Ärger um Unterkünfte: Stadträte lehnen ab, trotzdem wird gebaut - Landrat erklärt wie das geht

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In der Filigranhalle im Geretsrieder Gewerbegebiet Nord leben seit 2016 Flüchtlinge. Nun könnte direkt daran angrenzend eine weitere Unterkunft errichtet werden. © SH/Archiv

Fast überall im Landkreis werden Asylunterkünfte gebaut, die die Gemeinden gar nicht wollen. Wie kann das sein? Und wer entscheidet?

Bad Tölz-Wolfratshausen – Der Bauausschuss in Wolfratshausen will sie nicht. Und auch das Gremium in Geretsried sagte Nein zu allen Bauanträgen. Die Stadt Bad Tölz klagt sogar. Und Anwohner tun es auch. Neue Unterkünfte für Asylbewerber werden reihenweise abgelehnt. Bei den meisten ist damit zu rechnen, dass sie trotzdem gebaut werden – weil sie dringend benötigt sind. Wie das sein kann, führt Landrat Josef Niedermaier im Gespräch mit unserer Zeitung aus. Außerdem erklärt er die besondere Rolle des Kreisbauamts.

Die Untere Bauaufsichtsbehörde ist Teil des staatlichen Landratsamts – sie vollzieht geltendes Baurecht. Niedermaier ist als Leiter der Behörde zwar weisungsbefugt, aber rechtlich gebunden. Heißt: Wenn die baulichen Voraussetzungen für eine Genehmigung vorliegen, muss sie erteilt werden. Die Fälle, in denen das Kreisbauamt das gemeindliche Einvernehmen ersetzt – so nennt sich die Praxis, ein „Nein“ des Gemeinderats zu überstimmen – nehmen immer mehr zu. „Münsing ist die löbliche Ausnahme“, berichtet Niedermaier. „In fast allen anderen Gemeinden werden Anträge für neue Unterkünfte abgelehnt.“

Landrat Josef Niedermaier
Landrat Josef Niedermaier © arp

Kommunen sagen Nein zu Unterkünften - meist hat das politische Gründe

Das Nein der Kommunen erfolgt in der Regel aus politischen Gründen. Das Kreisbauamt prüfe aber nach baujuristischen Formalitäten – und zwar völlig unabhängig davon, ob es sich bei dem geplanten Projekt um eine Asylunterkunft mit 150 Plätzen oder eine Gartenlaube handelt. Ebenfalls völlig unerheblich sei, wer den Neubau plant. „Auch in den Fällen, in denen wir, der Landkreis, den Bau geplant und beantragt haben, wird das nach denselben Formalien und im gleichen Prozess geprüft“, konstatiert der Landrat. „Das Kreisbauamt schickt dann genauso offizielle Schreiben an das Landratsamt wie an jeden anderen Bauwerber“ erklärt Behördensprecherin Marlis Peischer.

Beide Abteilungen sind im gleichen Haus untergebracht. „Die lassen sich aber nicht dreinreden“, sagt Niedermaier. „Es läuft wie beim Antrag eines Dritten. Diese Trennung funktioniert. Und das muss auch so sein.“ Denn jede Baugenehmigung könne beklagt werden – und wenn ein Verfahren nicht den offiziellen, sauberen Weg geht, hätten Kläger leichtes Spiel: „Jeder Anwalt sucht zuerst einmal einen Verfahrensfehler“, sagt Niedermaier. Durch ein korrektes Vorgehen könne dem Vorwurf der Mauschelei schnell ein Riegel vorgeschoben werden. Niedermaier unterstreicht: „Jeder Plan wird sehr dezidiert überprüft.“

Protest gegen Asylheime: Geretsrieds Bürgermeister sieht „verfassungsrechtlich geschütztes Gut“ in Gefahr

Gegen diese Praxis regt sich immer häufiger Protest. Zuletzt gab es etwa im Bauausschuss des Geretsrieder Stadtrats Ärger. Bürgermeister Michael Müller echauffierte sich über das Vorgehen: „Das ist ein faktisches Aushebeln des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen.“ Die planungsrechtliche Hoheit der Gemeinde – „ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut“ – sieht Müller durch die nachträglichen Genehmigungen durch das Kreisbauamt bedroht. Niedermaier widerspricht: Das Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung unterliege gewissen Schranken – nämlich dann, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt. Auch das Kreisbauamt müsse sich an kommunale Bestimmungen und Satzungen halten – etwa an Bebauungspläne. „Die sind Gesetz.“ Nur wenn die Gemeinde rechtlich falsch gehandelt hat, kann das Einvernehmen ersetzt werden.

