Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) hat angekündigt, dass schon ab dem 1. Januar 2026 ein Industriestrompreis in Deutschland gelten könnte. Energie-intensive Unternehmen sollen damit vom Staat subventioniert werden, um hohe Strompreise im internationalen Vergleich auszugleichen. Sowohl Unternehmen als auch Gewerkschaften hatten dies schon länger gefordert. Sie sehen sonst zehntausende Arbeitsplätze im Land gefährdet, weil bestimmte Branchen nicht mehr mit der ausländischen Konkurrenz mithalten könnten. Wir erklären alles, was Sie zum Industriestrompreis wissen müssen.
Das ist ein Industriestrompreis
Sie erinnern sich an die Strompreisbremse, mit der die Bundesregierung 2023 Ihren Strompreis bis zu einem bestimmten Bedarf deckelte, damit Ihre Stromrechnung erträglicher wurde? Ein Industriestrompreis wäre genau dasselbe, nur eben für Unternehmen. Einen genauen Plan hat Reiche bisher noch nicht veröffentlicht. Das Handelsblatt zitiert jedoch aus einem gemeinsamen Konzept von fünf Experten-Organisationen, darunter etwa Agora Energiewende und die Deutschen Energieagentur (Dena). Dieses sieht einen Strompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde vor. Zum Vergleich: Als Verbraucher zahlen Sie laut dem Vergleichsportal Verivox aktuell im Schnitt rund 34 Cent.
Diese Unternehmen würden den günstigen Strom bekommen
Nicht jedes Unternehmen, nicht einmal jedes Industrieunternehmen würde sich aber für den subventionierten Strompreis qualifizieren. Das gemeinsame Konzept enthält eine Liste von rund 2000 Unternehmen. Die dürften hauptsächlich aus den oft zitierten energie-intensiven Branchen stammen. Damit sind Industrien gemeint, die für ihr Geschäftsmodell große Mengen an Strom benötigen.
Zu den energie-intensiven Industrien gehören in Deutschland fünf Branchen, die zusammen laut Statistischem Bundesamt etwa 77 Prozent der gesamten Energie in der deutschen Industrie verbrauchen. Es sind:
- Chemische Erzeugnisse, also zum Beispiel BASF, Evonik und Covestro
- Papier, Pappe und Zellstoffe, also zum Beispiel die Palm Gruppe, die Koehler Gruppe und die Leipa Gruppe
- Glas, Keramik und Steine/Erden, also zum Beispiel Heidelberg Materials, die Schott AG und die Knauf Gruppe
- Metallerzeugung und -bearbeitung, also zum Beispiel ThyssenKrupp, Salzgitter und Aurubis
- Kokerei und Mineralölverarbeitung, also zum Beispiel Shell, BP und die PCK Raffinerie in Schwedt
Nicht alle diese energie-intensiven Betriebe verbrauchen auch viel Strom. In der Metallbranche ist der Stromanteil sehr hoch, in der chemischen Industrie gemischt, je nachdem, welche Produkte hergestellt werden. Papier, Glas und Kokereien arbeiten eher mit Erdgas als mit Strom, allerdings macht letzterer trotzdem einen signifikanten Anteil am gesamten deutschen Energieverbrauch aus.
Unternehmen müssen Auflagen erfüllen
Die Idee des Industriestrompreises ist nicht neu. Schon 2023 forderten die Ministerpräsidenten von sechs industriell dominierten Bundesländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die damalige Ampel-Koalition auf, eine solche Subvention einzuführen. Ex-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nahm die Idee damals als „Brückenstrompreis“ in sein Strategiepapier auf, hätte die Hilfe aber auf 80 Prozent des Verbrauchs und auf wenige Jahre gedeckelt. Damit sollten Unternehmen einen Anreiz bekommen, Energie einzusparen oder auf klimafreundliche Alternativen umzusteigen.
