Ukrainer arbeiten seit Tag 1: „Deutschland ist ein Geschenk – auch ohne Bürgergeld“

Dreimal haben Anna und Roman ihr Zuhause verlassen müssen. Dreimal haben die Ukrainer mit nichts in der Hand ihre Existenz neu aufgebaut. Jetzt, nach drei Jahren in Bremen, fühlen sie sich allmählich in einem neuen Umfeld angekommen.

Auf die Sozialleistungen für geflüchtete Ukrainer, über die nach dem Bürgergeld-Stopp für manche Ukrainer wieder intensiv diskutiert wird, hat sich das Ehepaar nie gestützt. Während sich einige ihrer Landsleute enttäuscht über die Entscheidung der Bundesregierung zeigen, sagt Anna, selbstständige Illustratorin, deutlich: „Ich arbeite seit dem ersten Tag“.

Ukrainer Roman über Bürgergeld: „Ich habe Arme und Beine – ich kann arbeiten“

Auch Roman hat kein Bürgergeld beansprucht und sofort in einer Kartonfabrik angepackt: „Ich habe Arme und Beine – ich kann arbeiten. Warum soll ich einfach Geld bekommen? Das ist unfair!“

Gleichwohl betonen die beiden, dass ihr Werdegang nicht stellvertretend für alle Ukrainer gewertet werden kann. Das beginnt bereits mit der Familienkonstellation: Wegen gesundheitlicher Probleme ist Roman von der Wehrpflicht befreit, durfte das Land verlassen. Auch seine Schwiegermutter kam mit in die Hansestadt, hilft im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Das gibt den zweifachen Eltern Luft.

Integration durch Einheimische: Der Anker in Bremen

Außerdem haben sie schnell Anschluss gefunden, wie die beiden erzählen. Noch vor der Ausreise aus der Ukraine im Herbst 2022 fanden sie Gastgeber, bei denen sie für einige Nächte Unterschlupf erhielten. Das ersparte den Aufenthalt in einer Flüchtlingsunterkunft.

Roman bekam durch den direkten Kontakt zu Einheimischen prompt und ohne Sprachkenntnisse einen Job vermittelt. „Das war fast unmöglich. Ich konnte nur vermuten, was sie von mir wollten“, erinnert sich Roman an den holprigen Start. Doch mit beidseitiger Geduld und Verständnis sollte auch das klappen.

Für das von den Kriegsmonaten traumatisierte Ehepaar sollte sich diese Freundschaft zu einem wichtigen Anker entwickeln. Denn das Ankommen war gewiss nicht einfach – und hat Zeit gebraucht. „Wir mussten genesen“, sagt Anna: „Wir konnten das erste Jahr nicht einfach im Garten sitzen und das Leben genießen. Das war kompliziert.“ Vor allem für die Kinder sei die Phase, in der sich die Eltern selbst erst sammeln mussten, herausfordernd gewesen.

Umso größere Bedeutung hatte die Unterstützung der engagierten Freunde: ob bei der Wohnungssuche, Behördengängen, der Jobvermittlung oder dem Weg in Annas Selbstständigkeit. Trotz der Sprachbarriere wurden die beiden zu Weihnachten eingeladen, zu Veranstaltungen mitgenommen, neuen Leuten vorgestellt. „Sie haben sich Zeit genommen, mit uns geredet und uns gezeigt, dass das Leben weitergeht“, beschreibt Anna, die im Gegenzug mit Roman zum Beispiel auch in der Kirchengemeinde mit anpackte.

Roman und Anna
Dreimal alles verloren: Anna und Roman lehnen Bürgergeld ab. Sie sagen: Deutschland ist „ein Geschenk – auch ohne Geld“ und hat unsere seelischen Wunden geheilt. Privat

„Fremd sein heilt“: Die seelischen Wunden aus Mykolajiw

Diese Aufmerksamkeit, Geduld und Unterstützung könne kein Geld aufwiegen: „Das bringt das Gefühl, dass wir wieder Menschen mit Zukunft sind.“ Schließlich wäre niemand dazu verpflichtet gewesen, die Familie in das eigene Leben zu integrieren. Ihr Umfeld, Deutschland, habe die seelischen Wunden geheilt, sagt Anna.

Die zweifache Mutter weiß auch, wie es anders laufen kann. 2014 musste die Familie ihr Zuhause in Donezk verlassen, als Russland mit Hilfe von Schergen zum ersten Mal nach dem Donbass griff. Zunächst ging sie ins nahe gelegene Mariupol. „Ein halbes Jahr haben wir nichts gemacht, auch kein Geld verdient und auf ein Ende gewartet, das kaum passieren würde“, beschreibt Roman ein ernüchterndes Gefühl, das viele Landsleute kennen dürften.

