Jokel kann sich keinen Strom und kein Gas leisten: „Brauche das Geld zum Trinken“

„Ich bin stolz, Kalkhöfler zu sein“, sagt Helmut Kallenbach. Das war vor zehn Jahren. Mittlerweile ist er tot. Der Krebs hatte sich in den damals 44-Jährigen hineingefressen. Zehn Jahre nach der ersten Sozialdokumentation kehrte das Filmteam von VOX nun zurück in den Asternweg in Kaiserslautern und blickte hinter die Türen eines Viertels, das viele längst aufgegeben haben. 

Erste Erkenntnis: Viele der damaligen Protagonisten sind mittlerweile verstorben. Das passt zu den kalten Zahlen: Statistisch sterben Menschen, die in sozialen Brennpunkten leben, zehn Jahre früher als die Menschen im Bundesdurchschnitt. 

Asternweg: Nur Kaltwasser, keine Badezimmer, für 75 Euro Miete

Entstanden war Kalkofen als Siedlung illegaler Baracken. Damals lebten 23 Personen in einer Küche und einem Raum. 1972 wurde die letzte Baracke abgerissen und die Stadt Kaiserslautern errichtete auf dem Gelände Wohnblöcke. Ungedämmt, nur Kaltwasser, keine Badezimmer, für 75 Euro Miete.

Joachim Wagner, den alle „Jockel“ nennen, wohnt hier. Seine Tür hat der 72-jährige ehemalige Kfz-Mechaniker mit einem Schloss und einer Kette gesichert. Nicht von innen, sondern von außen. Einmal waren Beamte da und haben alles Verwertbare mitgenommen, sagt er. 

Viel wird es nicht gewesen sein. Strom und Gas kann sich Jockel nicht leisten. „Ich brauche das Geld zum Trinken. Ich habe keine 50 Euro für Strom.“ Seine Wohnung gleicht einer vermüllten Schrotthandlung. Eine Gitarre ohne Seiten. Möbelstücke, aus denen er sich seit vielen Jahren eine „eigene Bar und Disko“ bauen will. 

Sein Bett ist der Rahmen eines alten Sofas auf dem Boden in einer Ecke. Der Weg dorthin ist von kaputten Gegenständen verstellt. Grauer Star macht ihm das Leben zusätzlich schwer. „Wenn jemand sagt, ich trinke weiter, trinke ich auch weiter“, erklärt er. „Wenn ich eine Beschäftigung oder eine Freundin hätte, wäre es leichter, vom Trinken wegzukommen.“

Steffi hat fünf Kinder und keine Perspektive

Alkoholsucht ist ein großes Thema in Kalkhofen, das sich über den Geranien- und Asternweg erstreckt. Oft sitzen die Bewohner von Kalkhofen an der Bar im „Zum Ilse“. Die Stammkundschaft ist dort zahlreich. Die Rechnungen gibt es monatlich. Wirtin Ilse hat 15 Jahre lang versucht, der Familie Kallenbach zu helfen. 

Steffi, 46, ist nach dem Tode ihres Mannes Helmut alleinerziehend. Auch ihre beiden Eltern sind kurz nach Helmut verstorben. Steffi hat fünf Kinder: Julia (11) wurde bereits vom Jugendamt aus der Familie genommen und auch bei Jamie (13) und Emely (9) steht dieser Schritt im Raum. 

Außer Emely geht keines der Kinder regelmäßig zur Schule. Alina (16) träumt von einer Friseurkarriere. Der Älteste, Antony Kallenbach (19), landete zwischenzeitlich im Knast, weil er seinen Onkel bei Handgreiflichkeiten niederstreckte. Der Onkel erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma und ist nun ein Pflegefall. Und Antony droht schon die nächste Verurteilung inklusive Haftstrafe.

Alle haben ihre eigenen Dramen

„Es ist immer schlimmer geworden - da drüben“, sagt Wirtin Ilse im „Zum Ilse“. Sie meint damit die Familie Kallenbach. Einst hat sie mit eigenem Geld und ihren Söhnen die Wohnung der Kallenbachs renoviert. Doch die drei kleinen Räumen mit einer Gesamtfläche von gerade mal 60 Quadratmetern sehen inzwischen wieder so verwahrlost wie zuvor aus. 

Besonderes Viertel
Der "Asternweg" gilt in Kaiserslautern seit Jahrzehnten als sozialer Brennpunkt. Vox-Screenshot

„Es ist mir alles zu viel geworden. Immer gab es Ausreden und keiner war in der Schule. Ich habe es hinter mir gelassen“, meint Ilse resigniert. Im Asternweg haben alle ihre bedrückenden Geschichten. Ilses Vater wurde unberechenbar und grob, wenn er trank. Steffis Mutter kommt aus dem Heim. 

Jockel muss alle paar Minuten auf die Toilette, ums sich zu übergeben. Im Suff hatten ihm Trinkkumpane Nagellack zum Saufen gegeben. Jetzt ist seine Speiseröhre verätzt. Seine Eltern starben früh, der Bruder erhängte sich in der Garage. Jockel rutschte ab, landete für lange zehn Jahre auf der Straße.

Die Politik kommt nicht in die Gänge

Klaus Weichel kommt in. Der VOX-Doku zu Wort. Der Sozialdemokrat war von 2007 bis 2023 Bürgermeister von Kaiserslautern. Er sagt, man habe Kalkhofen im Blick, wolle dort etwas ändern. Richtig in die Gänge kommt die Stadt nicht. Unternehmerin Katharina Welsh-Schied (46), die schon in der vorherigen Doku als Helferin aktiv war, kämpft bis heute für bessere Bedingungen im Viertel. 

Mit ihrem Verein „Asternweg e.V.“ hat sie Wohnungen saniert, Spenden organisiert und Menschen in Lohn und Brot gebracht. Aber sie stößt an bürokratische Grenzen. Vor vier Jahren schon hatte sie sieben renovierte Wohnungen übergeben wollen. Doch das ist bis zum Ende der Dreharbeiten noch immer nicht geschehen. 

Die Stadt kommt den nötigen Brandschutzarbeiten nicht nach. Im Gegenteil: Sie streicht sogar den Kooperationsverein mit dem Verein, so dass dieser rechtlich nicht mehr helfen kann. Die Hilfe stößt an Grenzen. Im April 2015 machte VOX das Dilemma im Asternweg unter dem Doku-Titel „Eine Straße ohne Ausweg“ bundesweit bekannt. Auch 2025 gibt es keinen Ausweg. Die Politik hat versagt.