FOCUS online: Herr Kaiser, der BAMBI in der Kategorie „Lebenswerk“ ging an Sie. Wenn Sie es selbst zusammenfassen müssten: Was ist das Wichtigste, das Sie in Ihrem Leben erreicht haben?
Roland Kaiser: Dass ich eine harmonische und glückliche Familie habe. Meine wenigen, aber guten Freundschaften. Und die Kooperationen auf beruflicher Ebene, zum Beispiel mit meinem Konzertveranstalter und meinem Label, die auch nach vielen Jahren noch reibungslos funktionieren.
Sie sind schon lange im Musikgeschäft, länger als die meisten. Musik und Menschen sind quasi untrennbar miteinander verbunden. Was würden Sie sagen: Wie hat sich die gesellschaftliche Stimmung in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Kaiser: Das Klima ist rauer geworden. Das bedaure ich. Respekt und Achtung voreinander haben abgenommen.
Das klingt erschütternd.
Kaiser: Wie gesagt, es macht mich traurig. Trotzdem gibt es auch viele bereichernde Momente. Ich erlebe bei einigen meiner Konzerte, dass Tausende Menschen friedlich miteinander singen, tanzen und feiern. Das genieße ich sehr. Diese Freude quer durch die Alters- und Gesellschaftsschichten.
Aber sind solche Veranstaltungen für viele Menschen nicht auch eine Flucht? Aus ihrem tristen Alltag.
Kaiser: Flucht- oder Ruhepunkt, das liegt im Auge des Betrachters. Aus meiner Sicht ist es eher das zweite. Ich finde es wichtig, zur Ruhe zu kommen. Und ein schönes Miteinander zu erleben.
Sie sprachen vom raueren gesellschaftlichen Klima. Es ist ein Dauerbrenner-Thema. Kommt es in Ihren Augen zu einer immer größeren Polarisierung?
Kaiser: In meinem direkten Umfeld nicht. Aber innerhalb der Gesellschaft schon. Das liegt zum Teil auch an den sozialen Unterschieden, denke ich. Auch die Medien tragen ihren Teil zur Polarisierung bei. Da werden Schlagabtausche angekündigt, Streitgespräche. Es gibt doch auch andere Formen, sich zu unterhalten. Was ist, wenn der andere vielleicht Recht hat?
Erzählen Sie mal, wie Sie damit umgehen, wenn Sie mit jemandem diskutieren, der eine ganz andere Meinung vertritt als Sie.
Kaiser: Ich lasse mich gerne auf solche Gespräche ein, auch wenn mein Gegenüber und ich unterschiedliche Sichtweisen vertreten. Ich finde, man kann viel voneinander lernen und seinen Horizont erweitern. Wir sollten einander aussprechen lassen und vor allem: zuhören.
Was ist, wenn jemand extreme Sichtweisen vertritt? Zum Beispiel fremdenfeindlich argumentiert.
Kaiser: Fremdenfeindliche Äußerungen und ähnliches verurteile ich. Da würde ich auch nicht lange herumdiskutieren, sondern Grenzen setzen. Ich muss aber auch sagen, dass solche Gespräche zumindest in meinem Alltag selten stattfinden.
Eigentlich ein gutes Zeichen.
Kaiser: Ja. Generell finde ich, dass wir Menschen oft in politische Ecken stellen, in die sie nicht gehören. Sie sagen Dinge, die sie sagen dürfen, gelten aber schnell als „zu rechts“ oder „zu links“. Die enorme Macht der sozialen Medien ist auch ein Problem. Haben Politiker, Schauspieler und andere Personen des öffentlichen Lebens den Mut, zu äußern, was sie denken, werden sie angegriffen.
Sie haben sich für ein Leben in der Öffentlichkeit entschieden. Das ist wahrscheinlich die Schattenseite.
Kaiser: Es wird immer Leute geben, denen nicht gefällt, was man sagt oder tut. Von daher stimmt das schon. Ich persönlich schaue nicht auf Facebook oder Instagram. Die digitalen Heckenschützen können unter sich bleiben.
In einem Interview im Februar meinten Sie, dass „Achtung und Respekt gerade bereits in den kleinsten Zellen der Gesellschaft verloren gehen – in Familien, Liebesbeziehungen und Freundschaften. Und das erstreckt sich bis auf die große Politik“. Können Sie das genauer erklären?
