Das Verteidigungsministerium plant im Rahmen des neuen Wehrdienstes die Erfassung ältere Jahrgänge. Union und SPD beharren auf Freiwilligkeit – die Linke übt Kritik.
München – Mit dem neuen Wehrdienst will Verteidigungsminister Boris Pistorius vor allem ein Ziel erreichen. Die von Personalmangel geplante Bundeswehr soll aufgestockt werden, um innerhalb der NATO ihre abschreckende Rolle ausfüllen zu können. Dafür plant der Minister vor allem eine schlagkräftige Reserve von bis zu 260.000 Soldaten. Diese soll aus dem neuen Wehrdienst entstehen, der im Kern junge Männer ab dem Jahrgang 2008 betrifft. Doch was passiert mit den älteren Jahrgängen? Das Verteidigungsministerium hatte sich bei diesen für eine Wehrerfassung ausgesprochen. Kritik an dem Vorgehen kommt aus dem Bundestag.
„Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes wird die Wehrerfassung im Frieden und der Meldedatenabruf wieder möglich sein“, erklärte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Anfrage des Münchner Merkurs. Für junge Männer ab dem Jahrgang 2008 soll diese Erfassung mittels eines Online-Fragebogens erfolgen. Das Verteidigungsministerium teilte zu dem Vorgang mit: „Erst beginnend im nächsten Jahr mit den dann 18-Jährigen. Folgend ist geplant, auch die Erfassung älterer Jahrgänge nachzuholen.“ Bekommen also auch junge Männer, die vor 2008 geboren wurden, in den kommenden Jahren Post vom Bund?
Neuer Wehrdienst: Verpflichtende Erfassung auch für über 18-Jährige? „Kommt nicht infrage“
Die Unions-Fraktion im Bundestag stellt sich bei der Wehrerfassung klar gegen eine Pflicht. „Eine verpflichtende Wehrerfassung der Jahrgänge 1993–2007 kommt nicht infrage“, teilte ein Sprecher der Fraktion von CDU und CSU im Bundestag auf Anfrage des Münchner Merkurs mit. „Diese Jahrgänge stehen mitten im Berufsleben, tragen familiäre Verantwortung und sind gesellschaftlich fest eingebunden. Ein verpflichtender Zugriff wäre rechtlich kaum haltbar, organisatorisch nicht umsetzbar und sicherheitspolitisch nicht erforderlich“, teilte der Fraktionssprecher weiter mit.
Etwas offener zeigt sich bei dem Thema wohl die SPD. „Die Musterungen beginnen mit den Jahrgängen ab 2008“, erklärte Falko Droßmann, Sprecher der Arbeitsgruppe Verteidigung in der SPD-Fraktion, auf Anfrage unserer Redaktion. „Sukzessive sollen in den kommenden Jahren auch ältere Jahrgänge hinzukommen, sobald die Kapazitäten es zulassen“, sagte Droßmann weiter. Aussagen, die sich mit der Position des SPD-geführten Verteidigungsministeriums decken. Dabei soll es jedoch keine Pflicht geben. „Das Wehrdienstmodernisierungs-Gesetz ist ein Gesetz über einen neuen, freiwilligen Wehrdienst“, betonte Droßmann. „Wir wollen junge Menschen gewinnen, nicht verpflichten.“
Auch ältere Jahrgänge bei neuem Wehrdienst im Fokus – „Müssen wissen, wo die Wehrpflichtigen erreichbar sind“
Die grundlegende Problematik ist, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 auch die Wehrerfassung in Friedenszeiten ausgesetzt wurde. Da junge Männer nicht mehr zum Wehrdienst verpflichtet wurden, entfiel also auch die Erfassung und Musterung der Jahrgänge ab 1993. Doch auch diese Männer wären theoretisch von einer Wehrpflicht betroffen, sollte der Bundestag im Rahmen eines Angriffs mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit das Eintreten eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls feststellen.
