Schalke 04 steht plötzlich sinnbildlich für etwas, das in Deutschland fehlt

Der FC Schalke 04 ist kaum wiederzuerkennen. Nach Jahren voller Verzweiflung, Abstiegen, Gespött und Versprechen, so leer wie die Vereinskassen, ist in Gelsenkirchen plötzlich wieder etwas Echtes zu spüren: Bewegung, Herz, ein Team, das nicht perfekt, aber ehrlich spielt und sich damit an die Spitze der 2. Liga gekämpft hat. Das hat der Verein nicht zuletzt dem neuen Trainer Miron Muslić zu verdanken.

Statt verkrampftem Bemühen spürt man nun diesen bedingungslosen Willen, wieder etwas zu erreichen. Dieser feine psychologische Unterschied zeigt, was gute Führung ausmacht und wovon sich viele Führungskräfte in deutschen Unternehmen und der Politik einiges abschauen sollten.

Schalke-Trainer Muslić verkörpert die wichtigste Erkenntnis, die Führungskräfte brauchen

Muslić hat in kürzester Zeit etwas geschaffen, das im modernen Fußball selten geworden ist. Er kam nicht als Projektleiter oder Laptop-Trainer mit komplizierten Spielsystemen, sondern mit der vielleicht wichtigsten Erkenntnis, die Führungskräfte für den Erfolg eines Teams brauchen: Leistung entsteht nicht durch Angst, sondern durch Vertrauen. Druck ist kein Werkzeug, das man beliebig verstärken kann. Manchmal muss man ihn lösen, um Energie freizusetzen.

Der Österreicher ist kein Systemfetischist, sondern baut lieber auf Verantwortung und stärkt die Mission jedes Einzelnen für den Verein. Und diese Mission lebt er selbst. So wurde er Mitglied bei Schalke 04. „Einmal Schalker, immer Schalker“, war Muslićs Kommentar, ein Satz, der das Herz eines jeden Schalkers berührte. Diese Geste steht für Leidenschaft und Zugehörigkeit in einer Branche, in der sich vieles nur noch ums Geld dreht.

Kishor Sridhar ist angesehener Berater, Keynote-Speaker und Autor, spezialisiert auf Change Management, Führung und Digitalisierung. Er unterstützt Führungskräfte bei Transformationsprozessen und lehrt an der ISM in München. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Mit Geld gesegnet war der Arbeiter- und Zechen-Klub nie, genauso wenig wie die Region. Doch die Mitglieder hatten einander, und die Region hatte Schalke. Jetzt haben die Fans wieder einen Trainer, der diese Leidenschaft teilt und den Wandel wirklich vorantreibt. 

Wenn Muslić an der Seitenlinie gestikuliert, lacht und mitleidet, dann führt er nicht von oben herab, sondern von innen heraus. Und genau das unterscheidet Technokraten von wahren Führungspersönlichkeiten. Genau das fehlt uns in anderen Bereichen jenseits des Sports, in Wirtschaft und Politik.

Auf Schalke offenbaren sich verschiedene Facetten der neuen Stärke

Beim 1:0-Heimsieg gegen Darmstadt 98 konnte man sehen, wie diese Haltung auf dem Platz lebendig wird. Soufiane El-Faouzi spielte in der 9. Minute einen mutigen Pass durch drei Gegner, Moussa Sylla sprintete in die Lücke und verwandelte eiskalt. Kein Zufall, sondern Ausdruck gewachsenen Vertrauens. Sylla, der im Sommer noch als Wackelkandidat galt, spielt wieder mit Überzeugung. Das spürt man in jedem Laufweg, in jeder Bewegung.

Wenige Wochen zuvor, beim Heimspiel gegen Greuther Fürth, zeigte sich eine andere Facette dieser neuen Stärke: Stabilität in schwierigen Momenten. Als sich Verteidiger Timo Becker früh verletzte, musste sich das Team neu sortieren. Statt zu hadern, rückten die Spieler enger zusammen. Finn Porath erzielte in der 77. Minute den Siegtreffer, und in der Schlussphase rettete Torhüter Loris Karius den Erfolg mit einer entschlossenen Parade. Es war kein spektakuläres Spiel, aber ein ehrliches, das von innerer Haltung getragen war.

