Gedenkfeier in Memmingen erinnert an Reichspogromnacht und mahnt zu Zivilcourage

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Memmingen gedenkt der Pogromnacht: Hauptredner der Gedenkfeier war Alexander Hold, Zweiter Vizepräsident des Bayerischen Landtags. © Manfred Schilder

Mit einer eindrucksvollen Gedenkstunde am Gedenkstein der ehemaligen Synagoge am Schweizerberg erinnerte die Stadt Memmingen am Abend des 9. November an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors und an die Zerstörung jüdischen Lebens in der Pogromnacht des Jahres 1938.

Memmingen – Rund 60 Bürgerinnen und Bürger, Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen, Parteien, Schulen, Vereine und Institutionen nahmen an der Veranstaltung teil, die gemeinsam von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisiert wurde.

Die musikalische Umrahmung gestaltete das Trio Kleznova mit Günter Schwanghart (Klarinette), Alwin Zwibel (Kontrabass) und Enes Ludwig (Gitarre). Mit traditionellen Klezmer-Melodien verliehen sie der Gedenkstunde eine besondere emotionale Tiefe und erinnerten zugleich an die reiche kulturelle Tradition jüdischen Lebens, das auch in Memmingen einst zum Stadtbild gehörte.

Nach der Eröffnung begrüßte Dr. Ivo Holzinger, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Memmingen, die Anwesenden. In seinen Worten verband er historische Erinnerung mit einer eindringlichen Mahnung: „Die Flammen, die hier am 9. November 1938 loderten, waren mehr als ein Feuer, das eine Synagoge zerstörte – sie waren das Zeichen eines moralischen Zusammenbruchs, der in ganz Deutschland begann“, sagte Holzinger. Er erinnerte daran, dass die Synagoge am Schweizerberg 1909 eingeweiht und in der Nacht des Pogroms bzw. in den Tagen danach vollständig zerstört wurde. „Es ist gut, dass wir in einem so großen Kreis heute bekennen können, dass wir die Forderung ‚Nie wieder‘ in Memmingen wirklich ernst nehmen.“

Oberbürgermeister Jan Rothenbacher hob in seinem anschließenden Grußwort die Bedeutung des Gedenkens für die Gegenwart hervor. „Erinnerung schafft Erlösung“, zitierte er die Inschrift auf dem Gedenkstein und weiter: „Es ist etwas Schreckliches passiert am 9. November 1938. Ein Ereignis, das den Auftakt weg von der Diskriminierung hin zur Vernichtung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gegeben hat und das mit der Shoah eine Verfolgung, eine Vernichtung bewirkt hat, die so in unserer Welt noch nicht dagewesen war und auch nie wieder kommen darf.“

Hauptredner der Gedenkfeier war Alexander Hold, Zweiter Vizepräsident des Bayerischen Landtags. In seiner Rede schlug er den Bogen von der Geschichte zur Gegenwart und sprach über die Gefährdung demokratischer Werte durch Gleichgültigkeit und Hass.

Ausgangspunkt seiner Ausführungen war die Abfassung der Zwölf Bauernartikel vor 500 Jahren in Memmingen. „Die Zwölf Artikel und die Reichspogromnacht haben auf den ersten Blick offenbar wenig miteinander zu tun, aber doch drängen sich mir da Fragen auf.

Wer die Vergangenheit vergisst, öffnet die Tür für die Intoleranz von heute.

Wieso haben vor 500 Jahren einfache Bauern und Handwerker hier in Schwaben den Mut gehabt, für Menschenwürde und Freiheitsrechte einzustehen? Und wieso hatten vor gerade mal 87 Jahren aufgeklärte Menschen, hier mitten unter uns, nicht den Mut für die Menschenwürde, für die Freiheit und für das Leben ihrer Mitmenschen, ihrer Nachbarn einzustehen, wo doch eben Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde im 20. Jahrhundert längst ihren Durchbruch gefeiert hatten?“, stellte Hold fragend in den Raum. „Wer die Vergangenheit vergisst, öffnet die Tür für die Intoleranz von heute“, warnte Hold.

Mit Blick auf die zunehmenden antisemitischen Vorfälle in Deutschland sagte er: „Wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder Angst haben, ihren Glauben offen zu zeigen, dann ist das ein Alarmzeichen für unsere Demokratie.“

Hold rief dazu auf, die Erinnerungskultur als Grundlage der Freiheit zu begreifen: „Jeder Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland ist ein Angriff auf unsere Gesellschaft, ein Angriff auf unsere Demokratie, ein Angriff auf die Menschlichkeit. Dem müssen wir aktiv begegnen; denn Schweigen ist keine Neutralität, Schweigen bedeutet Zustimmung.“

Nach den Redebeiträgen wurden Kränze und Blumen am Gedenkstein niedergelegt, während die Anwesenden in stillem Gedenken verharrten.

Nie wieder ist jetzt Das Schlusswort der Gedenkfeier sprach Gerd Zettler, Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Memmingen (KAB). In seinen Worten verband er die Erinnerung an die Opfer mit einem klaren Appell an das gesellschaftliche Miteinander: „Nie wieder ist jetzt! Nie wieder darf Gleichgültigkeit den Hass übertönen. Nie wieder darf die Würde des Menschen infrage gestellt werden – egal, welcher Religion, Herkunft oder Überzeugung jemand angehört.“

Zettler dankte allen an der Gedenkstunde Beteiligten und lud zu einem Besuch der Ausstellung von Schülerarbeiten in der benachbarten Bismarckschule ein. Dort präsentierten Schülerinnen und Schüler künstlerische und textliche Arbeiten, die sich mit den Themen Verfolgung, Erinnerung und Zivilcourage auseinandersetzen. Die Ausstellung machte beeindruckend deutlich, wie intensiv sich junge Menschen heute mit der Geschichte ihrer Stadt beschäftigen.

Die Gedenkstunde am 9. November zeigte eindrucksvoll, dass das Erinnern in Memmingen lebendig bleibt. In einer Zeit, in der antisemitische Tendenzen und populistische Parolen in Deutschland zunehmen, setzten die Redner ein klares Zeichen für Menschlichkeit, Vielfalt und Zivilcourage.

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