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Ganz unrecht hat Geretsrieds Rathauschef allerdings nicht. „Ja, es gibt einen Eingriff in die Selbstbestimmung, aber der ist zulässig“, räumt Niedermaier ein. Nötig sei das, um die dringend benötigten Gemeinschaftsunterkünfte realisieren zu können. Deshalb hat die Bundesregierung einige – laut Niedermaier „massive“ – Ausnahmemöglichkeiten im Baugesetzbuch geändert. „Das hat der Gesetzgeber aus der Not heraus gemacht.“ Durch den Paragrafen 246 kann das Kreisbauamt entsprechende Genehmigungen oder Befreiungen erteilen. Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylsuchende können außerdem zum Beispiel – anders als Wohnanlagen – auch in Gewerbegebieten errichtet werden.

Unterkunft in Wolfratshausen geplant: 144 Plätze sollen ins Gewerbegebiet

So ist in Wolfratshausen eine große Unterkunft für 144 Menschen angedacht. Der Stadtrat hat abgelehnt – geht aber davon aus, dass die Anlage trotzdem errichtet wird. Beantragt hatte sie ein privater Investor – wie so oft bei Asylunterkünften. Niedermaier kann den Ausgang der Prüfung nicht vorhersehen, ist aber zuversichtlich, was die Baugenehmigung für die Unterkunft betrifft. „Natürlich stellen wir keine Anträge, bei denen wir glauben, dass sie einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten würden“, sagt der Behördenleiter. Eine Garantie gebe es nicht. So gab es auch Fälle, in denen das Kreisbauamt Anträge für Unterkünfte abgelehnt habe.

Die Zuweisung von Asylbewerbern in den Landkreis reißt unterdessen nicht ab – regelmäßig kommen Geflüchtete an. „Unsere Kapazitäten reichen bis Mai“, erklärt Niedermaier. Dann können Neuankömmlinge im Kreis nicht mehr untergebracht werden. „Wenn eine Unterkunft irgendwo geht und sie umsetzbar ist, und wir einen Investor für das Projekt haben – wir können ja nicht alles selbst machen – dann müssen wir die nehmen“, fasst Niedermaier zusammen. Auch wenn es nachvollziehbare Einwände vor Ort gegen den Bau gebe – „die gibt es bei jeder einzelnen Unterkunft“ – sei der Druck größer, Plätze zu generieren.

Flüchtlinge in Turnhallen: „Unterkünfte, die der Bevölkerung richtig wehtun“

Nicht nur für neu ankommende Asylbewerber sei es wichtig, dass im Landkreis Unterkünfte entstehen. „Es ist ein ganz einfacher Dreisatz: Je mehr Unterkünfte wir bekommen, desto schneller können wir die Turnhallen wieder freigeben.“ Bei Sportstätten handle es sich um „suboptimale Unterkünfte, die der Bevölkerung richtig wehtun“. Pressesprecherin Peischer merkt an: Um eine Turnhalle beispielsweise in Wolfratshausen wieder freizubekommen, müssten nicht automatisch auch in Wolfratshausen neue Unterkünfte geschaffen werden.

Zuletzt hatte Landrat Niedermaier von 1000 Plätzen gesprochen, die derzeit geplant würden. Die Prozesse sind unterschiedlich weit. „Wie schnell sie tatsächlich kommen, hängt davon ab, wie das Verfahren läuft.“ Eine Prognose, wie die jeweiligen Prüfungen ausgehen, gibt Niedermaier auf Nachfrage nicht ab.

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