„Nahtoderfahrung“: So haben Chinas Autobauer VW, BMW und Co. abgehängt

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Deutsche Autobauer verlieren in China immer mehr an Boden. Selber schuld, sagt China-Kenner Frank Sieren im Interview: Die Deutschen hätten zu viele Fehler gemacht.

BYD und Xiaomi statt VW und Porsche: Auf Chinas Straßen sind immer mehr chinesische Autos unterwegs, die Marktanteile der deutschen Hersteller sinken dramatisch. Eine Entwicklung, die man hätte kommen sehen können, sagt Frank Sieren. Der Autor und Journalist lebt seit Jahrzehnten in China, zuletzt veröffentlichte er das Buch „Der Auto-Schock: Wie China uns abhängen konnte und was das für unsere Zukunft bedeutet“.

Herr Sieren, Sie leben seit 1994 in Peking. Wenn Sie sich zurückerinnern: Welche Autos waren damals auf den Straßen der chinesischen Hauptstadt unterwegs?

Damals hat ein Auto dominiert: der VW Santana, meist in weinrot, da hat Volkswagen schon fast zehn Jahre in China produziert. Sie waren die Pioniere und haben jahrzehntelang den Markt dominiert – nicht nur im Massenmarkt, sondern mit Audi auch im Premiummarkt. Die chinesische Spitzenpolitik ist lange A8 gefahren.

Kunde in einer Xiaomi-Filiale in Shanghai: Die meisten Chinesen kaufen lieber chinesische Autos. © Cfoto/Imago

Mittlerweile ist nicht mehr VW Marktführer in China, sondern der chinesische Hersteller BYD. Wann haben Sie gemerkt, dass da etwas ins Rutschen kommt?

2008 hat Warren Buffett 230 Millionen US-Dollar in BYD investiert. 2013 hat Chery, heute die Nummer vier im chinesischen Markt, mithilfe deutscher Ingenieure den Qoros gebaut, das erste Auto auf dem Niveau europäischer Autos: erstmals fünf Sterne im EU-Sicherheitstest, gute Ausstattung und cooles Design. Es wurde dennoch ein Flop, Vertrieb und Marketing waren lausig. Und die Chinesen haben chinesischen Autos noch nicht getraut. Die Manager der deutschen Marken lästerten natürlich. Richtig los ging es, als Chinas E-Autobatterien serienreif waren und ab 2019 jeder Hersteller, also auch die deutschen, einen wachsenden Prozentsatz an E-Autos bauen musste. 

Absturz der deutschen Autobauer in China: „Wir haben sie total unterschätzt“

Viele deutsche Hersteller scheint das überrascht zu haben.

Ja. Sie hatten keine eigenen Batterien. Und dann kam Covid. Während man Deutschland wegen der schlimmen Bilder aus Shanghai dachte, China stehe still, wurde mit hohem Tempo weiterentwickelt. Das böse Erwachen kam 2023 auf der weltgrößten Automesse in Shanghai. Die chinesischen Autostände waren belagert, die Hersteller platzten vor Stolz, BMW, Mercedes und VW waren nur noch die zweite Garde. Für so manchen deutschen Manager war das wie eine Nahtoderfahrung.

Haben die deutschen Autobauer die chinesischen Hersteller zu lange unterschätzt?

Ja, viel zu lange. Obwohl die E-Auto-Strategie offizielle Politik der Regierung und öffentliche Strategie der Unternehmen war. Wir sind auf unser eigenes Bashing reingefallen. Wir haben einfach behauptet, „der Chinese“ kann nur kopieren, ist nicht innovativ. Wir haben sie total unterschätzt. 

Zur Person

Frank Sieren lebt seit 1994 in China – länger als jeder andere westliche Wirtschaftsjournalist. Sieren hat bereits mehrere Bestseller veröffentlicht, darunter, „Zukunft? China!“, „Shenzhen“ oder „China to go“. Sein jüngstes Buch „Der Auto-Schock“ (Penguin Verlag) beschreibt den Aufstieg der chinesischen Autoindustrie.

Frank Sieren
Frank Sieren © Oliver Look

Warum?

Die deutschen Automanager fühlten sich zu sicher. Sie waren gewohnt, Tempo und Richtung der globalen Innovation zu bestimmen. Und die Chinesen haben uns geschickt unseren Top-Diesel gelassen und stattdessen bei unseren Schwachstellen angesetzt.  

Und zwar?

Es sind gleich drei Bereiche. Erstens die Batterietechnologie. BYD, nun Weltmarktführer bei den E-Autos vor Tesla, war früher Batteriehersteller für Laptops und Smartphones. Heute ist BYD der einzige Hersteller, der bei Batterien und bei den Autos führend ist. CATL, ein reiner chinesischer Batteriehersteller, ist Weltmarktführer. Zweitens die digitale Vernetzung von Smartphones, der Cloud und den Autos.  Firmen wie Xiaomi oder Huawei, die bei Smartphones und anderen Gadgets global führend sind, bestimmen nun bei der Autovernetzung weltweit die Richtung. Die Deutschen sind, das ist bitter, abgeschlagen.    

Und der dritte Bereich?

