Es ist ein beachtliches Comeback. Vielleicht könnte man sogar ein „Auferstanden aus Ruinen“ diagnostizieren, denn lange Jahre schien es so, als würde die Geschichte die Linke überflüssig machen und in die Nische zurückdrängen.
Davon kann inzwischen nicht mehr die Rede sein, denn nunmehr könnte sie sogar manchen politischen Konkurrenten als Blaupause für den Umbau einer beinahe schon gescheiterten Partei gelten. Eine Art Markenrelaunch wie aus dem Bilderbuch, wenngleich der Beweis der Nachhaltigkeit noch aussteht.
Die Linken sind plötzlich „in“
Tatsächlich verlief nicht nur das Jahr 2025 weitgehend positiv, sondern die Linke gilt gerade bei jungen Menschen wieder als attraktiv und wählbar. Bei der Bundestagswahl erzielte sie bei den Jungwählern (18–24 Jahre) ca. 26 % und war damit die stimmenstärkste politische Organisation. Das sind Werte, von denen SPD (ca. 12 %) und Grüne (10 %) weit entfernt sind und bei denen sich auch die AfD (ca. 21 %) mit dem zweiten Platz zufriedengeben muss. Zudem verdoppelte die Linke ihre Mitgliederzahl seit Ende 2023 auf rund 120.000 Mitglieder. Das ist unzweifelhaft eine Erfolgsgeschichte. Man könnte sagen: Als Marke zweifelsfrei der Zukunft zugewandt. Doch wie war das möglich und welche Kräfte tragen sie heute?
2021: Am Tiefpunkt
Um dies zu erläutern, empfiehlt sich ein kleiner Blick zurück. 2021 war ein Tiefpunkt für die Linke. Sie scheiterte mit 4,9 % an der Fünf-Prozent-Hürde und zog nur über die Grundmandatsklausel in den Bundestag ein. Das war auch deswegen eine Katastrophe, weil es zu einem Zeitpunkt geschah, als mit der Ampel ein mutmaßlich artverwandtes Bündnis mit flexibel-gelbem Anhang eine Mehrheit erreichte.
Ein unerwarteter Misserfolg, obwohl der Zeitgeist sich vermeintlich so zugeordnet zeigte, denn es war der letzte deutsche Höhepunkt einer Dekade des Postmaterialismus, in dem die großen Ideale und hehren Gedanken die Politik dominierten und wenig Widerspruch fanden: Weltgerechtigkeit, Anti-Kolonialismus, Identitätspolitik, Gendersprache oder Klimakonzentration mit ihren Ablegern wie der feministischen Außenpolitik oder der sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft dominierten den Diskurs und machten aus teilweise berechtigten Anliegen einen Absolutismus, der keinen Widerspruch duldete und dadurch diesen erst auch in Teilen der Bevölkerung erzeugte, die einen moderaten Kurs vermutlich mitgetragen hätten.
Die Bedürfnisse anderer Milieus einer zersplitterten Gesellschaft wurden dagegen marginalisiert. Die Folge dieser langfristigen Entwicklung sind die politischen Verhältnisse, wie sie heute vorherrschen. Doch zurück zum Betrachtungsgegenstand, denn das ist eine andere Geschichte mit anderen Protagonisten. Wichtig ist nur, den Rahmen zu kennen.
Zeitgeistanbiederung wirkt nicht
An diesen Postmaterialismus biederte sich die Linkspartei förmlich an, vernachlässigte ihre Kernkompetenzen und setzte beispielsweise zur Bundestagswahl 2021 auf eines der ambitioniertesten Klimaziele, mit dem man die Grünen noch überbieten wollte. Man degradierte sich letztendlich zur Kopie.
Dieses kam – so fair muss eine Beurteilung sein – allerdings nicht von ungefähr, denn schon damals stammten, und manchen Leser mag das irritieren, über 60 % der potenziellen Wählerschaft aus der Mittel- und Oberschicht, insbesondere aus dem sozioökologischen, leistungsorientierten oder adaptiv-pragmatischen Milieu. Die Zeiten, in denen der durchschnittliche Urnengänger ostdeutsch, älter als 55 Jahre sowie tendenziell männlich war und über ein Einkommen von unter 2000 Euro netto pro Monat verfügte, neigten sich dem Ende zu, denn hier erwuchs über die Jahre mit der AfD ein Kontrahent im prekären und traditionellen Bereich, dem man erst einmal wenig entgegensetzen konnte.
