So hilft uns die Forschung an Hunden, Altern früher zu erkennen und zu beeinflussen

Manchmal sind es nicht die Menschen, sondern die Hunde, die uns die größten Lektionen über das Leben lehren. Über Treue, Freude – und, wie sich jetzt zeigt – über das Altern. Forschende des Dog Aging Project, der größten Studie zur Hundegesundheit weltweit, haben entdeckt: Die Art, wie Hunde Eiweiße verstoffwechseln, verrät, wie alt sie biologisch wirklich sind.

Das klingt zunächst wie eine kuriose Randnotiz aus der Tiermedizin. Doch es ist weit mehr. Denn diese Erkenntnisse bringen uns Menschen einem großen Ziel näher: die Mechanismen des Alterns nicht nur zu verstehen, sondern auch gezielt zu beeinflussen.

Nils Behrens ist Chief Brand Officer bei Sunday Natural, Host des Podcasts "Healthwise" und Dozent an der Hochschule Fresenius. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Ein Projekt mit menschlicher Dimension

Seit 2020 untersucht das Dog Aging Project zehntausende Hunde in den USA. Anders als Labormäuse leben diese Tiere mitten im Alltag ihrer Besitzer – mit all den Umweltfaktoren, die auch auf uns wirken: Ernährung, Bewegung, Stress, Luftqualität. Damit ähneln sie uns Menschen mehr, als jede Laborkreatur es je könnte.

Das Ziel ist zweigleisig: Zum einen soll das Altern der Hunde besser verstanden werden – zum anderen sollen aus ihren Daten Erkenntnisse für uns Menschen gewonnen werden. Denn Hunde altern schneller, ihre Lebensspanne läuft quasi im Zeitraffer. Das erlaubt Forschenden, biologische Prozesse über mehrere Lebensphasen hinweg zu beobachten, während beim Menschen dieselbe Forschung Jahrzehnte dauern würde.

Die Sprache der Aminosäuren

Im Mittelpunkt der neuen Studie steht ein faszinierendes Phänomen: bestimmte Aminosäuren, die durch den Abbau von Eiweißen entstehen. Diese sogenannten posttranslational modifizierten Aminosäuren (ptmAAs) verändern sich mit dem Alter der Tiere – sie sind gewissermaßen stille Zeugen der Zellalterung.

Von 133 untersuchten Stoffwechselprodukten zeigten 48 eine klare Verbindung zum Alter. Besonders auffällig: zwei Gruppen – Carnitine und eben jene ptmAAs. Manche nahmen im Alter ab, andere zu. Ein fein orchestriertes Stoffwechselkonzert, das zeigt, dass Altern kein gleichmäßiger Prozess ist, sondern eher ein aus dem Takt geratener Rhythmus.

Interessanterweise hatten weder Ernährung noch Rasse entscheidenden Einfluss auf diese Veränderungen. Selbst ob der Hund kastriert war oder nicht, spielte nur eine Nebenrolle. Entscheidend war ein anderer Faktor: die Nierenfunktion.

Die Niere – ein unterschätzter Taktgeber des Alterns

Die Forscher fanden deutliche Zusammenhänge zwischen den veränderten Aminosäuren und klassischen Markern der Nierengesundheit wie Kreatinin und Harnstoff (BUN). Wenn die Nieren ihre Filterleistung verlieren, sammeln sich bestimmte Stoffwechselprodukte im Blut – ein biologisches Echo des Alterns.

So wurde klar: Die Alterung des Eiweißstoffwechsels ist eng mit der Alterung der Organe verbunden. Was beim Hund geschieht, spiegelt sich auch beim Menschen wider. Denn dieselben Muster zeigen sich in Studien zu menschlicher Langlebigkeit.

Hier öffnet sich ein faszinierendes Fenster: Wenn man Alterung über Stoffwechselmuster messen kann, dann lässt sich vielleicht auch ihr Tempo beeinflussen – etwa durch Ernährung, Bewegung oder gezielte Supplementierung.

Vom Hundefutter zur Humanmedizin

Was banal klingt – ein Bluttest bei einem Labrador – ist in Wahrheit ein Modell für zukünftige Longevity-Medizin. Denn das Altern ist keine fixe Uhr, sondern ein Netzwerk aus Stoffwechselwegen. Und diese sind, ob in Mensch oder Tier, erstaunlich ähnlich.

In der Longevity-Forschung wird schon heute an “Proteo-Aging” gearbeitet – der Idee, dass der Zustand unserer Eiweißstrukturen über unsere biologische Jugend entscheidet. Werden Proteine falsch gefaltet oder oxidiert, altert die Zelle. Gelingt es, diese Prozesse zu stabilisieren, könnte man Alterung nicht stoppen, aber verlangsamen.

Wenn also ein Hund uns zeigen kann, wann sein Körper wirklich „alt“ ist, könnte das eines Tages auch für uns gelten – präziser als jedes Geburtsdatum oder jeder Blutdruckwert.

Ein neuer Biomarker für Langlebigkeit

Diese Erkenntnisse sind mehr als nur tiermedizinische Spielerei. Sie könnten zu einem neuen Biomarker für das biologische Alter führen – bei Hunden, aber auch bei Menschen. Denn Proteinstoffwechsel ist ein universelles Prinzip des Lebens.

Langfristig ließe sich aus diesen Daten ein Screening-System entwickeln, das anzeigt, wie gut unser Körper noch regeneriert, wie aktiv unsere Nieren arbeiten oder wie effizient unsere Zellen Abfallstoffe entsorgen. So würden nicht nur Tierärzte, sondern auch Longevity-Mediziner eine neue Metrik erhalten, um präventiv einzugreifen, bevor Krankheit entsteht.

Was das für Sie bedeutet

Was wir von unseren vierbeinigen Gefährten lernen, ist schlicht, aber tief: Langlebigkeit beginnt auf molekularer Ebene – aber sie zeigt sich im täglichen Leben.

Eine gesunde Niere, eine ausgewogene Proteinzufuhr, Bewegung und ausreichend Flüssigkeit – all das hält nicht nur Hunde jung, sondern auch uns. Die Wissenschaft liefert uns Daten, die Evolution liefert uns das Beispiel.

Manchmal genügt ein Blick auf den alten Familienhund, um zu verstehen, dass Altern kein plötzlicher Bruch ist, sondern ein Prozess, der früh beginnt – und den man beeinflussen kann.

Fazit: Die Erforschung des Hundestoffwechsels bringt uns dem Traum einer messbaren, kontrollierbaren Langlebigkeit ein Stück näher. Vielleicht sind Hunde wirklich die besten Freunde des Menschen – nicht nur fürs Herz, sondern auch für die Wissenschaft.