Reizdarm oder ernste Krankheit? So erkennen Sie die Unterschiede

Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung: Viele Betroffene denken sofort an ein Reizdarmsyndrom. Doch so eindeutig ist die Diagnose nicht. Es gibt keinen Bluttest oder eine spezielle Untersuchung, die Reizdarm sicher beweist. Entscheidend sind Beschwerden, die seit mindestens drei Monaten bestehen – und der Ausschluss anderer Krankheiten.

Dr. Christoph Nitsche ist Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin. Seine Facharztausbildung absolvierte er am Marienhospital Euskirchen mit Schwerpunkt in der Kardiologie und Notfallmedizin. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Wann die Diagnose „Reizdarm“ gilt

Leitlinien definieren klare Kriterien: Im letzten Vierteljahr traten mindestens einmal pro Woche Bauchschmerzen auf. Die Schmerzen stehen im Zusammenhang mit Stuhlgang oder einer Veränderung von Häufigkeit und Konsistenz. Wichtig: Nächtliche Beschwerden passen fast nie zu Reizdarm. Treten sie auf, sollte gezielt nach einer anderen Ursache gesucht werden.

Typische Stolperfallen bei der Anamnese

Viele Patienten beschreiben Durchfall oder Verstopfung – meinen damit aber Unterschiedliches. Ärzte sollten deshalb nachfragen, welche Konsistenz tatsächlich vorliegt. Hilfreich ist die Bristol-Stuhlformen-Skala, die sieben verschiedene Stuhltypen bildlich darstellt. So lässt sich der Subtyp des Reizdarms leichter einordnen.

Was Ärzte unbedingt ausschließen müssen

Die Diagnose Reizdarm darf erst gestellt werden, wenn andere relevante Erkrankungen nicht vorliegen. Besonders wichtig sind:

  1. Zöliakie – etwa 4 % der vermeintlichen Reizdarm-Patienten sind in Wahrheit betroffen.
  2. Mikroskopische Kolitis – unsichtbar in der Endoskopie, nur in Biopsien erkennbar.
  3. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn.
  4. Darmkrebs – gerade, wenn die Beschwerden neu und erst seit kurzer Zeit auftreten.
  5. Ovarialkarzinom – bei Frauen mit Blähbauch und fehlender Vorsorgeuntersuchung ein ernstes Warnsignal.

Weitere mögliche Ursachen sind Gallensäurestörungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Nebenwirkungen neuer Medikamente oder eine Pankreasinsuffizienz.

Weniger ist oft mehr

Leitlinien warnen vor unnötigen und teuren Zusatztests. Mikrobiomanalysen, Zonulin-Bestimmungen oder Untersuchungen auf eine vermeintliche Histamin-Intoleranz haben keinen diagnostischen Wert. Nach einer sorgfältigen Erstabklärung liegt die Wahrscheinlichkeit, etwas Übersehenswertes zu verpassen, bei unter fünf Prozent.

Fazit: Das Reizdarmsyndrom ist eine Ausschlussdiagnose – aber eine, die sich mit wenigen gezielten Fragen und Untersuchungen zuverlässig stellen lässt. Für Patienten bedeutet das: Wer die Leitlinien beachtet, bekommt Klarheit und vermeidet unnötige Sorgen und teure Zusatzuntersuchungen.