Daher erschien der Entschluss, sich auf die neue Kerngruppierung zu konzentrieren, logisch, wenngleich auch trügerisch, da man sich so das Potenzial künstlich verkleinerte und mit den rot-grünen Platzhirschen in den Ring stieg. Die eigenen Widersprüche wurden dabei gekonnt ausgeblendet und viele soziale Themen mussten sich den höheren Zielen unterordnen.
Stimmenverluste und Spaltung
Dies irritierte die alten Anhänger, für die sozialistischer Materialismus in der Regel mehr zählte als idealistischer Postmaterialismus, der schon bei Marx nicht ganz so gut wegkam, und brachte letztendlich nur Verluste.
Die Wahl verlief entsprechend desaströs, denn man verlor ca. 1,1 Millionen Wähler an SPD und Grüne sowie ca. 320.000 an die Nichtwähler. Da tröstete es auch nicht, dass es an die AfD nur 90.000 waren. Der Absturz war demnach hausgemacht. Die Linke stürzte in eine Identitätskrise. 2023 folgte, fast zwangsläufig, die Spaltung Richtung BSW und die Auflösung der Fraktion. Am Tiefpunkt.
Linke baut Partei um
Aus diesem heraus erfolgte der Turnaround. Alte, oder besser selbstverursachte Not galt es zu zwingen.
Einerseits inhaltlich. Spätestens ab 2024 erfolgte eine Zuwendung zu konkreten Themen wie Wohnen/Miete, Preisen und Löhnen – also klassische linke Themen und den Alltagssorgen, wie sie vor allem die Menschen in den Großstädten besonders betreffen. Der Postmaterialismus trat deutlich in den Hintergrund und ist nur noch Rahmen für eine konkrete Ausgestaltung, die sich auch gerne wieder an alten linken, teilweise auch sozialistischen Argumentationsmustern orientiert.
Heidi und die digitale Welt
Zu diesem Comeback gehören aber auch Köpfe und Kanäle. Heidi Reichinnek wurde zur prägenden Figur eines Social-Media-Wahlkampfs, der Millionen erreichte und manche Studie zeigt, dass TikTok 2025 tatsächlich ein wahlrelevanter Schauplatz war – nicht als alleiniger Hebel, aber als Reichweiten-Booster bei Jüngeren. Beide Faktoren, einmal der Mut, neuen Persönlichkeiten den Raum zu geben und nicht stets den alten Wein in neuen Schläuchen zu präsentieren, sowie der Umgang mit modernen Medien, hier dürfen es aber gerne auch einmal die Inhalte der Vergangenheit in aktueller Präsentation sein, sind nicht genug herauszustellen. Hinzu kam natürlich der Vorteil und irgendwo auch das Recht, als Oppositionspartei auch einmal auf schlichten Populismus, ein typisches Beispiel sind hier die Forderungen nach Enteignungen, setzen zu können, von denen sie selbst weiß, dass sie rechtlich und praktisch nicht umsetzbar sind.
Es ist aber, und auch das wird vielleicht Missfallen erregen, zweifellos so, dass die virtuelle Welt ganze Bevölkerungsteile auf kurze schnelle Reize konditioniert hat und schlagkräftige Parolen, idealerweise multimodal verpackt, auf TikTok & Co. heute eine Wirkung entfalten können, wie dies noch vor einer Dekade undenkbar gewesen wäre.
Konkurrenz scheitert
Der Erfolg wäre vielleicht trotzdem nicht so groß gewesen, wenn nicht parallel die politische Konkurrenz viele soziale Themen vernachlässigt und postmaterielle Themen in den Mittelpunkt gerückt hätte. Fast symbolisch hierfür steht ein Heizungsgesetz, das keine ausreichende soziale Abfederung kannte und den Widerspruch zwischen einem Idealismus, der eine Form der Weltklimagerechtigkeit im Auge hatte, und der knallharten sozialen Wirklichkeit, deutlich aufzeigte. Auch unbegrenzte Migration als Entschädigung für die kolonialen Leiden des globalen Südens verträgt sich eher weniger mit Wohnungsnot und einem stabilen Sozialsystem. Kurzum: Der Blick für reale Nöte und Sorgen der Menschen fehlte, was auch verständlich ist, denn das postmaterielle Milieu in Deutschland (ca. 12 % der Bevölkerung; in der Regel über 40 Jahre alt) kennt keine materielle Not, sondern hat es in der Regel geschafft, ist nicht selten verbeamtet oder ähnlich gut abgesichert und verfügt über finanzielle Ressourcen. Für jüngere Generationen gilt das alles häufig natürlich nicht.
