Der Kuhhandel von Brüssel zeigt alles, was an unserer Klimapolitik falsch ist

Eine lange Nacht in Brüssel endet mit einem teuer erkauften Kompromiss. In teils chaotischen Verhandlungen hatte sich der Rat der EU-Umweltminister am frühen Mittwochmorgen auf zwei separate Klimaziele geeinigt: Bis 2035 sollen die europäischen CO2-Emissionen nun um 66,25 bis 72,5 Prozent sinken, bis 2040 dann um 90 Prozent – mit dem ein oder anderen Schlupfloch.

Die Kraft der Marktwirtschaft

Eines dieser Schlupflöcher: Der Start des sogenannten Emissionshandel ETS2 für Brennstoffe im Gebäude- und Verkehrsbereich soll nun um ein Jahr verschoben werden, von 2027 auf 2028. Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches System, in dem Heizöl-, Gas- und Kraftstofflieferanten für ihre CO2-Emissionen sogenannte Zertifikate kaufen müssen – und die Kosten vermutlich an Verbraucher weitergeben. 

Das Ziel: klimaschädliche Energieträger schrittweise verteuern, Investitionen in sauberere Heizungen und E-Mobilität attraktiver machen – und so die Emissionen in zwei bisher besonders schweren Sektoren deutlich senken.

Auf dem Papier gilt der Emissionshandel daher als bestes Klimaschutzinstrument: Von den Zertifikaten gibt es genau so viele, dass die Klimaziele nicht überschritten werden. Die Zertifikate gehen also irgendwann zur Neige. Und je knapper sie werden, desto teurer werden sie. Auf diese Weise soll Klimaschutz quasi automatisch erreicht werden, mit der Kraft der Marktwirtschaft. 

Sehr wichtig für Minister

Die still und heimlich beschlossene Verschiebung um ein Jahr verschiebt daher auch effektiven Klimaschutz. Sie sei aber nötig gewesen, um das Klimaziel 2040 durchzuboxen, wie Umweltminister Carsten Schneider (SPD) am Mittwoch bestätigte. Die Verschiebung sei eine Forderung der Regierungen Polens und Rumäniens gewesen, sagte Schneider nach seiner Rückkehr aus Brüssel in der Berliner Bundespressekonferenz: „Beide haben klar gemacht, dass das für sie bestimmend ist.“

Damit alle dem ambitionierten Klimaziel für 2040 zustimmen, wurde also ausgerechnet die Maßnahme verschoben, die am meisten hilft, um dieses Klimaziel auch zu erreichen. „Ich halte das für die simpelste Form eines Kompromisses“, sagte Schneider. „Wir haben starke Ziele mit den 90 Prozent, das ist für mich sehr wichtig gewesen.“

Angst vor schlechter PR

Und hier beginnt schon das Problem. Aus politischer Sicht mag der Kuhhandel von Brüssel verständlich wirken: Nächste Woche startet die Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém, und die EU hatte wenige Tage zuvor noch immer keinen Klimaplan vorzuweisen, den es bereits im Februar hätte einreichen sollen. Ausgerechnet der Kontinent, der sich selbst als Klima-Vorreiter versteht, drohte als Bremsklotz dazustehen. Und ein Scheitern der Verhandlungen für die Klimaziele bis 2040 hätte ebenfalls verheerende Symbolwirkung entfalten können, lautete die Befürchtung vor allem in Berlin. 

Die Entscheidung zeigt aber auch, wie verquer die Klima-Prioritäten in Europa bisweilen sind: Letztendlich willkürlich festgelegte Ziele sind den politischen Akteuren oftmals wichtiger als die Maßnahmen, um diese Ziele auch zu erreichen.

Kaum ein Land kennt diese Dynamik besser als Deutschland. Unter dem Druck der aufkeimenden Klimabewegung legte die damalige Große Koalition aus Union und SPD ambitionierte Klimaziele fest, bis hin zur Klimaneutralität 2045. Konkrete Ideen, wie diese Ziele zu erreichen sind, überließ man jedoch den nachfolgenden Regierungen. Als es etwa mit dem sogenannten „Heizgesetz“ der Ampel-Regierung dann darum ging, den Klimazielen im Gebäudebereich auch Folge zu leisten, schrie ausgerechnet die Union am lautesten auf. 

Unebenes Spielfeld - besonders für Deutschland

Die Fixierung auf Klimaziele und Jahreszahlen wirkt verständlich, immerhin garantiert sie wohlwollende Schlagzeilen, ohne anstrengende politische Entscheidungen treffen zu müssen. Fürs Klima selbst hingegen richtet sie erstmal wenig aus. Zwar betonte Schneider in der Pressekonferenz, die gemeinsamen Klimaziele für 2040 ebneten erstmals ein „level-playing field“, dem alle Mitgliedsstaaten unterworfen seien. Das stimmt aber nur, solange man außer Acht lässt, dass es bereits vereinbarte Klimaziele gibt, etwa für 2050. Der Mehrwert ist also gering.

Und: Mit der Verschiebung des ETS 2 sind es ausgerechnet deutsche Firmen und Haushalte, für die das Spielfeld ein weiteres Jahr lang äußerst uneben sein wird. In Deutschland gibt es nämlich bereits ein nationales Emissionssystem, das eigentlich durch die EU-Version hätte abgelöst werden sollen. Nun müssen die Deutschen ein weiteres Jahr lang Verschmutzungsrechte kaufen, ohne dass es große Teile des EU-Auslands müssten.      

Ein schmerzhafter Fakt, der auch der deutschen Wirtschaft nicht verborgen blieb. „Wer solch weitreichende Klimaziele beschließt, darf nicht gleichzeitig die zentralen Instrumente zur Zielerreichung aufweichen“, hieß es in einer Stellungnahme des Autoindustrieverbands VDA.

Am Ende erfolglos

Zu allem Überfluss ist die 2040er-Zahl auch noch mit einem gigantischen Fragezeichen verbunden. Die EU-Kommission soll künftig alle zwei Jahre überprüfen, ob die EU sich in die richtige Richtung bewegt und ob das 2040er-Ziel mit Europas Wettbewerbsfähigkeit und der Wissenschaft vereinbar ist. Wenn nötig, soll die Kommission auch neue Gesetzesvorschläge machen können. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie groß die Ambitionen mancher Mitgliedsstaaten ausfallen werden, wenn schon im Beschluss verankert ist, dass das Klimaziel zur Not auch ausgehöhlt werden kann. Vor allem wenn man die dafür nötigen Instrumente systematisch abschwächt.

Vielleicht sollten die EU-Mitgliedsstaaten den Klimaschutz weniger in hehren Zielen und medientauglichen Worten denken – sondern in wirklichen Taten. Am Ende wurde das EU-Klimaziel übrigens mit breiter Mehrheit angenommen, nur fünf von 27 Mitgliedsstaaten haben nicht zugestimmt. Einer dieser Staaten: Polen. Am Ende war der Kuhhandel nicht mal erfolgreich.