Putins Patriot-Schreck zersägt: Monsterjet aus Sowjet-Ära landet auf dem Schrott
Eine Ikone macht Platz für Wohnraum. Russland beerdigt den abgehobenen Plan eines fliegenden Störsenders; auch der Rest der Luftwaffe ist flügellahm.
Irkutsk – „In einer Supermacht streben sie danach, alles zu zersägen und zu zerstören, aber im Gegenzug – nichts!“, schreibt er. Der Kommentator mit dem übersetzten Pseudonym „Der Geist ist die Ehre und das Gewissen unserer Zeit“ klagt über das ruhmlose Ende einer Ikone der Sowjet-Ära. Dem Kommentator schwanen offenbar Parallelen zum Auftreten der gesamten Armee, die Russlands Präsident Wladimir Putin in einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen ein vormaliges Brudervolk geschickt hat. Fast schon irritierend nüchtern dagegen titelt das sibirische Regionalmedium irk.ru: „In der Shiryamova-Straße in Irkutsk wird ein IL-76-Flugzeug demontiert“
Auch das Regional-Medium IrCity.ru hält dieses Vorgehen offenbar für eine Schande und zeigt Bilder eines verrosteten und beschneiten Rumpfs, dessen Heck bereits abgesägt worden ist. Laut Die IrCity.ru stehe die IL-76 auf einem Gelände, das zunächst dem Verteidigungsministerium gehört habe und danach in den Besitz von Irkutsk übergegangen sei. Jetzt sei dieses Grundstück verpachtet worden an eine Projektentwicklungsgesellschaft, die dort den Wohnkomplex Aviator bauen wolle – ein ehemaliger Militärkomplex wird also künftig zivil genutzt.
Russlands gescheitertes Experiment: „aus einem fast allzu prosaischen Grund in Stücke geschnitten“
Der Defense Express formuliert pathetischer: „Das Produkt eines ehrgeizigen sowjetischen Projekts wird nun aus einem fast allzu prosaischen Grund in Stücke geschnitten“, urteilt das Magazin. Tatsächlich gilt die Iljuschin Il-76 seit ungefähr 1970 als das Arbeitspferd der sowjetischen Luftwaffe. Die Maschine fliegt in verschiedenen Versionen – als ziviler Frachter genauso wie als Frühwarnsystem, aber eben auch in der jetzt verschrotteten Variante: als Störsender am Himmel.
„Aus Sicht der Nato-Abschreckung haben der russische Generalstab und der Kreml allen Grund, ihre Luftstreitkräfte maximal einzusetzen, um einen Teil dieser verlorenen Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.“
Was aber wohl mehr oder weniger als Bruchlandung geendet hat, wie Defense Express nachzeichnet. Die an den Pylonen an ihren Tragflächen-Spitzen erkennbare Variante gilt als Einzelstück. Den verfügbaren Aufzeichnungen zufolge habe die Hauptaufgabe der Il-76PP darin bestanden, die Radare verschiedener westlicher Luftabwehrsysteme wie die der Patriot durch elektromagnetische Interferenzen zu unterdrücken, wie Defense Express schreibt. Laut dem polnischen Nachrichtenportal essanews gleicht sie strukturell dem Militärtransporter Il-76MD. Trotz ihrer Antennen und zusätzlichen Elektronik biete sie die grundlegenden Leistungsmerkmale der Il-76-Serie, wie das maximale Startgewicht von etwa 189 Tonnen sowie eine Reichweite von bis zu 5000 Kilometern, je nach Ladung und Betriebsbedingungen.
Die Maschine soll der gleichen Rüstungsschmiede entstammen wie das in der Ukraine im Einsatz stehende A-50-Radarsystem –gebaut von der Beriew Aircraft Company in Taganrog im russischen Süden, in der Region Rostow. Aber anders als das A-50-System war die Il-76PP ein Flop, wie Defense Express urteilt „Dieses luftgestützte elektronische Kampfsystem wurde in einer einzigen Kopie hergestellt, blieb für immer im Stadium der experimentellen Entwicklung und ging nie in die Massenproduktion.“
Pessimismus aus den USA: „Russlands strategische Streitkräfte haben überhaupt nicht an Kapazität verloren.“
Wie grundsätzlich in der russischen Rüstungstechnik zu beobachten, hat Russland offenbar massive Schwierigkeiten mit hochkomplexer Elektronik, wie die ukrainische Nachrichtenagentur UNN berichtet. Demzufolge seien Aufklärungs- und Bordelektronik von Beginn an inkompatibel gewesen: Das System zur Elektronischen Kriegsführung Landysh (zu Deutsch: Maiglöckchen) hätte in der Maschine zusätzliche Stromquellen erfordert, wie UNN berichtet. Um dieses Problem zu lösen, hätten die Konstrukteure des Flugzeugs zwei zusätzliche Generatoren verbaut auf Basis des AI-24VT-Flugzeugmotors, von denen jeder vier Wechselstromleitungen an Bord der IL-76PP hätte versorgen sollen, wie die Agentur darstellt.
