Freisinger Kochbuch von 1867 eröffnet Blick auf bayerische Küche

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Im „Freisinger Kochbuch“ sind jeweils das Original-Handschrift-Rezept und die in die transkribierte Fassung gegenüber gestellt. Wie man „Frickadellen zu Gemüß“ zuzubereiten, ist im untenstehenden Kasten nachzulesen. © FINK

Das historische Kochbuch bietet 288 Rezepte und Einblicke in die Wirtshauskultur des 19. Jahrhunderts – nun erscheint eine kommentierte Edition.

Schon die Fundgeschichte ist bemerkenswert: Im Sommer 2001 kam im Freisinger Stadtarchiv ein unscheinbares Paket an. Sein Inhalt: Dokumente, die eine Verbindung schlagen zwischen der Stadtgeschichte, der bayerischen Wirtshauskultur und der alltäglichen Kochkunst des 19. Jahrhunderts. Das unscheinbare Paket stammte vom Münchner Architekten Georg Pezold.

„Frickadellen zum Gemüß“ schmeckt heute als „Filet-Frikadellen mit Sardelle & Zitrone“

Hier nun das transkribierte Originalrezept: 1 Pf Fille, 4 Lth. Sardellen, 1/2 Zittron die Schale u. das Mark. Alles recht fein gewiegt nebst Salz u.f Pfeffer. Mache Thalergroße Plätzl u. backe sie wie Beffteck mit Zittronsaft.

Hier die Rezeptur zum Nachkochen:

Zutaten: 560 g mageres Rind- oder Kalbfleisch, Zitronenschale, 25 bis 40 g Sardellenfilets, 1 Bio-Zitrone, schwarzer Pfeffer, Salz, Butterschmalz oder Öl zum Braten. Optional: 1 Teelöffel voll Dijon-Senf für mehr Bindung.

Die Zutaten sind berechnet für zirka zwölf bis 16 talergroße Plätzchen. Zubereitungszeit: 20 Min. Kühlzeit: 10 Min.; Bratzeit: 8-10 Min.

Zubereitung: 1. Farce anrühren: Fleisch mit sehr fein gehackten Sardellen, Zitronenschale, 1 Teelöffel Zitronensaft und Pfeffer gründlich verkneten, bis die Masse leicht klebrig wird. Bei Bedarf 1 Teelöffel Senf zugeben.

2. Formen: Mit feuchten Händen talergroße Plätzchen (Durchmesser etwa 4 cm und 1 cm dick) formen; kurz kaltstellen.

3. Braten „wie Beefsteak“: In Butterschmalz bei mittlerer bis hoher Hitze je Seite 2-3 Minuten goldbraun braten. Beim Anrichten mit ein paar Tropfen Zitronensaft beträufeln.

4. Servieren: Klassisch „zum Gemüse“ – z. B. zu glasierten Karotten, Erbsen oder grünen Bohnen – reichen.

Angemerkt: „Frikadelle/Fleischpflanzerl“ ist seit dem 17. Jahrhundert im Deutschen belegt: Varianten hießen auch Boulette/Brisolette usw. (die Gattung sind gebratene flache Hackfleisch-Klöße).

„Wie Be(e)f(f)steck“ verweist auf die damalige Bezeichnung für (Hack-)Beefsteak Ý im 19. Jahrhundert auch als deutsches Beefsteak (aus gehacktem Fleisch) beschrieben – das meint kurzes, kräftiges Braten in der Pfanne. Sardellen/Anchovis wurden in der mitteleuropäischen Küche des 19. Jahrhunderts häufig als salzige Würze in Fleischspeisen und Saucen eingesetzt.

