte ist Putin unter Zugzwang: „Versagen müssen sie nun durch Vergeltungsaktionen übertünchen“

Ein weiterer Nebeneffekt des Anschlags vom Freitagabend ist laut Experte Mangott, dass Putin sich nun unter Zugzwang befinde: „Dieses Versagen müssen sie nun durch Vergeltungsaktionen übertünchen“, erklärte er dem Focus.

Nach dem folgenschweren Anschlag auf eine Moskauer Konzerthalle bringen einige Experten Vermutungen hervor, Russland selbst könnte hinter dem Anschlag stecken. Unter ihnen ist auch Anders Åslund.
Der schwedische Ökonom und ehemalige Berater Boris Jelzins, Anders Åslund © IMAGO/Amanda Lindgren

Alles in allem scheint es nach aktuellem Kenntnisstand eher abenteuerlich, Russland selbst als Initiator des Anschlags auf die Crocus City Hall zu vermuten, erklärt auch der Militärexperte Ralph D. Thiele dem Focus. „Das eigene Bekenntnis und die Bestätigung durch zahlreiche internationale Experten markieren den Islamischen Staat zum wahrscheinlichsten Täter.“ Nichtsdestoweniger sei man aber gut beraten, mit definitiven Urteilen abzuwarten, so Thiele.

Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine habe sich Russland zahlreiche neue Feinde geschaffen. Außerdem seien dadurch gegenwärtig große Mengen an Waffen im Umlauf. Thiele weist darauf hin, dass es auch in Russland Gruppen gibt, die zu gewalttätigem Widerstand bereit seien. Darunter befinden sich Thiele zufolge durch die russischen Militärinterventionen in den Regionen Tschetschenien und Dagestan auch nicht zuletzt auch islamistische Gruppen. (fh)

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