Schuhgeschäft Röhrl in Miesbach macht nach 58 Jahren endgültig zu

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Seit 58 Jahren im Schuhgeschäft: Ex-Kreisbrandrat Michael Röhrl geht in den Ruhestand. Ein paar genagelte Arbeitsschuhe aus dem Jahr 1955 hebt er sich als Erinnerungsstück auf. © Thomas Plettenberg

Michael und Traudl Röhrl schließen ihr Schuhgeschäft am Manhardtwinkl. Der Laden war seit 1908 in Familienhand und prägte Generationen.

Miesbach – Die Kleinen öffnen begeistert die Augen, die Großen schwelgend die Nasen. Das Erlebnis im Schuhgeschäft Röhrl in Miesbach beginnt bereits weit vor der ersten Anprobe. Denn während die Kinder vor allem die Vitrine mit Modellautos in der Theke in den Bann zieht, verzückt die Erwachsenen der Duft nach echtem Leder. Inhaber Michael Röhrl riecht ihn auch nach 58 Jahren noch gern. Ganz im Gegenteil zum Chemiedampf, der einem in vielen großen Schuh-Handelsketten entgegenschlage, wenn sich die automatischen Schiebetüren öffnen.

Bei Michael und Traudl Röhrl im Laden ist noch alles handgemacht. Sogar die Theke, die mit kleinen Satteldächern aus Holzschindeln bedeckten Regale und das Joch für die beiden Stoff-Lampenschirme über der Kasse hat Michael Röhrl in der heimischen Holzwerkstatt selbst gebaut. Auch die Backsteinverkleidung am Kamin war seine Idee. Verändert hat sich in all den Jahren nichts. Warum auch, meint Röhrl: Ihm gefalle es wie am ersten Tag, seinen Kunden auch.

Keinen Nachfolger gefunden

Doch die Tage des Traditionsschuhhauses im Manhardtwinkl sind gezählt. Am 31. Dezember sperren es die Röhrls zum letzten Mal zu. Aus gesundheitlichen und aus Altersgründen, erklärt Michael Röhrl. Er ist 72, seine Frau 70, heuer hatten sie ihren 50. Hochzeitstag. „Ein bisserl Ruhestand wollen wir auch noch haben.“ Die Frage nach einer Nachfolge innerhalb der Familie war schnell beantwortet: Sohn Michael ist begeisterter Zimmerer, die Schwiegertochter zufrieden mit ihrem Bürojob, auch der Enkel hat einen anderen Weg eingeschlagen. Druck ausüben wollten die Röhrls zu keiner Zeit. Mit dem Beruf sei es wie mit einem Schuh: Wenn er nicht passt, wird man nicht glücklich.

Michael Röhrl hingegen ist in ihn hineingewachsen. Schon in den Windeln war er im Laden, den sein Großvater 1908 in den Räumen der heutigen Chocolaterie am Marktplatz eingerichtet hatte. Als der geplante Kauf des Hauses platzte, zog der Vater 1962 in den Laden am Manhardtwinkl. Als er 1967 unerwartet früh starb, musste Röhrl mit nur 13 Jahren seinen Mann stehen – und damit auf seinen vorgesehenen Wechsel in eine Schuhfabrik in Pirmasens verzichten. Doch der Bub scheute die großen Fußstapfen nicht. 1982 übergab ihm seine Mutter den Laden.

Der prägte dann sein Leben und auch das seiner Frau. 50 Stunden pro Woche verbrachten die beiden hier – Bürozeit sowie die beiden verkaufsoffenen Sonntage und die sechs Sonntage zum Einkauf auf Messen und im Großhandel pro Jahr nicht eingerechnet. Bei letzterem achteten die Röhrls immer auf die Wünsche ihrer Kunden. Auch wenn das Sortiment mit Größen von 16 bis 54 (!) sowie vom Hausschuh bis zum Bergstiefel alles abdeckte, galt der Schwerpunkt hochwertigen Trachtenschuhen und Leder-Filz-Stiefeln. 5500 Paar umfasste der Lagerbestand, ein Großteil ist im Räumungsverkauf bereits abgebaut. „Es läuft gut“, sagt Röhrl.

Das tat es dank seiner Frau auch, wenn er mal nicht im Laden war. Und das kam besonders zwischen 1989 und 2013 oft vor. Da rückte Röhrl als damals ehrenamtlicher Kreisbrandrat zu allen Tages- und Nachtzeiten mit der Feuerwehr aus.

Sammlung mit 5000 Modellautos

Dass Röhrl auch heute noch von Einsatzfahrzeugen umgeben ist, liegt an seiner Modellautosammlung. Zwischen 4000 und 5000 Stück stehen in den heimischen Vitrinen. Ausgewählte Exemplare verwendete er als Schaufensterdeko im Laden. Da allerdings gab es eine strenge Regel: nicht anfassen. „Das sind Sammlerstücke, keine Spielzeugautos.“ Dafür hatte Röhrl kein Problem damit, wenn Kinder zum „Schuhezählen“ durch die beiden Lager streiften. Manche durften sich sogar mit einem Filzstift auf den Holzregalen verewigen, wie Röhrl mit Blick auf einen gezeichneten Ottifanten erzählt.

Eine schriftliche Kündigung brauchte Röhrl seinem Vermieter derweil nicht vorbeibringen. Denn einen Mietvertrag gibt es nicht. „Der Handschlag von 1962 gilt bis heute.“ Eine Verbindlichkeit, die die Röhrls auch ihren Kunden gegenüber pflegten. Obwohl Röhrl kein ausgebildeter Schuster ist, führte er kleinere Reparaturen im Lager selbst durch. Wenn es weiter fehlte, brachte er die Schuhe zu einem befreundeten Schuster in Reichersbeuern und holte sie eine Woche später wieder ab – ohne Preisaufschlag.

Was aus dem Laden wird, steht noch nicht fest. Die erste Anfrage, die sein Vermieter erhalten habe, sei für einen Döner-Imbiss gewesen, erzählt Röhrl. Man werde sich aber bemühen, dass wieder ein traditioneller Einzelhändler in die Räume ziehe. Dass das heutzutage gar nicht mehr so einfach ist, macht Röhrl auch an einem gesellschaftlichen Wandel fest: „Unsere jungen Leute haben oft keinen Mut mehr.“ Dabei wüssten die Kunden auch heute ein gut sortiertes Fachgeschäft mit freundlichem Personal zu schätzen.

„Immer wieder gern“, antwortet Röhrl einer Kundin, die sich für die gute Beratung bedankt. Und schiebt dann nicht ohne Wehmut nach: „Zumindest noch bis zum 31. Dezember.“