Kaiser: Ich bin mit vielen Menschen im Austausch. Manchmal denke ich, dass es schwerer ist, einen Familienfrieden herzustellen als den Weltfrieden. Es gibt doch diese berühmten Filme und Komödien, in denen sich Angehörige über Jahrzehnte streiten. So ist das im richtigen Leben offensichtlich auch.
Schade.
Kaiser: Natürlich ist das schade. Aber viele Menschen lassen sich beeinflussen.
Wie denn zum Beispiel?
Kaiser: Meiner Erfahrung nach geht es oft um Geld, Besitz oder jemandes Erbe. Es gibt so viele Möglichkeiten, unversöhnlich miteinander zu sein. Als Außenstehender ist man oft erstaunt. Viele Menschen sind gefangen in ihrer persönlichen Wut und Enttäuschung.
Zurück zu Ihrer Karriere. Sie durften als West-Musiker einmal in der DDR auftreten. Den Mauerfall erlebten Sie als Zeitzeuge mit. Wie schauen Sie heute, viele Jahre nach der Wiedervereinigung, auf die deutsche Einheit?
Kaiser: Ich empfinde die Wiedervereinigung grundlegend als gelungen. Die Spuren verblassen langsam in der Gesellschaft.
Sie meinten in einem früheren Interview, dass Sie den Ausdruck „Menschen in den neuen Bundesländern“ nicht mögen.
Kaiser: Das ist auch so. Ausgrenzung fängt durch Sprache an. Wir haben 16 Bundesländer. Wenn ich in Sachsen-Anhalt bin, bin ich in Sachsen-Anhalt und nicht im „neuen Bundesland“. Übrigens stelle ich immer wieder fest, dass die meisten Menschen im Osten der Republik sehr freundlich sind. Ich nehme das West-Ost-Gefälle nicht als solches wahr. Allerdings bin ich kein Politiker.
Aber SPD-Mitglied.
Kaiser: Schon. Aber eben kein aktiver Politiker. Das ist etwas anderes.
Okay.
Kaiser: Ich weiß nur: Probleme gibt es genug. Da brauchen Sie nicht in den Osten fahren. Da reicht schon eine Reise ins Ruhrgebiet.
Wir haben viel über Polarisierung und Uneinigkeit gesprochen. Was können wir tun, um ein besseres Miteinander zu erreichen?
Kaiser: Den anderen so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Die goldene Regel anwenden. Das klingt einfach, und eigentlich ist es das auch. Wenn wir freundlich und aufgeschlossen aufeinander zugehen, bekommen wir meist auch eine entsprechende Reaktion zurück.
Hilft Musik eigentlich, Menschen zusammenzubringen? Gerade beim Schlager sagt man ja, er wäre nah dran an den Zuhörern, weil es um Alltagsthemen geht, Liebe, Sehnsucht, Freundschaft und ähnliches.
Kaiser: Ich glaube, Musik kann die Welt nicht verändern, aber die Menschen. Wenn bei mir 50.000 Menschen im Stadion stehen und alle sind friedlich, dann sehe ich eine Veränderung, dann sehe ich eine Gemeinschaft. Ob das jetzt Schlager herstellt oder Pop oder Rock, ist egal.
Zum Abschluss eine große Frage: Was war der schwierigste Moment Ihres Lebens?
Kaiser: Ich glaube, Geduld zu haben, bis ich wieder auf die Bühne zurückkehren konnte. Damals, nach meiner Lungentransplantation.
Wie war die Zeit?
Kaiser: Überraschend. Ich wusste nicht, dass meine zweite Karriere die Dimension annehmen würde, die sie angenommen hat.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Kaiser: Ich bin ruhiger, dankbarer und demütiger geworden.
Warum?
Kaiser: Weil ich mich in meinem zweiten Leben nicht mehr so wichtig nehme. Ich habe gemerkt, wie viel es bedeutet, gesund zu sein. Außerdem weiß ich, dass Erfolg ein Zusammenspiel vieler Menschen ist. Das macht mich bescheiden.
Schauen Sie nach dem Verlust ihrer Gesundheit – und der schweren Zeit danach – eher nach vorn oder zurück?
Kaiser: Ich gehe bewusster mit allem um, was ich tue. Ich lebe ein schöneres Leben als vorher. Weil ich jetzt umso besser weiß, was wirklich zählt.