Autonomes Fahren, die wohl tiefgreifendste Autoinnovation seit seiner Erfindung. Damals ging es darum, das lästige Pferd loszuwerden. Nun wird man den unzuverlässigen Menschen los: oft zu jung, zu alt, zu müde, zu gereizt oder sogar zu betrunken, um besonnen zu fahren. Klar ist inzwischen: Autonomes Fahren ist viel sicherer. Hersteller wie Li Auto, Baidu oder Huawei haben, so internationale Tester, die Nase global vorne. Allein Huawei hat bereits mehr als eine Million „Auto-Autos“ im Alltagsbetrieb. Sie können von jedem gekauft werden und überall fahren.

„Bei den E-Autos in China haben die Deutschen nur fünf Prozent Marktanteil“

Deutsche Marken galten in China jahrzehntelang als attraktiv. Zählt der Ruf, den VW, BMW oder Audi haben, nichts mehr?

Der Ruf alleine reicht nicht mehr. Die Autos müssen nun schon besser und billiger sein als die chinesischen. Wenn nicht, fahren die Chinesen mit Stolz lieber chinesische Autos. Bei den E-Autos in China haben die Deutschen nur fünf Prozent Marktanteil. Tendenz sinkend. Das gilt auch im Luxusbereich. Alleine im ersten Halbjahr 2025 sind die Porsche-Verkäufe in China um 28 Prozent eingebrochen.

„Freude am Fahren“ spielt keine Rolle?

Ja und nein. Der Xiaomi SU7 Ultra – und nicht ein Porsche – hält den Nürburgring-Rundenrekord als das schnellste Serien E-Auto. Der BYD Han für umgerechnet 35.000 Euro bei besserer Ausstattung schafft es in 3,9 Sekunden von Null auf Hundert. Der Mercedes-AMG EQE 43 4Matic für weit über 100.000 Euro braucht drei Sekunden länger. Im Stop-and-Go einer chinesischen Mega-City nützt das aber nichts. Auch nicht auf den Autobahnen. Mehr als 120 km/h sind nicht erlaubt. Deshalb wollen immer mehr Chinesen Autos, bei denen man gar nicht mehr merkt, ob man fährt oder nicht: so gemütlich wie eine Lounge und bestens digital vernetzt.  

In China gibt es derzeit rund 130 E-Auto-Hersteller. Davon dürften viele auf Dauer nicht überleben.

Das ist Strategie: Wird ein neuer Markt in China erschlossen, dürfen erst mal alle losrennen. Der harte Wettbewerb lässt viel Innovation entstehen, bis der Staat mit strengen Regeln konsolidiert. Nur die Besten bleiben übrig, maximal ein Dutzend. Die übernehmen dann das Volumen und die Innovationen der Schwächeren, werden also noch stärker als zuvor.  

Auf der Automesse in Shanghai im April konnte man sehen, dass sich die deutschen Hersteller an die Wünsche der chinesischen Kunden anpassen. Audi zum Beispiel hat eine eigene Marke für den dortigen Markt entwickelt.

Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung bei dem Versuch, Anschluss zu finden unter der Führung des pfiffigen staatlichen Partners SAIC. Das spart Zeit, getreu der Devise: Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann tu dich mit ihnen zusammen.

Gleichzeitig drängen chinesische Hersteller auf den europäischen Markt – derzeit aber noch mit sehr überschaubarem Erfolg.

Na ja, allein Chery hat 2024 schon 1,4 Millionen Autos exportiert. Vor allem in den globalen Süden. Europa ist allerdings schwieriger. Chinas Marktanteil liegt in Deutschland tatsächlich erst bei zwei Prozent, in Europa allerdings bei fünf Prozent. Bei E-Autos sind es schon zehn Prozent. Inzwischen lernen Chinas Hersteller aus ihren Fehlern: Sie haben unterschätzt, wie unterschiedlich die EU-Märkte funktionieren oder wie wichtig Händler sind. Nun müssen wir mit ihnen rechnen.  

Die EU hat im vergangenen Jahr Einfuhrzölle auf Autos erlassen, die in China hergestellt werden …

….das wird sie kaum bremsen. Sie bauen eigene EU Produktionen, dann fallen die Zölle weg: Chery in Spanien, BYD bald in Ungarn. Geely ist als Volvo-Besitzer schon vor Ort. Die Frage ist also nicht, ob chinesische Marken hier erfolgreich werden, sondern wann. Der Druck auf die deutschen Hersteller ist hoch. Und es geht leider nicht nur um die Autoindustrie, sondern inzwischen auch um die Zukunft Deutschlands als Industriestandort. Also auch um unsere Kaufkraft.

Was für ein Auto fahren Sie persönlich?

Ich fahre einen alten Skoda, noch mit einem CD-Schlitz. Darin steckt die Halterung für mein gut vernetztes Tablet. Ich fahre allerdings sehr wenig. Meistens schlängle ich mich mit dem E-Motorrad durch die Staus, geleitet vom Navi des Smartphones. Aber irgendwann wird wohl ein neues Auto fällig. Der Fensterheber macht schon Mucken.     

Ein chinesisches?

Wahrscheinlich schon. Denn die bieten einstweilen das beste Preis-Leistungs-Verhältnis mit coolem Design.