Ein schwieriger Vorgang, da Bundeswehr und Verteidigungsministerium die Daten fehlen. „Für den Spannungs- und Verteidigungsfall müssen wir uns vorbereiten, wir müssen wissen, wo die Wehrpflichtigen wohnen und wo sie erreichbar sind – so wie es früher in Zeiten der verpflichtenden Einberufung zum Grundwehrdienst war“, erklärte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums unserer Redaktion mit Blick auf die Motivation für das Verfahren.
Wehrerfassung: SPD und Union setzten auf Freiwilligkeit bei älteren Jahrgängen
Wie diese freiwillige Erfassung von Männern aus den Jahrgängen 1993 bis 2007 nach Ansicht des Verteidigungsministeriums und der SPD ablaufen könnte, ist jedoch nicht bekannt. „Unsere Streitkräfte freuen sich auch über ungediente Kräfte, seien es Männer oder Frauen, die einen sinnvollen Dienst für ihr Land verrichten möchten“, sagte SPD-Politiker Droßmann mit Blick auf die Rolle der älteren Jahrgänge für die Sicherheitsstrategie in Deutschland. „Insbesondere der Heimatschutz, aber auch zivile Dienste haben einen hohen Bedarf für Nachwuchskräfte, auch wenn sie älter als 18 Jahre sind.“
Auch die Unionsfraktion teilt mit Blick auf die älteren Jahrgänge mit: „Die Möglichkeiten zur freiwilligen Meldung für die Älteren sind unverändert möglich und erwünscht.“ Darüber hinaus setze man jedoch auf das im neuen Wehrdienstgesetz festgelegte Stufenmodell: „Verbindliche Wehrerfassung nur für die jungen Jahrgänge ab 2008“.
Linke kritisiert Wehrdienst – „Bundeswehr benötigt nicht noch mehr neue Soldaten“
Kritische Stimmen an den Plänen des Verteidigungsministeriums kommen derweil aus der Opposition. „Wir lehnen die Erfassung der aktuellen Jahrgänge ebenso ab wie eine nachträgliche Erfassung der Jahrgänge 1993 bis 2007“, teilte Desiree Becker, stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin für Friedens- und Abrüstungspolitik der Fraktion die Linke, auf Anfrage des Münchner Merkurs mit. Die Linke übte bereits nach Ankündigung des neuen Wehrdienstes scharfe Kritik an der Verteidigungspolitik der Merz-Regierung und inszeniert sich als Partei der Kriegsdienstverweigerer.
Nach Auffassung der Linken sollten die ungedienten Männer der Jahrgänge 1993 bis 2007 keine Rolle in der Sicherheitsstrategie spielen. „Die Bundeswehr benötigt nicht noch mehr neue Soldat*innen, das zeigt ja auch die Forderung nach einer Bedarfswehrpflicht“, sagte Becker weiter. „Die Diskussion um das Losverfahren und die Bedarfswehrpflicht, wie auch immer ausgestaltet, zeigt, dass die Regierung kein Interesse an allen jungen Männern hat, sondern sich nur einige rauspicken möchte. Außerdem steht die Bundeswehr mit dem neuen Gesetzentwurf schon vor riesigen Herausforderungen.“
Neuer Wehrdienst soll Reserve verstärken – das ist der Plan ab 2026
Inwieweit das Verteidigungsministerium bei dem geplanten Aufwuchs der Reservisten auch um Männer der Jahrgänge 1993 bis 2007 werben, dürften also erst die kommenden Jahre zeigen. Über allem scheint aber bei allen Beteiligten das Element der Freiwilligkeit zu stehen. Ohnehin dürfte der Fokus erst mal auf den jungen Männern liegen, die im kommenden Jahr 18 werden. Diese sollen dann mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.1.2026 die verpflichtenden Fragbögen erhalten. Die Musterung soll dann ab 2027 beginnen. Dann soll die Bundeswehr samt Reserve in den kommenden Jahren auf die gewünschte Zielgröße wachsen. (Quellen: Eigene Recherchen) (fdu)