Und dann berichtet Stoltenberg von einer düsteren Begegnung mit Angela Merkel

Donald Trump hat Humor. Das ist nicht der vorherrschende Charakterzug, der beim amerikanischen Präsidenten auffällt. Aber er ist vorhanden, und der vormalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg konnte ihn inmitten einer hitzigen, Auseinandersetzung beobachten, als der Fortbestand des Verteidigungsbündnisses am seidenen Faden hing.

Die Szene spielte hinter verschlossenen Türen beim Nato-Gipfel im Juli 2018 in Brüssel. Trump attackierte in heftiger Form einmal mehr – und im Kern durchaus zu recht – die europäischen Verbündeten, deren Verteidigungsetats zumeist deutlich unter jenen zwei Prozent des Bruttosozialprodukts lagen, zu denen sich alle Mitgliedsstaaten seit 2006 bekannt hatten. 

Trump: "Ich kenne meine Frau"

„Dies könnte der Gipfel werden, bei dem die Nato zugrunde geht, dachte ich“, schreibt Stoltenberg in seinen gerade erschienenen Erinnerungen „Auf meinem Posten“, in denen er die Leser an vielen Stellen hinter die Kulissen der Weltpolitik mitnimmt. Da ging ein grimmiger Trump jene Staaten frontal an, die zu wenig in ihr Militär investierten. 

Während die allesamt anwesenden Regierungschefs der Bündnispartner ein Erreichen des zwei Prozent bis 2024 bekräftigt hatten, presste Trump in deutlicher Unkenntnis der notwendigen parlamentarischen Beschlüsse die Präsidenten und Premiers zu einer sofortigen Umsetzung. 

Dazu ging er die Reihen durch und hatte schon früh Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel deutlich kritisiert: „Angela könnte heute zwei Prozent bezahlen, wenn sie es wollte! Stattdessen sagt sie, 1,5 Prozent bis 2025!" Er listete die einzelnen Länder auf: „Belgien: 0,9. Das ist weniger als ein Prozent. Kroatien: Oh, ich bin enttäuscht, ich kann es nicht glauben – 1,26. Sie müssen sich vollkommen verkommen fühlen!“ 

Trump lobte Polen, das auf 1,99 Prozent kam, und dann ging der Präsident weiter zum Heimatland seiner Frau Melissa: „Slowenien: weniger als ein Prozent. Ich bin nicht überrascht. Ich kenne meine Frau, ich weiß, wofür sie ihr Geld ausgibt.“

Merkel wollte von Stoltenberg eine Gegenleistung

In den meisten Passagen von Stoltenbergs Buch allerdings geht es um ernsthafte Momente. Auch im Zusammenhang mit den Verteidigungsbeiträgen. Trump habe sich bei ihm beschwert über Deutschlands Zögerlichkeit. 

Der Präsident schilderte dem Nato-Chef, dass er der Kanzlerin gesagt habe: „ 'Angela, Sie müssen blechen. Bis zu zwei Prozent.' Sie habe geantwortet, 'Vielleicht 2030'. Und gelacht, als sie es sagte. She laughed!“ Da muss es nicht verwundern, dass vor allem das Verhältnis Merkels zu Trump miserabel blieb.

Offen beschreibt der vormalige norwegische Ministerpräsident Gespräche, aber auch Konflikte mit Angela Merkel. Die Kanzlerin, die gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama Stoltenbergs Weg an die Nato-Spitze vermittelt hatte, wollte später eine Art Gegenleistung. „Der nächste Vizegeneralsekretär der Nato muss ein Deutscher sein!“, habe Merkel ihm 2016 „mit Nachdruck“ gesagt, und sie „sah mich mit festem Blick an“. 

Merkels Kandidat war der erfahrene Diplomat Martin Erdmann, einst der deutsche Botschafter bei der Nato und später in der Türkei. „Ich werde mich unbedingt für Erdmann einsetzen“, versprach Stoltenberg der Kanzlerin. Doch letztlich entschied er sich für die von Obama unterstützte Amerikanerin Rose Gottemoeller. 