Offenbar seien aber auch diese Generatoren zu schwach gewesen, um die Leistung für die gewünschten Aufgaben zu erbringen, woran dann letztlich das gesamte Flugzeugprojekt gescheitert sein soll. Wie UNN-Autorin Antonina Tumanova nahelegt, wurde die Sonderkonstruktion dann erst auf dem Flughafen im sibirischen Irkutsk eingelagert und dann schlicht links liegen gelassen. Seit 1992 soll sie dort stehen und vor sich hin rotten. Im Hinblick auf Russlands allgemeine Kriegstüchtigkeit scheint das Fiasko der Il-76PP aber eine Ausnahme zu sein. Wie die USA im April dieses Jahres festgestellt hätten, zeige sich die fliegende Luftwaffe Wladimir Putins in der Ukraine quicklebendig.
„Russlands strategische Streitkräfte, Langstreckenluftfahrt, Cyber-Fähigkeiten, Weltraumfähigkeiten und Fähigkeiten im elektromagnetischen Spektrum haben überhaupt nicht an Kapazität verloren. Die Luftwaffe hat einige Flugzeuge verloren, aber nur etwa zehn Prozent ihrer Flotte“, sagte Christopher G. Cavoli während einer Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des US-Repräsentantenhauses. Den Kommandeur des US European Command und Oberbefehlshaber der Nato zitiert das US-amerikanische Air&Spaceforces Magazin mit einer ernüchternden Botschaft.
Putins Pläne: „Russland baut Streitkräfte schneller auf, als unsere ersten Schätzungen vermuten ließen.“
„Russland baut seine Streitkräfte viel schneller wieder auf, als unsere ersten Schätzungen vermuten ließen“, sagte Cavoli. „Die Armee ist jetzt tatsächlich um 15 Prozent größer als zum Zeitpunkt des Einmarsches in die Ukraine.“ Die Verschrottung des Uralt-Vogels aus der Sowjet-Ära ist insofern scheinbar eine Petitesse. Auch wenn Russland inzwischen mindestens zwei Berijew A-50-Mainstay-Aufklärungsflugzeuge eingebüßt hat, kann sie möglicherweise noch immer keine Lufthoheit über der Ukraine erringen, aber sie behält ihren Schrecken; und das trotz der Tatsache, dass die Ukraine mit ihren Drohnen die russische Luftflotte zwar nicht nach Sibirien zurückdrängt, aber dennoch bis an den Polarkreis.
Selbst dort sollen die Flugplätze in Reichweite ukrainischer Drohnenangriffe liegen. Allein das ist eine Tatsache, die dem zu widersprechen scheint, was Cavioli an Drohkulisse zu erkennen scheint. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges ist die russische Luftwaffe offenbar unfähig zu komplexen Operationen, die ihnen auch für Bodenoperationen einen längeren Hebel verschafft. Justin Bronk hatte eingangs des Ukraine-Krieges in den Raum gestellt, Russland hätte seine Luftwaffe in Reserve gehalten in der Befürchtung, die Nato könnte massiv in die Kampfhandlungen eingreifen.
Allerdings hatte das der Analyst des britischen Thinktanks Royal Services Institute (Rusi) auch gleich widerlegt – insoweit steht die Il-76PP fast schon symbolisch für das generelle Versagen der russischen Luftwaffe: Wenn die russische Luftwaffe generell in der Lage wäre, „durch groß angelegte Kampfhandlungen schnell die Lufthoheit über der Ukraine zu erlangen, schwächt sie durch das Unterlassen dieser Maßnahme tatsächlich ihren potenziellen Abschreckungswert gegenüber Nato-Streitkräften, anstatt ihn zu erhalten“, schreibt er. Das bisher drei Jahre währende Desaster der russischen Militäroperation am Boden sieht Bronk dringend korrigiert durch den Beweis der Stärke in der Luft.
Russland Luftwaffe gefordert – „um einen Teil der verlorenen Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“
„Aus Sicht der Nato-Abschreckung haben der russische Generalstab und der Kreml allen Grund, ihre Luftstreitkräfte maximal einzusetzen, um einen Teil dieser verlorenen Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“, formuliert er. Diese Machtdemonstration hatte sich Sergei Schoigu sogar von der Il-76MD-90A versprochen – von der erfolgreichen Fracht-Variante des erfolglosen Störungs-Monsterjets. Im August 2023 feierte der ebenfalls aufgrund von Erfolglosigkeit geschasste damalige Verteidigungsminister Russlands die Indienststellung von sechs neuen militärischen Frachtern.
„Seit Beginn der militärischen Sonderoperation wurden 8.000 Einsätze durchgeführt, fast 376.000 Militärangehörige, über 2.700 Einheiten militärischer Ausrüstung und 132.000 Tonnen Fracht transportiert“, wie Shoigu über das Fachmagazin aviation21.ru hat hinausposaunen lassen. Darüber hinaus sei die militärische Transportluftfahrt an der Löschung von Bränden und der Unterstützung der Aktionen Russlands in Syrien beteiligt gewesen, wie er ergänzte. Inzwischen ist dem System Putin auch in Syrien der Misserfolg entgegengetreten.
Was Shoigu im September noch für unmöglich gehalten hätte – deshalb hatte er sich angesichts der Präsentation des Überfliegers hinreißen lassen, die Verluste der Ukraine von, wie er sagte, „66.000 Menschen und 7.600 Waffen“ zu einem Erfolg zu erklären: „Der Feind habe seine Ziele in keiner der Richtungen erreicht.“