„Die Welt im 21. Jahrhundert“: Vortragsabend mit Prof. Dr. Carlo Masala

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Prof. Dr. Carlo Masala während seines Vortrags. © Manfred Schilder

Bei einer Veranstaltung im GT Hub diskutierten rund 120 Gäste mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Carlo Masala über die Auswirkungen globaler Machtverschiebungen und geoökonomischer Entwicklungen auf die regionale Wirtschaft.

Benningen – Die großen Linien globaler Politik treffen längst die Entscheidungen mittelständischer Unternehmen vor Ort. Wie eng diese Zusammenhänge tatsächlich geworden sind, zeigte sich eindrucksvoll bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Oberbank Memmingen und der Anwaltskanzlei Dr. Karg & Kollegen im GT Hub Benningen.

Unter dem Titel „Die Welt im 21. Jahrhundert“ referierte der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, über geopolitische und geoökonomische Entwicklungen, die das laufende Jahrzehnt prägen werden.

Rund 120 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und gesellschaftlichem Leben waren der Einladung gefolgt und füllten die Räumlichkeiten des innovativen Technologie- und Gründerstandorts am Allgäu Airport. Die Gastgeber wollten damit bewusst ein Forum schaffen, das wirtschaftliche Praxis, rechtliche Orientierung und wissenschaftliche Analyse miteinander verzahnt.

„Das 21. Jahrhundert ist geprägt von tiefgreifenden Veränderungen. Wir leben in einer Zeit, in der sich die globalen Machtverhältnisse verschieben, technologische Innovationen unsere Lebensweise revolutionieren und neue Herausforderungen immer komplexer werden. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, während gleichzeitig die wirtschaftlichen gegenseitigen Abhängigkeiten wachsen“, erläuterte Markus Staib, Leiter der Oberbank Memmingen, zur Begrüßung. „Als Oberbank, als regionale Bank, sehen wir uns in der Verantwortung, unsere Kunden in diesen dynamischen Zeiten zu unterstützen.“

Für Dr. Thomas Karg von der Kanzlei Dr. Karg & Kollegen sind diese Entwicklungen längst Teil der Beratungspraxis: „Die Tätigkeiten in unserer Branche sind besonders betroffen von den Folgen, die auch durch die geoökonomischen und geopolitischen Entwicklungen kommen. Unternehmen sehen sich heute Risiken gegenüber, die juristisch, wirtschaftlich und politisch ineinandergreifen. Vertragsgestaltung, Compliance, Investitionsentscheidungen und Lieferkettenmanagement müssen mit Blick auf geopolitische Entwicklungen gedacht werden.“ Recht sei in diesem Sinne weniger Verwaltungsinstrument als „strategisches Schutz- und Steuerungsinstrument“ wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit. Und natürlich sind unsere.

Nach kurzen Grußworten von Dr. Stefan Lenz, Geschäftsführer der GreenTech Hub GmbH und Hausherr, sowie Michael Knitschke, Geschäftsleiter der Oberbank in Süddeutschland, startete der mit Spannung erwartete Vortrag von Prof. Dr. Carlo Masala, der seit Jahren zu den prägenden Stimmen in der außen- und sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland zählt.

Mit klaren Formulierungen und pointierten Beispielen zeichnete er das Bild einer Weltordnung, die sich in rasanter Neugestaltung befindet. „Wir leben in einer Phase des Umbruchs. Die internationale Ordnung, wie wir sie aus den Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Krieges kannten, erodiert. An ihre Stelle tritt eine Welt multipler Machtzentren – und diese befindet sich in einem intensiven Wettbewerb“, betonte Masala eingangs.

Ein zentrales Thema war die strategische Rivalität zwischen den USA und China. Während die USA weiterhin „das Zentrum der globalen Sicherheitsarchitektur“ seien, wachse China wirtschaftlich, technologisch und geopolitisch mit dem Ziel, eine gleichberechtigte Führungsrolle einzunehmen.

„Dies ist kein Konflikt, der in wenigen Jahren entschieden wird. Er wird die kommenden Jahrzehnte prägen – auch für Unternehmen in Europa“, so Masala.

Die Vereinigten Staaten von Amerika definieren ihre Rolle in der Welt neu. Sie sehen sich nicht mehr als Garant für Sicherheit für die NATO-Mitgliedstaaten. Als isolationistisch will Masala den Kurs der USA unter US-Präsident Donald Trump dennoch nicht verstanden wissen. Diese Neuausrichtung der USA verändere die Weltwirtschaft ebenso wie das internationale Finanzsystem.

Ebenso nahm der Ukraine-Krieg einen wichtigen Platz in Masalas Analyse ein. Es gehe nicht allein um territoriale Fragen, sondern um die Grundsatzentscheidung, ob internationale Regeln und Völkerrecht Geltung behalten oder ob Machtpolitik wieder dominierend werde.

Europa muss begreifen, dass Sicherheit kein Naturzustand ist. Sie muss organisiert, finanziert und politisch gewollt sein.

Russland setze klar auf Konfrontation. Die russische Forderung sei laut Masala unmissverständlich: Russland fordere die Rückabwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur auf den Stand von 1997. Das würde einen US-amerikanischen Truppenabzug aus Polen, dem Baltikum, Rumänien und eventuell dem Kosovo beinhalten. Russland wolle diesen Raum politisch wie ökonomisch dominieren, aber nicht notwendigerweise militärisch.

Im wirtschaftlichen Bereich forderte Masala ein Umdenken: Weg von reinen Effizienzmodellen, hin zu resilienten und diversifizierten Strukturen.

„Globalisierung bleibt – aber sie verändert sich. Abhängigkeiten werden neu bewertet. Wir treten damit ein in die Schattenseiten der Globalisierung“, prognostiziert Masala. Haben deutsche Unternehmen die Chancen der Globalisierung bislang exzessiv genutzt, gebe es heute keine Konflikte auf der Welt, von denen sie nicht betroffen wären.

Der lokale Wirtschaftsraum, geprägt durch mittelständische Industriebetriebe, war damit direkt angesprochen. Viele der Anwesenden hörten genau zu, als Masala konkrete Beispiele formulierte, wie der Abhängigkeit bei der Produktion von Antibiotika in China oder Indien: „Es geht nicht darum, sich abzuschotten. Es geht darum, sich handlungsfähig zu halten – auch dann, wenn sich Rahmenbedingungen schlagartig verändern.“

Mit Blick auf die nächsten Jahre erwartet Masala, dass der Kampf um eine neue Weltordnung, in dem wir uns gegenwärtig befänden, letzten Endes zu einer neuen Bipolarität zwischen China und den USA führen könnte.

„Alle anderen Staaten sind zu schwach. Die einzige Ausnahme dabei ist die EU, die im Außenhandelsbereich schon heute einer der großen 3 Player ist in der internationalen Politik“, so Masala.

Am Ende seiner Ausführungen gab Masala Antworten auf die Frage: Was können wir tun? „Wir müssen viel stärker geopolitisch denken, wir müssen vorbereitet sein auf das schlimmste Szenario, wir brauchen resiliente Gesellschaften und wir dürfen nicht an der Demokratie zweifeln“, betonte Masala abschließend.

Im anschließenden Gespräch mit den Gästen zeigte sich das große Interesse am Thema. Fragen drehten sich unter anderem um die Zukunft europäischer Sicherheitsstrukturen und um die Frage, wie Gesellschaften angesichts wachsender Unsicherheit demokratische Stabilität bewahren können. Bei einem ausgedehnten Get-together klang der Abend in angeregten Gesprächen aus.

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