Eine Begegnung mit Merkel wurde düster für Stoltenberg

Die nächste Begegnung mit Merkel beim EU-Gipfeltreffen im Juni 2016 wurde düster für Stoltenberg. „Ich ging in den Raum vor dem Sitzungssaal, sah Angela Merkel dort sitzen und nickte ihr zu. Sie nickte nicht zurück.“ Später wollte Stoltenberg „Merkel gerade noch einmal zunicken, als wir Blickkontakt bekamen. Sie sah mich an, ohne eine Miene zu verziehen.“ 

Ex-Bundeskanzlerin Merkel empfing den ehemaligen Nato-Generalsekretär Stoltenberg.
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Als die Anwesenden den Raum verließen, kam Merkel schließlich doch auf ihn zu: „Ich bin dermaßen enttäuscht von Ihnen, Jens“, sagte sie. „Sie haben einfach nur auf die Interessen der USA Rücksicht genommen. Die USA können nicht alles in der Nato bestimmen.“

Diese Verstimmung seiner vormaligen Förderin traf Stoltenberg. Immerhin, zwei Wochen später kam Merkel bei einer weiteren Konferenz auf ihn zu mit diesen ebenso klaren Worten: „Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, dann bin ich damit nicht einverstanden. Und mit der Ernennung bin ich nicht einverstanden. Aber nachtragend bin ich nicht, Jens. Die Angelegenheit ist für mich erledigt. Finito!“ 

"Bei Putin machte sich Merkel keine Illusionen"

Um bei der Kanzlerin zu bleiben: „Wenn es um Wladimir Putin ging, machte sich Angela Merkel keine Illusionen“, erinnert sich Stoltenberg. „Sie meinte, im Grunde habe er das Ergebnis des Kalten Krieges nie akzeptiert und wolle Russland wieder zu einer strategischen Großmacht aufbauen.“

Das klingt anders als das häufig vermittelte Bild, Merkel habe aus Naivität heraus Deutschlands Energieabhängigkeit von Moskau durch russisches Gas noch erhöht. 

Auch Stoltenbergs Gesprächen mit der russischen Führung finden Eingang in das Buch. So habe er 2013, noch vor seiner Zeit bei der Nato, dem russischen Ministerpräsidenten- Dimitri Medwedew zu versichern versucht, er müsse sich weder vor Norwegen noch vor der Nato fürchten. 

Medwedews Antwort: Davor fürchte er sich in der Tat nicht, und er fürchte auch Obama oder Merkel nicht. „Aber“, so Stoltenberg weiter, „wer kommt nach Ihnen? Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass mindestens einmal in jedem Jahrhundert ein Verrückter aus dem Westen auftaucht, der Russland erobern will“, nämlich in den letzten drei Jahrhunderten Karl XII. von Schweden, Napoleon und Hitler: „Und vergessen Sie nicht, dieses Jahrhundert hat gerade erst begonnen.“

Stoltenberg verschweigt weitere Perspektiven nicht

Für Stoltenberg ist dies der Beleg dafür, „dass die Welt aus der Perspektive Moskaus anders aussieht“. Da hat er, der aus einem sozialdemokratischen Haushalt stammt, in jungen Jahren als Aktivist der linken Parteijugend gegen die norwegische Nato-Mitgliedschaft, Amerikas Vietnam-Politik und die Nachrüstung demonstrierte und häufig die DDR-Botschaft in Oslo besuchte, zweifellos recht. 

Aber es gibt eben noch weitere Perspektiven, die Stoltenberg nicht verschweigt, darunter die des einstigen litauischen Verteidigungsministers Juozas Olekas, dem der Norweger eigene Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Russen vermittelte, um ihn positiv bezüglich eines Dialogs mit Russland zu stimmen. 

Olekas, dessen Eltern nach der Besetzung Litauens durch die Sowjetunion nach der Annexion 1945 wie zigtausend weitere nach Sibirien deportiert worden war, hörte ihm zu und sagte dann: „Jens, Sie sind wegen ein paar Umweltprojekten in Russland gewesen. Ich dagegen wurde im Gulag geboren.“

Intime Szenen aus der Weltpolitik

Die zwei größten Herausforderungen während Stoltenbergs Amtszeit waren Trumps offensichtlich ernst gemeinte Drohung, die USA aus der Nato zu ziehen („Die Koffer waren bereits gepackt.“) und natürlich Putins Angriff auf die Ukraine 2022. 

Es sind die intimen Szenen aus der Weltpolitik, die Stoltenberg beisteuert, und das persönliche Erleben, das dieses Buch so lesenswert wie informativ macht. Moskau versuche, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und seine Einflusssphären aus der Zeit des kalten Krieges wiederherzustellen, ist Stoltenbergs Überzeugung und Warnung.

Dieser Beitrag stammt von The European.

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