Auch das Konzept, das Reiche jetzt vorliegt, ist kein Blankoscheck für die Unternehmen. Demnach sollen maximal 50 Prozent des Verbrauchs eines Unternehmens subventioniert werden, damit der Anreiz zum Energiesparen bleibt. Das ist auch eine Vorgabe der EU, die solche Subventionen eigentlich untersagt, zuletzt aber Rahmenbedingungen erklärt hatte, unter denen sie erlaubt wären. Um das Geld zu bekommen, müssen die Unternehmen aber nachweisen, dass sie mindestens die Hälfte der erhaltenen Subventionen in Maßnahmen zur Dekarbonisierung investieren. Diese Nachweise sollen, so Reiche, möglichst bürokratiearm gestaltet werden. Das Konzept sieht vor, etwa Investitionen in Windkraftanlagen, Solaranlagen, Energiespeicher, Elektrolyseure und Effizienzmaßnahmen gelten zu lassen. Optional könnten Unternehmen, die sogar 80 Prozent der Subvention in solche Dinge investieren, nochmal einen Bonus bekommen.
Effektiv wäre der Industriestrompreis damit also eine Subvention für 25 Prozent des Stromverbrauches eines Unternehmens sowie eine Investitionsprämie für weitere 25 Prozent.
Diese Arbeitsplätze würde durch den Industriestrompreis gerettet
Die Sorge von Wirtschaft und Gewerkschaften ist, dass ohne einen Industriestrompreis die energie-intensiven Industrien in Deutschland ihre Waren nicht mehr zu Preisen produzieren können, mit denen sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Stahl und Kunststoffe von Konzernen aus anderen Ländern wären dann bei gleicher Qualität günstiger, weil dort eben geringere Herstellungskosten anfallen. Dies würde dazu führen, dass Konzerne ihre Produktionsstätten in Deutschland schließen würden.
Teilweise könnten sie im Ausland neu entstehen, aber das würde deutschen Arbeitnehmern nichts nützen. Die IG Metall warnte vor rund einem Monat, dass ohne Industriestrompreis zehntausende Arbeitsplätze für immer verloren gehen könnten. Wie viele genau, lässt sich schwer sagen.
In den oben genannten Industrien arbeiten in Deutschland rund 800.000 Beschäftigte. Allerdings hängen indirekt auch viele Jobs in anderen Branchen wie der Bau- oder Pharmaindustrie und dem Maschinenbau von den energie-intensiven Industrien ab.
Primär geht es beim Industriestrompreis also um den Erhalten von Arbeitsplätzen in den fünf Industrien Metall, Glas, Chemie, Papier und Mineralöl. Während Ökonomen die generelle Sorge vor dem Arbeitsplatzabbau teilen, weist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch daraufhin, dass Unternehmen und Politik schon seit langem vor dem Verlust von Arbeitsplätzen wegen hoher Energiepreise warnen, dies aber bis heute nicht eingetreten sei.
So teuer wird der Industriestrompreis
Schon heute bekommen energie-intensive Industrien Hilfen. Sie werden beim CO2-Preis durch die Strompreiskompensation gefördert. Dabei werden bis zu 75 Prozent der Mehrkosten, die durch die Klima-Abgabe entstehen, den Unternehmen vom Staat zurückerstattet. Da die EU Doppel-Subventionen verbietet, müsste diese Kompensation auf den Industriestrompreis angerechnet werden, was dessen zusätzliche Kosten senkt. Für die Strompreiskompensation zahlte der Bund 2023 rund 2,4 Milliarden Euro. Für 2024 gibt es noch keine aktuellen Zahlen, da der CO2-Preis aber anstieg, dürften auch die Kosten gestiegen sein.
Das IW Köln hatte im Sommer Kosten von rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für den Industriestrompreis ausgerechnet. Von derselben Summe geht auch das jetzt vorgelegte Gemeinschaftskonzept aus. Die EU erlaubt ihn maximal für einen Zeitraum von drei Jahren. Das ergäbe also Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro.