Russland, Trump und der Ukraine-Krieg setzen Europa unter Druck – Sicherheitsexperte Fischer erklärt, was 2025 schieflief und was ihm Hoffnung gibt.
Die Ukraine wehrt sich weiter gegen Russland. Doch die USA fielen 2025 als verlässlicher Partner weg. Ein Problem für Europa – hinzu kommen Rechtsruck, hybride Angriffe und das Mammutprojekt, verteidigungsfähig zu werden. Sicherheitsexperte Klemens Fischer von der Universität Köln wirft in seinem dritten Band „European Security Put to the Test“ einen Blick auf Europas Sicherheit. Im Gespräch mit der Münchner Merkur von Ippen.Media lässt er das Jahr Revue passieren, ordnet die Gefahr eines Angriffs aus Russland auf NATO-Gebiet ein – und zieht Schlüsse.
Herr Fischer, welche Lehren sollte Europa aus 2025 ziehen?
Was wir bisher in 2025 erlebt haben, ist die Rechnung dafür, dass wir seit dem Ende des Kalten Krieges darauf gehofft haben, dass der ewige Frieden ausbricht. Daher haben wir unsere Verteidigungsausgaben heruntergefahren. Wir gingen davon aus, dass niemand mehr im 21. Jahrhundert in Europa Grenzen militärisch verschieben wird. Dementsprechend herrschte eine Friedensliebe.
„Zum Teil ist das Realitätsverweigerung“: Sicherheitsexperte attestiert Europa Mangel an „Hebeln“
Auch Donald Trump hat Europa überrumpelt.
Wir gingen immer von einer unverbrüchlichen Bündnistreue mit den USA aus. Trumps zweite Amtszeit hat bewiesen, dass Europas Fähigkeit, vorauszublicken, nahezu gegen null geht. Wir sind hier völlig unvorbereitet hineingestolpert, obwohl wir nur Projekt 2025 hätten lesen müssen, das als Fahrplan der Trump-Regierung gilt. Jetzt sind wir Europäer einer Politik ausgesetzt, der wir nicht mehr gerecht werden, weil sie anders ist.
Das zeigt sich auch am Friedensplan der USA und Russlands für die Ukraine, bei dem die Europäer nicht viel zu sagen haben.
Europa hat derzeit keinen Hebel, um außen- und sicherheitspolitisch die eigenen Ideen und Forderungen durchzusetzen. Auch wenn Außenminister Johann Wadephul behauptet, Deutschland sei eingebunden. Er will offenbar nicht wahrhaben, dass wir Wünsche äußern, aber nichts mitbestimmen. Zum Teil ist das Realitätsverweigerung.
In Ihrem Buch heißt es, die größten Herausforderungen für Europa seien China, Russland, USA unter Trump und die hybride Bedrohung. Welche davon ist am gefährlichsten?
Die größte Gefahr ist unser Umgang mit allen vieren. Bei China machen wir uns wieder wirtschaftlich von einem Staat abhängig. Das Land ist als Markt für uns dominant geworden, sowohl als Konsummarkt als auch als Lieferantenmarkt. Bei den USA kann man sagen, das geht nach vier Jahren vorüber, auch wenn man nicht weiß, was nach Trump kommt. Aber das kann man durchhalten.
Und Russland?
Russland ist ein Player, der alle Grenzen ausreizt, die er nur irgendwie ausreizen kann, womit wir Europäer nicht gerechnet haben. Also, es ist eher der Umgang Europas mit diesen Problemen, den ich für schwieriger halte als die Probleme selbst.
Was hätten Sie sich von Europa 2025 gewünscht?
Dass wir realistischer an Sachen herangehen. Heißt, dass wir schauen, welche Möglichkeiten wir zur Verfügung haben und was wir damit umsetzen wollen. Dass wir uns wieder auf Kernkompetenzen besinnen, wie zum Beispiel Wirtschaftskraft. Eine Stärkung der Wirtschaft wäre unbedingt notwendig gewesen. Und ich hätte mir mehr Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung gewünscht. Den Menschen in Europa klarzumachen, vor welchen Herausforderungen wir stehen und dass wir sie mit den derzeitigen Mitteln nicht bewältigen können und daher sparen müssen.
Bleibt auch etwas Positives aus 2025 hängen?
Positiv ist das Abkoppeln von fossiler Energie. Das ist zwar teuer, aber langfristig eine gute Entscheidung. Es ist wichtig, dass wir nicht mehr in Abhängigkeiten geraten. Was ich auch hervorheben möchte, ist der Europäische Gerichtshof. Das ist eine Institution, mit der wir für unsere europäischen Werte einstehen und klare Kante zeigen. Beispielsweise, wenn es um Datenschutz bei Social Media geht oder um Konsumentenschutz.
Aber der Zusammenhalt Europas bröckelt. Ihr Buch skizziert, wie der zunehmende Einfluss rechtsextremer Parteien die europäische Demokratie bedroht. Besorgt Sie das mit Blick auf Deutschland?