„Thalergroß“ ist ein zeittypischer Größenhinweis: ein Taler hatte ca. 37-40 mm Durchmesser - daher die kleine, flache Form. Der Zusatz „zum Gemüse“ signalisiert die Gemüsebeilage; zeitgenössische bürgerliche Kochbücher listen Erbsen, Bohnen, Karotten regelmäßig als Begleitung zu Fleischgerichten.
Tipp: Für besonders saftige Plätzchen das Fleisch mit dem Messer sehr fein hacken (statt zu fein zu wolfen) und die Masse kurz ruhen lassen – das bindet besser.

Er überließ der Stadt diese Dokumente, die auf seine mütterliche Familie zurückgingen – die Sporrers, eine der bedeutendsten Freisinger Brauer- und Wirtsfamilien des 19. Jahrhunderts. Pezolds Mutter, Magdalena Pezold, geborene Sporrer, war die Enkelin von Franz Seraph Sporrer, jenem Unternehmer, der den traditionsreichen Heigl- oder Sporrerbräu in der Unteren Hauptstraße zu einem der größten Anwesen der Stadt ausgebaut hatte. In den 1830er- und 1840er-Jahren ließ er drei nebeneinanderliegende Parzellen zusammenfassen, erweiterte Brau-, Wohn- und Gasthausbereiche und schuf so den Grundriss des späteren „Bayerischen Hofs“.

Zu den Unterlagen in dem Paket gehören neben Menüzetteln, Rechnungen und handschriftlichen Aufzeichnungen aus den 1850er- und 1860er-Jahren, die während verschiedener Aufenthalte von Mitgliedern der bayerischen Königsfamilie angefertigt wurden, zwei handgeschriebene Kochbücher. Sie ermöglichen unmittelbare Einblicke in die regionale Ess- und Küchenkultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das umfangreichere der beiden Hefte umfasst 133 dicht beschriebene Seiten mit insgesamt 288 Rezepten, die sich oftmals nicht auf ein ganzes Gericht, sondern auf einzelne Bestandteile beziehen. Ein Entstehungsdatum fehlt, doch mehrere handschriftliche Menüfolgen am Ende tragen das Jahr 1867.

Die Handschrift stammt offensichtlich von einer einzigen Person, deren Name sich nicht erhalten hat. Inhaltlich reicht das Spektrum von Suppen, Soßen und Beilagen bis zu einzelnen Arbeitsschritten komplexer Gerichte. Das „Freisinger Kochbuch von 1867“ mit seinen 140 Rezepten ist also damit weit mehr als ein Küchenheft – es ist ein dokumentarischer Einblick in die Koch- und Esskultur Freisings im 19. Jahrhundert. Da gibt es Hirnwandlsupp genauso wie Pomeranzen-Torte, Planasche und Schnecken-Karmonathen, eingesetzte Eier in Rahm oder auch Englischen Buff.

Das „Freisinger Kochbuch“ ist dabei mehr als eine Rezeptsammlung. Es spiegelt Arbeitsabläufe, Vorratshaltung und Geschmacksbilder des 19. Jahrhunderts. Die Texte sind sorgfältig transkribiert und mit Erläuterungen versehen – etwa zu historischen Mengen wie „Maß“ und „Loth“ oder zu Zutaten, die heute anders benannt werden. So entsteht ein praxistauglicher Zugang: Leserinnen und Leser verstehen, wie gekocht wurde, warum Schritte in genau dieser Reihenfolge passierten und womit eine Küche damals funktionierte.

Das Projekt verbindet Kulturerbe und Gegenwart: Auf der begleitenden Plattform „Geschichte schmeckt“ werden Rezepte vorgestellt, nachgekocht und kommentiert. Interessierte können Fotos, Varianten und Notizen beizusteuern: Was gelingt sofort? Wo sind Kniffe nötig? Welche Aromen überraschen? So entsteht ein lebendiges Labor, in dem historisches Wissen praktisch erfahrbar wird. Kurz: „Dieses Buch holt die bayerische Küche von 1867 aus der Vitrine zurück in die Töpfe“, so das Projektteam von „Geschichte schmeckt“.