Oder einfacher gesagt: Der Postmaterialismus lieferte nicht für alle. Er blieb blumig, von schönen Worten getragen, löste aber zu wenige Probleme, und die Sehnsucht nach Lösungen wuchs. Nicht für globale Herausforderungen, sondern für die wichtigen Dinge des Alltags.
Die Selbstverzwergung von SPD und Grünen
Als SPD und Grüne das erkannten, war es längst zu spät. Sie wurden gebrandmarkt und sind es noch. Die Wähler sind inzwischen gegangen. Es weist nicht eine gewisse Ironie auf, dass die Linkspartei für viele Jüngere nun das soziale Original ist und Grüne sowie SPD die Kopie darstellen. Das belegen auch die nüchternen Zahlen.
Bei der Bundestagswahl 2025, so zeigen Wahlanalysen, verloren die Parteien zwar 460.000 Wähler an AfD und BSW, was erneut den Gedanken stützt, dass die Linke nur noch bedingt die prekären und traditionellen Schichten anspricht, gewann aber knapp 1,3 Millionen von SPD und Grünen sowie fast 300.000 aus dem Nichtwählerbereich. Eine klare und deutliche Verschiebung, die die vorgebrachten Thesen stützt. Für 79 % war das Programm der Wahlgrund und soziale Sicherheit das wichtigste Thema.
Die neuen Linken
Das wird auch deutlich, wenn man die Veränderung der Mitgliederstruktur der Linken betrachtet. Aus einer internen Mitgliederbefragung, an der sich 11.548 Mitglieder beteiligten, geht hervor, dass diese - für Parteimitglieder - heute extrem jung sind (Durchschnittsalter 38,7 Jahre), urban leben (ein Drittel in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern) und thematisch klar auf Antifaschismus (bei Neumitgliedern 78 %), Soziales, Bildung sowie Wohnen/Mieten ausgerichtet sind. Klimagerechtigkeit/Umwelt bleibt wichtig (gesamt 55 % Interesse), dominiert aber nicht. In Summe bestätigt die Studie das Bild einer materiell fokussierten jungen Basis, die sich um Konkretheit bemüht. Das macht die Partei auch ein wenig weniger ostdeutsch.
Die Mitgliederbefragung ist natürlich keine Wahlforschung: Sie zeigt aber, wie die Basis tickt. Dass beide Linien 2025 zusammenliefen – Jungwähler-Peak und „materielle“ Themenführerschaft – legt aber nahe, dass die Strategie zum Zeitgefühl passt. Das erklärt, warum die Linke gerade in der entscheidenden Zielgruppe sichtbar wurde und zulegte.
Was bleibt offen – und was folgt daraus?
Die „neuen Linken“ sind daher jünger, städtischer, netz-affiner – und setzen materielle Lebensverbesserung wieder an die Spitze.
Aus einem Tief wurde binnen zwei Jahren ein Aufschwung mit Jungwähler-Rekorden und Mitgliederboom. Möglich gemacht haben das neue Gesichter, neue Kanäle und eine Prioritätenverschiebung in Gesellschaft und Partei. Hinzu kamen die Fehler der etablierten Parteien, die zu lange auf der Welle des Postmaterialismus geritten sind, ohne zu merken, dass sie schon länger ans Ufer der Wirklichkeit zurückgespült wurden.
Die Linke ist damit nicht nur wieder da. Sie hat sich teilweise neu erfunden und besitzt gute Chancen, auch auf Dauer zu bleiben und die eigene Position auszubauen. Ob sie diese allerdings nutzen wird, bleibt abzuwarten. Das System ist im Moment in der Neuordnung und noch nicht gefestigt. Jahre der Schwankungen werden folgen.
Für eine erfolgreiche Zukunft wurden die ersten Schlachten erfolgreich geschlagen. Es ist aber noch nichts auf Dauer errungen. Ob die Sonne schön wie nie über den Fortgang der Entwicklung der Linken scheinen wird, bleibt daher im Moment noch offen.
Andreas Herteux ist Wirtschafts- und Sozialforscher, Herausgeber und Autor des Standardwerks zur Geschichte der Freien Wähler (FW) und Gründer der Erich von Werner Gesellschaft. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.