Die Frage des kommenden Jahres werden die Landtagswahlen sein, vor allem in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Die Wahlen werden eine Trendwende bringen, sodass wir uns danach mit der AfD auseinandersetzen müssen. Eine „Brandmauer-Diskussion“ wird nicht mehr ausreichen. Wenn die AfD wirklich einen Ministerpräsidenten stellen sollte, dann wäre der Dammbruch ein ganz anderer.
Die AfD erreicht schon jetzt Rekordwerte in Umfragen.
Sie müssen gar nicht viel tun, denn die Koalition bietet ein Jammerbild. Die Fraktion hält nicht zusammen. Kanzler Friedrich Merz muss vielleicht die Vertrauensfrage wegen einer Pensionsreform stellen. Wir werden, wenn der Ukraine-Krieg so weitergeht, mit einer neuen Flüchtlingswelle konfrontiert sein, die wir vermutlich nicht bewältigen werden können.
Europa ist derzeit nicht in der Lage, Russland gefechtsfähig etwas entgegenzusetzen.
Was also 2026 besser machen im Umgang mit einer in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei?
Man kann andere Parteien im demokratischen Kontext nur dann ihrer Stimmen berauben, wenn man argumentativ besser ist. Allein mit jemandem nicht reden, ist nicht ausreichend.
Ein anderes Sorgenkind für die Koalition ist die Bundeswehr. Bis zu 60.000 zusätzliche Soldaten werden benötigt. Der Wehrdienst soll in neuer Form zurückkommen. Junge Menschen lehnen das ab.
Ich verstehe sie. Das ist alles nicht schön. Aber in diesen Zeiten dürfen wir Verantwortung nicht mehr abschieben. Die Realität ist: Europa ist derzeit nicht in der Lage, Russland gefechtsfähig etwas entgegenzusetzen. Deutschland und Europa müssen wehrfähig werden. Ein Graben ohne Soldaten ist ein leerer Graben und damit ein Graben des Gegners. Das ist wie mit einer Hausratsversicherung.
Inwiefern?
Du zahlst ein und ein und denkst, das ist verlorenes Geld – bis der Notfall eintrifft. Das Gleiche gilt für die Verteidigung. Wir müssen uns als Land absichern, gemeinsam mit unseren Bündnispartnern.
Was wünschen Sie sich für die Bundeswehr für 2026?
Die Frage ist, wollen wir die Bundeswehr so aufstellen, wie sie früher war, im Verbund mit anderen europäischen Armeen, dass es eine abschreckende Wirkung hat? Dann werden die vorgesehenen 500 Milliarden Euro nicht ausreichen.
Die NATO hat die Verteidigungsausgaben bis 2035 auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöht.
Das 5-Prozent-Ziel ist nur dann möglich, wenn die USA hundertprozentig am Bündnis festhalten und in Europa stationiert bleiben. Sie könnten sich aber dem Pazifik zuwenden. Dann werden wir mit fünf Prozent nicht auskommen. Wir gehen bereits von 8 bis 10 Prozent Nato-Ziel aus.
Würde Putin es wagen, Nato-Gebiet anzugreifen?
Bei diesem Szenario würde Russland einer Nato gegenüberstehen, die Atommacht ausüben kann. Spätestens das ist der erste Bremsklotz bei allen möglichen Gelüsten, die der Kreml haben mag. Realistisch gesehen wird Russland vier bis fünf Jahre brauchen, um sich auf einen Gegner wie die Nato einzustellen, der ein Nukleararsenal in der Hinterhand hält.
Wir stehen hinter der Ukraine, aber nicht neben ihr
Schreckt das den Kreml ab?
Dem Kreml ist völlig klar: Sich mit der Nato anzulegen, würde bedeuten, einen Nuklearkrieg zu riskieren.
Und doch testet Russland rote Linien aus und führt laut Militärvertretern einen hybriden Krieg gegen Europa.
Es liegt an der Politik, den Menschen zu erklären, dass die russische Aggression real bleibt, auch wenn es zu einem Friedensabkommen mit der Ukraine kommen sollte. Frieden ist die Zeit zwischen zwei Kriegen. Wir werden weiter Wehrausgaben tätigen müssen, um uns für alle Szenarien abzusichern.
Mit welchem Gefühl gehen Sie als Sicherheitsexperte ins neue Jahr?
Ich baue auf Leute wie Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Er managt die Nato sehr gut und ist damit ein Segen für Europa. Wenn wir das umsetzen und weiter fortführen, was Rutte angestoßen hat, blicke ich positiv ins nächste Jahr. Ich baue auch auf die Briten, ohne die überhaupt nichts mehr in Bewegung gekommen wäre. Europa muss die Bittsteller-Rolle ablegen. Wir reagieren andauernd, aber agieren nicht. Wir versuchen halbe Sachen und nichts Ganzes: Wir stehen hinter der Ukraine, aber nicht neben ihr.