Als wenige Monate später auch in Mariupol erste Geschosse einschlugen und der Krieg erneut näher rückte, wagte die Familie einen Neustart in Mykolajiw. Zumindest bis 2022 sollten sie dort ein normales Leben führen – bis einmal mehr die Gefahr akut wurde, Opfer der russischen Aggression zu werden.

Zerrüttete Familie: Neustart nach Trennung und Kriegsdienst

Roman brachte die Familie zunächst an die Grenze zu Rumänien, von dort ging es für Frau, Schwiegermutter und die Kinder weiter in ein Hotel nach Bulgarien. „Ich war so deprimiert, ich konnte an nichts denken“, erzählt Anna. Das Meer vor der Haustür habe sie nicht wahrgenommen, sogar den Geburtstag ihres jüngeren Sohnes vergessen und nur die nötigste Arbeit erledigen können. In der Heimat unterstützte Roman unterdessen das Militär, indem er mit seinem Reifenwechsel-Service die an der Front zerstörten Pneus tauschte.

In dem bulgarischen Dorf sah der ältere Sohn keine Zukunft für sich. Als 17-Jähriger fand er eigenständig eine Gastfamilie im niedersächsischen Cloppenburg, um seine Schule zu beenden und heute ein duales Studium zu absolvieren. Eine Hilfsbereitschaft, die die Mutter noch immer überwältigt. „Keiner musste das machen“, weiß sie. Mit einer Perspektive für den Älteren und der Obhut des Jüngeren durch die Großmutter kehrte Anna zunächst zu ihrem Mann ins Kriegsgebiet zurück. Als der schließlich die Erlaubnis erhielt, das Land zu verlassen, sollte die zerrüttete Familie in Bremen wieder zusammenfinden.

„Deutschland ist ein Geschenk – auch ohne Bürgergeld“

Einfach ist es für Anna und Roman seitdem gewiss nicht gewesen. „Ich konnte nicht glauben, dass das Leben weitergeht und wir hier Freunde finden“, sagt Anna. Und trotz der Unterstützung hat es große Anstrengungen benötigt, sich einmal mehr eine Existenz aufzubauen, eine neue Gemeinschaft zu finden.

Um den Arbeits- und Familienalltag zu bewältigen, haben sie auf einen staatlich organisierten Deutschkurs verzichtet und sich Online-Privatunterricht bei einem ukrainischen Deutschlehrer organisiert. Vor einem Jahr hat Roman seinen Job in der Kartonfabrik auf Teilzeit reduziert, um sich als „Fahrradkapitän“ selbstständig zu machen und seinem Beruf als Zweiradmechaniker nachzugehen.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben der Familie vor Augen geführt, was im Leben wirklich zählt. „In Deutschland zu leben, ist ein Geschenk – auch ohne Bürgergeld. Wir wohnen hier ohne Bomben, Krieg und Probleme. Alles andere ist Bonus“, sagt er. Dass für die fünfköpfige Familie das Geld manchmal selbst kaum reicht, um die Miete zu bezahlen, gerät da zur Nebensache. Roman spricht da aus Erfahrung: „In Mykolajiw mit den Raketen – das ist echt scheiße.“ Drei Monate hat er dort ohne fließendes Wasser, ohne regelmäßige Stromversorgung ausharren müssen.

Viel lieber als über diese Erfahrungen sprechen die beiden über die Möglichkeiten und Perspektiven, die ihnen in Deutschland ermöglicht wurden. Über den Anschluss und das neue Zuhause, das sie gefunden haben: „Wir haben nicht mehr das Gefühl, fremd zu sein.“ Stolz erzählt Anna, dass von ihr gestaltete T-Shirts mit Bremen-Motiv inzwischen in lokalen Läden verkauft werden.

Sozialleistungen: Wille und gesellschaftliche Öffnung nötig

Statt sich über die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn aufzuregen, freuen sie sich lieber über das dichte Netz und die enge Taktung. Statt über zu viel Arbeit und zu wenig Geld reden sie über die Work-Life-Balance und die Rücksicht von Romans Arbeitgeber auf das Familienleben. „Deutschland hat eine hohe Lebensqualität“, sagt Anna nach ihren Erfahrungen aus anderen Ländern.

Nach den eigenen Erfahrungen haben die beiden auch eine Meinung zu den Sozialleistungen. „Alle Situationen und Menschen sind unterschiedlich“, sagt Anna. Von einem jungen, alleinstehenden Erwachsenen könne Deutschland schneller erwarten, Fuß zu fassen, als von einer alleinerziehenden Mutter: „Das Bürgergeld kann dabei helfen.“

Ihre Geschichte zeigt: Auf der einen Seite braucht es den Willen und Anstrengungen, um voranzukommen. „Wir wollen in die Zukunft gucken und nicht zurück“, sagt Anna. Auf der anderen Seite kann das zwar ohne staatliche Unterstützung gelingen, aber die Gesellschaft muss ein Ankommen ermöglichen – auch, damit die Wunden der Vergangenheit heilen können.