Spätestens seit Jens Spahn bei Markus Lanz zuletzt die ungleiche Vermögensverteilung hierzulande kritisiert hat, ist die Debatte um Vermögen, ihre Verteilung und ihre Besteuerung wieder mal voll entbrannt. Obwohl Spahn später zurückgerudert ist und Kanzler Friedrich Merz im Sommerinterview des ZDF sogar fälschlicherweise behauptet hat, dass eine Vermögensteuer verfassungswidrig sei, lässt sich der Geist nicht wieder in die Flasche verbannen.
Das gilt umso mehr, als man allgemein auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der Erbschaftsteuerregelung für große Unternehmen wartet. Sie dürfte im Laufe der nächsten Monate vorliegen.
Ist die Verteilung wirklich gleicher geworden?
In den letzten Wochen zeichneten die Medien in Sachen Vermögensverteilung in Deutschland nun ein etwas verwirrendes Bild. Auf der einen Seite wurde unter Bezugnahme auf den neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung deutliche Entwarnung gegeben.
Zwischen 2010 und 2023 sei der Anteil des oberen Zehntels am gesamten Nettovermögen von 59 auf nur noch 54 Prozent zurückgegangen.
Die Bevölkerung würde diese positive Entwicklung aber nicht zur Kenntnis nehmen und den Anteil der Reichen wie auch der Armen in der Gesellschaft stark überschätzen. Die öffentlich wahrgenommene und intensiv diskutierte tiefe Spaltung der Gesellschaft sei so nicht gegeben, dies das Fazit z.B. in der FAZ.
Die Zahl der Milliardäre hat sich binnen 15 Jahren mehr als verdoppelt
Fast zeitgleich erschien, und das ist die andere Nachricht, die 25. Ausgabe der Reichenliste des „Manager Magazins“. Dort kann man nachlesen, dass sich die Zahl der deutschen Milliardäre seit 2010 von 102 auf 256 mehr als verdoppelt hat.
Selbst wenn man die Inflation von gut einem Drittel seit 2010 berücksichtigt, bleibt real ein enormer Zuwachs von über 100 Prozent übrig. Diese 256 Milliardäre verfügen inzwischen über ein Gesamtvermögen von mehr als einer Billion Euro.
Das sind über zehn Prozent des gesamten Geldvermögens und ungefähr sieben Prozent des gesamten Geld- und Immobilienvermögens. Von Entwarnung kann hier also keine Rede sein.
3900 Personen besitzen fast ein Drittel des Geldvermögens
Das gilt umso mehr, als auch der Global Wealth Report der Boston Consulting Group eine enorme Konzentration des Vermögens in Deutschland konstatiert. Ihm zufolge besitzen die 3900 Personen, deren Geldvermögen mindestens 100 Millionen Dollar umfasst, zusammen knapp drei Billionen Euro.
Das sind 30 Prozent des Geldvermögens und über mehr als ein Fünftel des Geld- und Immobilienvermögens, das sich in den Händen von nicht einmal 0,1 Promille der Haushalte befindet.
Da erscheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass die Aussage im Armuts- und Reichtumsbericht zutrifft, die übrigen 99 Prozent des oberen Zehntels der Bevölkerung nur über ein weiteres Drittel des Gesamtvermögens verfügen.
Warum diese unterschiedlichen Angaben
Es stellt sich daher die Frage, wie sich diese unterschiedlichen Aussagen erklären lassen. Der entscheidende Grund sind die fehlenden Angaben der Finanzbehörden über die tatsächliche Höhe der Vermögen.
Seit der Aussetzung der Vermögensteuer vor knapp drei Jahrzehnten behilft man sich in der Regel entweder mit den Daten aus Umfragen der Bundesbank und Erhebungen wie dem Mikrozensus oder man greift auf Schätzungen zurück, die entweder von Finanzinstitutionen wie der UBS, Beratungsgesellschaften wie der BCG oder Zeitschriften wie Forbes oder dem „Manager Magazin“ jedes Jahr erstellt werden.
Die Tücken der Umfragen
Beides hat seine Tücken. Die sind jedoch bei den repräsentativen Umfragen und Erhebungen meines Erachtens ganz erheblich größer. Die Umfrageergebnisse der Bundesbank beruhen auf einer repräsentativen Stichprobe von gut 4000 Haushalten, also einem Haushalt pro 10.000 realen Haushalten in Deutschland.
Statistisch ist das vollkommen korrekt und nicht viel anders zu machen. Es bedeutet aber, dass von den oberen zehntausend Haushalten nur ein einziger erfasst worden ist. Höchst wahrscheinlich ist also nicht eine jener 3900 Personen in die Auswertung eingegangen, die allein, wie erwähnt, knapp drei Billionen Euro Finanzvermögen ihr Eigen nennen.
Anders als bei Wahlumfragen, wo jeder Befragte grundsätzlich das gleiche Gewicht für die Gesamtaussage zum voraussichtlichen Wahlergebnis hat, kann bei einer derartigen Erhebung der Vermögensverteilung eine ganz gravierende Verzerrung stattfinden.
Hier zählt jede Person eben nicht gleich, macht es einen riesigen Unterschied, welcher Haushalt unter den oberen zehntausend in der Umfrage vertreten ist, einer mit vielleicht zehn Millionen Vermögen oder einer mit 10 Milliarden.
Ergebnisse massiv verändert
Das DIW, das in seinem sozioökonomischen Panel früher ähnlich wie die Bundesbank vorgegangen ist, hat deshalb methodisch aufgerüstet. Zum einen ist eine Sonderstichprobe für hohe Vermögen eingeführt worden, mit der man dann zumindest eine Person mit einem Vermögen von gut 170 Millionen Euro und mehrere Personen mit zweistelligen Vermögensbeträgen erfasst hat, während zuvor das Maximum nur bei gut 60 Millionen Euro lag.
Zum anderen sind die Ergebnisse, methodisch aufwändig, noch mit Schätzungen über die ganz großen Vermögen komplettiert worden. Das hat die Ergebnisse massiv verändert.
So ist für das Jahr 2019, für das diese neue Berechnungsmethode zum ersten und bisher auch einzigen Mal angewendet worden ist, der Anteil des obersten Prozents von 21,6 auf 35,3 Prozent gestiegen. Für das obere Zehntel gab es auch einen deutlichen Anstieg, wenn auch in geringerem Umfang, von 59 auf 67 Prozent (https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.793785.de/20-29-1.pdf).
Die Vermögensteuer – angesichts des Haushaltsdefizits alternativlos
Lässt man alle vorliegenden Veröffentlichungen zur Vermögensverteilung Revue passieren, so spricht doch sehr viel mehr für eine Verschärfung der Lage als für eine Entspannung. Angesichts des hohen Defizits in den öffentlichen Kassen und der heftigen Debatte um mögliche Einsparungen führt daher meiner Meinung nach kein Weg daran vorbei, die hohen Vermögen endlich angemessen zu besteuern.
Eine Wiederinkraftsetzung der Vermögensteuer ist unumgänglich. Allein eine einprozentige Steuer auf die 3900 Vermögen von mehr als 100 Millionen Dollar würde pro Jahr zusätzliche Einnahmen von mindestens 30 Milliarden Euro erbringen.
Michael Hartmann, emeritierter Professor für Soziologie und weiterer Geisteswissenschaften an der TU Darmstadt, ist zweifacher Thyssen-Preisträger. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.