Neues Pearl-Jam-Album: Dunkle Materie mit Honig

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Pearl Jam sind wieder da. © Danny Clinch

Neue Spontaneität: Die Grunge-Veteranen Pearl Jam legen mit „Dark Matter“ ein souveränes, in Rekord-Geschwindigkeit eingespieltes Album vor.

Ein neues Album von Pearl Jam ist immer noch ein Ereignis. Die Grunge-Veteranen verkaufen nicht mehr so viele Platten wie zu ihrer Hochphase, aber ihre Fanbasis ist gewaltig – und noch immer gilt: Die Musik ist bis zur Veröffentlichung top secret. Wer also darüber schreiben will, muss erst mal ins Kino. Deutschlandweit waren am Dienstag für das heute erscheinende Album „Dark Matter“ sogenannte Pre-Listening-Termine angesetzt, auch im „Cinemaxx“ am Isartor. Da saßen dann Fans neben Journalisten und wunderten sich über den leisen und blechernen Mono-Klang, der aus den Boxen quoll. Womöglich, um etwaigen Mitschneidern die Soundsuppe zu versalzen.

Gitarrist Mike McCready: „Unser Produzent hat uns in den Arsch getreten“

Rechtfertigt „Dark Matter“ das Bohei? Es scheint jedenfalls, als habe den Mannen um Sänger Eddie Vedder ihre neue Arbeitsmethode gutgetan. Für ihre zwölfte Studioplatte hüpften sie laut Pressemitteilung nur mal eben für drei Wochen in Rick Rubins Shangri-La-Studios – für Pearl Jam ist das unerhört kurz, die letzte LP „Gigaton“ brauchte drei Jahre. Andrew Watt betreute sie diesmal – der Mann, der in jüngster Zeit alles produziert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: etwa die Rolling Stones, Iggy Pop, Miley Cyrus. Watt habe ihnen „in den Arsch getreten“, gab Gitarrist Mike McCready kürzlich zu Protokoll. Also: zu einer konziseren Arbeitsweise animiert.

Das Ergebnis klingt tatsächlich erfrischend spontan. „Scared of Fear“, das Eröffnungsstück, geht mit ordentlichem Tempo voran, „Respond, react“ zieht sogar noch einmal an. Das bereits als Single veröffentlichte Titelstück „Dark Matter“ ist ein sinisterer Hardrocker – und der einzig wirklich düstere Song hier. „Running“ wiederum zeigt sich als räudiger kleiner Punkrocker, der die Ballade „Won’t tell“ wettmacht, die ein bisschen zu penetrant im Radio gespielt werden will. „Upper Hand“ dagegen zeigt, dass diese Band auch bei ruhigen Songs zu Großem fähig ist. Der Titel entwickelt einen dramatischen Sog. Auch dank Vedders Stimme, die von ihrer Kraft nichts verloren hat – seine Texte sind wie immer nah am Kitsch, Durchhalteparolen und Trostpflaster. Und im Fall des Country-Rockers „Something special“ ein Liebesschwur an Frau und Tochter. Von wegen „dunkle Materie“: Die Platte klingt eher wie heiße Milch mit Honig.

Ein Song klingt nach Joan Jett, einer nach Tom Petty, einer sogar nach Bruce Springsteen

Man darf es als Altersgelassenheit auslegen, dass Pearl Jam auch ihre Einflüsse so offenlegen wie nie. Ein Riff erinnert an Joan Jett („Dark Matter“), ein anderes an Big Star („Scared of Fear“). Und das Gitarrenmotiv von „Wreckage“ ist dermaßen an Tom Petty angelehnt, dass die Zuhörer im Kino belustigt „Learning to fly“ anstimmen. „Got to give“ wiederum hätte auch auf einer alten Bruce-Springsteen-LP nicht deplatziert gewirkt. Sie holen ihr Publikum wirklich von überall ab.

All das summiert sich zu etwas, von dem Eddie Vedder sagt: „Ohne Übertreibung – ich denke, das ist unsere beste Arbeit.“ Wir sagen: Er übertreibt ein bisschen. An die Großtaten aus den Neunzigern reicht es nicht heran, aber „Dark Matter“ ist ihr bestes Album seit Langem.

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