Schalke-Trainer Miron Muslic freut sich über einen guten Saisonstart
Schalke-Trainer Miron Muslic freut sich über einen guten Saisonstart Bernd Thissen/dpa

Muslić versteht es, Menschen einzubinden, nicht nur Spieler, sondern auch das Umfeld. Er spricht mit Jugendtrainern, Ärzten, Analysten, hört zu und tut das nicht aus Pflicht, sondern aus echtem Interesse. Vor dem Darmstadt-Spiel nahm er sich fast eine Stunde Zeit, um mit Nachwuchsspielern über ihre Entwicklung zu reden. Kleine Gesten, die zeigen, dass er den Erfolg im Zusammenhang des Ganzen sieht.

Muslić als Beispiel: Führung zeigt sich im Umgang mit Konflikten

Wer so führt, schafft Beteiligung statt Gehorsam und macht Change möglich. Wahre Führungspersönlichkeiten, ob im Sport, in Unternehmen oder in der Politik, haben verstanden, dass Wandel und Wachstum eine Frage echter Teilhabe sind. Wer gehört wird, bleibt engagiert.

Dabei bleibt Muslić auch in schwierigen Situationen klar, aber respektvoll. Nach der 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel im September suchte er nicht nach Schuldigen, sondern sprach von gemeinsamer Verantwortung. Entscheidend war der Umgang danach: Er führte intensive Gespräche mit erfahrenen Spielern, nicht, um sie zu maßregeln, sondern um sie einzubinden. Es folgte kein öffentlicher Pranger, kein Symbol der Härte in Tuchel'scher Manier, sondern ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe.

Diese Fähigkeit, Spannungen auszuhalten, ohne Vertrauen zu zerstören, ist eine der seltensten und wertvollsten Eigenschaften in moderner Führung und unterscheidet Verwalter von Gestaltern.

Wenn Schalke 04 spielt, dann geht es um mehr als um Punkte

Doch bei Schalke 04 ging es immer um mehr als um Fußball. Der Verein ist das emotionale Rückgrat einer Region, die viel verloren hat: Zechen, Arbeitsplätze, Perspektiven, Selbstbewusstsein. Gelsenkirchen ist keine Stadt der schönen Fassaden, sondern eine der ehrlichen Gesichter. Hier wird nicht geredet, hier wird gearbeitet, gehofft, gebuckelt.

Die Schalker Profis jubeln in Hannover
Die Schalker Profis jubeln in Hannover dpa

Und genau deshalb kann in Gelsenkirchen etwas Großes entstehen – die neue Generation einer Mannschaft, die kaum zu bremsen ist. Man spürt, dass sich hier gerade ein Team formt, das mehr verbindet als Punkte: Identität, Stolz und ein neuer Glaube an das eigene Können.

Wer einmal während eines Spiels in Gelsenkirchen war, vergisst diese eigentümliche Stimmung nie, dieses Gefühl, dass sich einmal in der Woche das ganze Leben um etwas dreht, das verbindet und aus dem grauen Alltag herausholt. Wenn Schalke spielt, geht es um mehr als um Punkte.

Schalke steht für etwas, das unserem Land fehlt: Mut, Vertrauen, Stolz

Muslić gibt nicht nur elf Spielern auf dem Platz, sondern einer ganzen Stadt ein Gefühl zurück – nämlich jenes Gefühl, das uns im ganzen Land abhandengekommen zu sein scheint, dass man wieder stolz sein kann und mehr ist als das Etikett „strukturschwach“.

Schalke steht damit sinnbildlich für etwas, das unserem Land fehlt: Mut zum Wandel, Vertrauen in Menschen und Stolz auf das, was uns verbindet. Muslić hat gezeigt, dass man keine zig Millionen braucht, um Veränderung zu schaffen, sondern Charakter.

Wenn Führung wieder Menschlichkeit zulässt, entsteht Bewegung in Teams, in Unternehmen und vielleicht auch in einer Gesellschaft, die verlernt hat, an sich selbst zu glauben. Und wenn Miron Muslić seine Schalker Spieler in den Arm nimmt, dann umarmt er zugleich eine geschundene Stadt und eine Region, die lange niemand mehr in den Arm genommen hat.